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Die Mitgleider der Demenz-WG dürfen vorerst bleiben.

© dpa

Dafür! Dafür! Dafür!: Onlinepetitionen - Ein Überblick wofür sich Berlin einsetzt

Immer nur dagegen sein? Denkste! Auf Webseiten wie change.org können Bürger per Mausklick Petitionen unterstützen, ob für eine Demenz-WG, ein Volksfest oder Spätis. Welche Themen Berlin im Netz bewegen.

Wer sammelt heute eigentlich noch Unterschriften in der Fußgängerzone? Seinen Namen auf eine aufs Klemmbrett gepinnte Liste zu krakeln, ist natürlich eine zeitlose Methode. Ein Anliegen mit der eigenen Stimme zu unterstützen, geht heute aber auch im Netz. Auf Portalen wie change.org und openpetition.de gibt es kaum ein Thema, zu dem man nicht seine Stimme abgeben kann. Welche Themen bewegen die Berliner? Ein Überblick.

Demenzkranke Bewohner

Name: Kein Rauswurf von Käthe aus ihrem Zuhause in der Albrechtstraße!

Worum geht’s? Demenzkranke Bewohner sollen in ihrem Zuhause bleiben.

Wie viele sind dafür? 72.398

Sieben demenzkranke alte Menschen, darunter die 94-jährige Käthe, sollen ihr Zuhause in der Steglitzer Albrechtstraße verlassen müssen. Das vom gemeinnützigen Verein „Freunde alter Menschen e.V.“ gemietete Fachwerkhaus dient seit 2006 als Heimat für an Demenz Erkrankte. Doch die dänische Eigentümerin „Esplanaden Berlin Holding A/S“ hat am 29. Juli den Mietvertrag zum 31. Oktober 2015 gekündigt. Mit der Petition auf change.org soll die Holding überzeugt werden, das Zuhause der hilfebedürftigen Bewohner zu erhalten. Einen ersten Erfolg gibt es nach Angaben der Initiatoren sogar schon: Die Kündigung ist bis Ende des Jahres ausgesetzt, Gespräche über einen neuen Mietvertrag laufen.

Spätis

Name: Rettet die Spätis

Worum geht’s? Senat und Ämter sollen Spätis erlauben, am Sonntag frei zu verkaufen.

Wie viele sind dafür? 35 319

Rettet die Kiezkultur! Unter diesem Motto startete die Neuköllnerin Christina Jurgeit im Mai 2015 die Petition auf change.org. Offiziell dürfen Spätis am Sonntag nicht öffnen, inoffiziell sieht es meist anders aus. Neukölln begann aber zuletzt, das geltende Recht durchzusetzen. Weil der Sonntag der umsatzstärkste Tag ist, ist das für viele Ladenbetreiber existenzbedrohend. Dabei erfüllen die mehr als 1000 Spätis eine „unverzichtbare soziale Funktion“ und genießen Kultstatus, wie es in der Petition heißt. Die Unterstützer fordern, dass sämtliche Spätis rechtlich mit Tankstellen und Bahnhofsläden gleichgestellt werden. Damit dürften sie sonn- und feiertags ganztägig verkaufen, auch Tabak und Alkohol.

Baumhaus

Name: Rettet unser Baumhaus

Worum geht’s? Der Kleingärtnerverband soll ein Baumhaus vor dem Abriss verschonen.

Wie viele sind dafür? 33 699

2008 bauten Ivos Piacentini und seine Frau mit den beiden Söhnen ein Baumhaus in ihrem Kleingarten am Schöneberger Südgelände. Doch es gibt Streit um die Frage, ob das Baumhaus den einschlägigen Vorschriften entspricht – mittlerweile auch vor Gericht.

Deutsch-Amerikanisches Volksfest

Name: Öffnet den Flughafen Tempelhof für das Deutsch-Amerikanische Volksfest!

Worum geht’s? Das Land Berlin soll die Nutzung des Feldes für das jährliche Volksfest erlauben.

Wie viele sind dafür? 533

Einmal zog das Deutsch-Amerikanische Volksfest (DAV) schon um, der zweite Umzug steht bevor. Nur wohin? Nachdem der Rummel lange auf der Festwiese in der Clayallee stattgefunden hatte, musste er 2011 in die Heidestraße nahe dem Hauptbahnhof ausweichen. Doch von dort soll das Fest wegen Bauprojekten wieder vertrieben werden.

Schon lange wünschen sich die Veranstalter das Tempelhofer Feld als Festplatz, schließlich stehe das DAV „in enger historischer Verbundenheit zu den amerikanischen Alliierten“, die den damaligen Flughafen nutzten. Die Befürworter eines Umzugs argumentieren auf openpetition.de, dass das Fest nur 1,5 Prozent der Gesamtfläche des Geländes in Anspruch nehmen würde und am Rande des Areals nahe der Stadtautobahn stattfinden könne, ohne „Beeinträchtigungen der Anwohner oder des sonstigen Freizeitangebots“.

IHK-Wohnheim

Name: Wohnheim Reichsstraße zur Unterbringung von Flüchtlingen freigeben

Worum geht’s? Flüchtlinge sollen das Gebäude der IHK nutzen.

Wie viele sind dafür? 16 820

Hier ist ein Erfolg zu verzeichnen: Im August hatte Christoph Hübner von der Industrie- und Handelskammer Berlin gefordert, das leer stehende Wohnheim in der Reichsstraße 58 in Charlottenburg Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen. Am 16. September beschloss die IHK einstimmig, dort unbegleitete Minderjährige unterzubringen. Am 1. Oktober waren die ersten Jugendlichen schon eingezogen.

Das ungenutzte Wohnheim, das seit den sechziger Jahren der IHK gehört, soll eigentlich verkauft werden. Schon länger gab es die Überlegung, Flüchtlinge dort unterzubringen, doch konnten sich IHK-Geschäftsführung und Senatsverwaltung in Detailfragen nicht einigen. Die auf change.org von 16 820 Menschen unterzeichnete Petition von Hübner, seit 2012 Mitglied der IHK-Vollversammlung, trug womöglich zur Entscheidungsfindung bei.

Neue Heimat

Name: Zustimmung zum Nutzungskonzept der Neuen Heimat

Worum geht’s? Bezirksstadtrat soll Nutzungskonzept zustimmen und Baugenehmigung erteilen.

Wie viele sind dafür? 3026

Das war nix: Trotz mehr als 3000 Unterschriften konnten die Initiatoren der Petition auf change.org nicht verhindern, dass die Betreiber des Streetfoodmarktes Neue Heimat Insolvenz beantragen mussten und das östliche RAW-Gelände an einen Investor verkauft wurde, der Studentenwohnungen baut.

Vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hatten die Betreiber eine Zustimmung zum Nutzungskonzept und eine verbindliche Aussage zur Baugenehmigung für die Streetfoodhallen gefordert. Diese war ihnen überraschend vom Bezirksamt untersagt worden. Ein Hoffnungsschimmer, dass es bald wieder Markt und Musik für Flaneure und Genießer auf dem RAW-Gelände gibt, besteht aber noch: Die neuen Eigentümer wollen laut eigener Aussage das Gespräch mit der Neuen Heimat suchen.

Recht auf Unterrichtsgarantie

Name: 100 % Unterricht – Volksbegehren Unterrichtsgarantie

Worum geht’s? Eine verbindliche Unterrichtsvertretung soll per Gesetz gewährleistet werden.

Wie viele sind dafür? circa 13 000

In jedem Schuljahr werden etwa zehn Prozent des gesamten Unterrichts nicht regulär gegeben. Doch Schüler und Schülerinnen „haben ein Recht auf 100% Unterricht und Bildung“ finden die Vertreter des Vereins „Bildet Berlin e.V.“. Deshalb haben sie das Volksbegehren zur Unterrichtsgarantie gestartet.

Nach Angaben der Bildungsverwaltung fallen nur zwei Prozent der Stunden ersatzlos aus, der Rest werde vertreten. „Bildet Berlin“ sieht das anders und wirft dem Senat vor, das Ausmaß des Ausfalls zu verschleiern: Wenn die Kinder lediglich mit Aufgaben nach Hause geschickt oder wenn Klassen zusammengelegt würden, könne man eigentlich nicht von Vertretung sprechen.

Die Initiatoren wollen mehr Lehrer, um für jede ausfallende Stunde eine Vertretungskraft zu haben: „Wenn 10 Prozent des Unterrichts nicht regulär erteilt werden, braucht jede Schule eine Vertretungsreserve von 10 Prozent, damit 100 Prozent des Unterrichts garantiert stattfinden kann. Darum fordern wir eine garantierte Lehrkräfteausstattung von 110 Prozent an jeder Schule.“ Die Garantie eines Vertretungsservices soll per Gesetz verbindlich gemacht werden.

Anders als bei vielen Petitionen unterschreibt man hier nicht per Mausklick, sondern druckt auf der Website der Initiative (volksbegehren-unterrichtsgarantie.de) Listen aus, die unterschrieben eingeschickt und dann von den Wahlämtern in den Bezirken geprüft werden. Das wirkt zwar angesichts moderner Möglichkeiten der Meinungsäußerung etwas umständlich. Aber die per Hand unterschriebene Liste kann konkretere Folgen haben als der Mausklick: Ein Volksbegehren nämlich kann in einen Volksentscheid und anschließend in ein verbindliches Gesetz münden, das durch die Wählerinnen und Wähler erlassen wird. Etwa beim Volksentscheid über die Bebauung des Tempelhofer Feldes ist das Aktivisten geglückt.

Petitionen: Alte Idee, neue Möglichkeiten

Das Grundrecht

„Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“ So steht es im Grundgesetz. Und die Berliner Verfassung ergänzt, dass Petitionen „dem Schutz der Rechte der Bürger“ dienen.

Das Petitionsrecht ist also ein altes Instrument gegen die Willkür der Obrigkeit und den alltäglichen Wahnsinn des Verwaltungshandelns, erfunden von den römischen Kaisern. Deshalb auch der lateinische Name: „Petitio“, das Ersuchen. Friedrich der Große hat „Einwendungen und Bedenklichkeiten“ der Bürger erstmals 1794 im Allgemeinen Preußischen Landrecht verbindlich verankert.

Die Prüfung

In dieser Tradition steht das moderne Petitionsrecht in Bund und Ländern. In Berlin können Petitionen „einzeln oder gemeinsam mit anderen Personen“ schriftlich eingereicht werden. Zuständig ist der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses, der jährlich einen Bericht über seine Arbeit öffentlich vorlegt und verpflichtet ist, jede Eingabe sorgfältig und vertraulich zu prüfen. So können sich betroffene Bürger im Einzelfall bei Regierung, Behörden und Parlament Gehör verschaffen und Missstände anprangern. Übrigens auch dann, wenn sie keinen deutschen Pass haben. Petitionen sind ein Grundrecht für Jedermann.

Die Forderung

Kritiker wollen jedoch eine Reform. „Das Berliner Petitionsrecht ist ein Relikt aus grauer Vorzeit“, urteilt der bundesweit einflussreiche Verein „Mehr Demokratie“. In Berlin, aber auch in Brandenburg gebe es keine öffentlichen Petitionen, denen sich interessierte Bürger durch Mitzeichnung anschließen könnten.

Außerdem fordert „Mehr Demokratie“ eine verpflichtende Anhörung im Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses oder des Landtags in Potsdam, wenn mindestens 5000 bzw. 3000 Bürger in Brandenburg die Beschwerde unterstützen. Für die Bearbeitung einer Petition müsse es verbindliche Fristen geben. Der Verein „Mehr Demokratie“ kritisiert, dass die Verfahren nicht transparent seien. So seien weder in Berlin noch in Brandenburg Informationen der Petenten über den Status der Petition vorgesehen, noch bestehe die Verpflichtung, abgelehnte Petitionen zu begründen. Auch ausdrückliche Fristen für Rückmeldungen zum Stand des Verfahrens an den Petenten würden fehlen.

Die Onlinevariante

Der Bundestag kennt das Instrument der Onlinepetition, der andere Bürger öffentlich beitreten können, schon seit 2005. Vorbild war das schottische Parlament. In einem Internetforum können einzelne Beschwerden auch diskutiert werden. Ab 50 000 Unterstützern in den ersten vier Wochen muss der Beschwerdeführer im Petitionsausschuss des Bundestags öffentlich angehört werden, wenn nicht eine Zweidrittelmehrheit des Ausschusses dagegen spricht.

Vergleichbare Systeme, die eine Mitzeichnung und Diskussion erlauben, gibt es in den Ländern nur in Bremen und Rheinland-Pfalz. Der Petitionsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses bietet zwar auch ein Onlineformular an, um eine Eingabe aufzuschreiben. So spart man aber nur die Portokosten.

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