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Petra Pau gewinnt Marzahn-Hellersdorf auch diesmal direkt - ihre Partei, die Linke, schneidet schlechter ab. Die AfD ist zweitstärkste Partei.

© Gambarini/dpa

Update

Bundestagwahl: AfD gewinnt im Berliner Osten dazu - die Linke verliert

In Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg gewinnt die AfD weitgehend dazu – und die Linke verliert trotz populärer Frontfrauen in ihren Hochburgen.

Andreas R., einst Vermesser, nun unfallbedingt Frührentner, steht am Sonntag am Wahllokal in Alt-Marzahn und sagt: „Erststimme Petra Pau, Zweitstimme Christian Lindner.“ Sozialismus plus Marktliberalismus – wie bitte?! Vielleicht ist die Lage wirklich so verwirrend, führen die noch nicht beendete Flüchtlingskrise, die Dauerregentschaft Angela Merkels oder der Berliner Schlendrian tatsächlich zu solchem Votum.

Alt-Marzahn ist der pittoreske Dorfanger im Hochhausmeer des Berliner Ostens. Restaurierte Bauernhäuser, dazu Kirche, Kaninchen, Kneipe. Sicher, Marzahn sind auch Plattenbauten mit 20 Geschossen, die autobahnähnliche Landsberger Allee und die Allee der Kosmonauten. In einem soliden Wohnturm dort lebt Andreas R., er hat immer mit beiden Stimmen die Linke gewählt.

Was wollte Andreas R. von der FDP? Einen Ruck!

Der Wahlkreis- und Berliner Spitzenkandidatin Pau fühlt er sich verpflichtet: „Die tut was, die ist hinterher.“ Doch die Lage im Land mache ihm Angst. Entschuldigend sagt er: „Ich hätte fast AfD gewählt. Ich bin in der S-Bahn erst vor ein paar Tagen von Leuten angepöbelt worden, die kein Wort Deutsch konnten.“ Dann habe er sich gefragt, ob die AfD das Land führen könnte. Nun also Lindner, wobei Andreas R. in Marzahn-Hellersdorf nicht für Lindner selbst, sondern nur die FDP stimmen konnte. Was sich R. von Lindner verspricht? „’Nen Ruck!“

Im Osten Berlins ist die FDP immer isoliert gewesen; klar war, dass die AfD viele Proteststimmen holt. Als die Rechtspopulisten im Bund am Abend bei 13 Prozent standen, ahnten einige, was passieren würde: In Marzahn-Hellersdorf bekam die AfD – Stand 21.45 Uhr – fast 23, die Linke nur 25 Prozent und Pau als Direktkandidatin mehr Stimmen als ihre Linkspartei. Die nehmen viele offenbar nicht mehr als Proteststimme wahr. Die FDP übrigens hat ihr Ergebnis - Lindner machte offenbar was richtig - statt wie vor vier Jahren 1,7 nun 5,3 Prozent.

Petra Pau: "Wir werden weiter kämpfen"

Zur Wahl 2013 – die AfD war damals eine junge Professorenpartei – sah es in Marzahn-Hellersdorf so aus: Linke fast 33, AfD 6,4 Prozent. Pau holte das Direktmandat mit 39 Prozent. Nach der Flüchtlingskrise lag die AfD bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 in Marzahn-Hellersdorf mit 23,6 vor der Linken mit 23,5 Prozent. Die AfD-Mandatsträger haben Bezirksdebatten mitbestimmt, heute säumen ihre blauen Plakate die Straßen.

Am Sonntag hat Petra Pau in ihrem Marzahner Wahllokal fast am Stadtrand ihre Stimme abgegeben – und 30 Minuten vor dem Wahllokal gewartet: „Die Schlange war lang, das hat mich gefreut.“ Pau, die seit der Wende zu den aktivsten Politikerinnen des Landes gehört, sagte, als der AfD-Wahlerfolg absehbar war: „Wir werden weiter kämpfen müssen.“

Später zeigte Pau sich zufrieden damit, dass ihre Partei und sie selbst im Wahlkreis vorn lagen sowie die Linke landesweit sogar leichte Gewinne verbuchte - schließlich war Pau in diesem Jahr Berliner Spitzenkandidatin. "Ein Wermutstropfen ist, dass mit der AfD eine nationalistische und rassistische Partei in den Bundestag eingezogen ist", sagte Pau. "Die Gesellschaft ist weit nach rechts gerückt - und das gilt auch für Marzahn-Hellersdorf." Die Linke müsse nun dafür sorgen, dass sie weiterhin in der Gesellschaft verankert und bei den Bürgern bleibe. Pau: "Eine Partei für den Alltag und nicht nur für den Wahltag."

Demografisch, straßenweise auch städtebaulich ist der Nachbarbezirk ähnlich: Auch in Lichtenberg holte die Linke 2013 satte 34 Prozent und die ebenfalls seit der Wende aktive Gesine Lötzsch das Direktmandat: Lichtenberg war der linkeste Wahlkreis – bis die AfD 2016 zur Berlin-Wahl 19 Prozent bekam. Am Sonntag, Stand 23.40 Uhr, bekam die AfD wohl wieder annähernd so viele Stimmen. Die Linke nur noch 29 Prozent. Lötzsch, die erfolgreicher war als ihre Linkspartei, sagte: „Wir müssen auch im Bundestag deutlicher machen, dass die AfD ein Kind der CDU ist, schon von ihrem Personal her, und eben keine Protestpartei.“

Um die Russlanddeutschen buhlte die AfD

Anders als viele im bürgerlichen Westen glauben, gibt es in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg gute Sushi-Lokale, Einfamilienhäuser, aufstiegsorientierte Facharbeiter. Und Einwanderer, je nach Zählweise mehr als 20 Prozent der Bevölkerung. Nach der Wende kamen viele „Russlanddeutsche“, eigentlich waren es Familien von überall aus der zerfallenden Sowjetunion. Die AfD hat explizit versucht, diese Community anzusprechen. Inwiefern die Russlanddeutschen AfD wählten, müssen Detailanalysen zeigen.

Im beschaulichen Süden Marzahns, in Biesdorf, steht am Sonntag auch Elena S. vor einem Kiosk und kauft Saft. Sie sagt, sie sei in Bosnien geboren, wohne mit Mann und Katzen in einem schönen Haus. Elena S. sagt sofort: „Ich war für die AfD.“ Ihr gehe es um eine Stimme für die Sicherheit, nicht mal darum, Merkel abzulösen. „Die kann gern bleiben.“

Für die Linke muss sich sowas am schlimmsten anhören.

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