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Gutes im Sinn. Initiator Mohammed Noor Al-Gosh (l.) und viele andere Geflüchtete vor allem aus Syrien spenden unter anderem an der Charité Mitte Blut als Zeichen der Solidarität.

© Doris Spiekermann-Klaas

"Bluten für Deutschland": Flüchtlinge spenden Blut für Berliner Terroropfer

Der Anschlag vom Breitscheidplatz schockte auch Geflüchtete. Junge Syrer laden in der Charité zur Aktion „Bluten für Deutschland“.

„Blut ist ein ganz besondrer Saft.“

(Teufel Mephisto in Goethes Faust, zum Abschluss des Teufelspaktes)

Nein, um Unterschriften wie der mit Fausts Blut geht es am Mittwoch in der Charité nicht. Aber Mohammed Noor Al-Gosh fällt dieser bekannte Ausspruch aus dem „Faust“ ein, als er im Zentrum für Transfusionsmedizin und Zelltherapie Berlin in Mitte von seiner Idee erzählt. Es ist eine Vision der Hilfe, der Dankbarkeit, die ihm nach dem Terroranschlag vom Breitscheidplatz kam. Daraus wurde die Initiative mit dem Titel „Bluten für Deutschland“.

Bei der bundesweiten Aktion, bei der junge Syrer wie der 24-jährige Medizinstudent Noor Al-Gosh Blut für Krankenhauspatienten spenden, wollen Geflüchtete ein Zeichen der Solidarität mit dem Land setzen, was sie aufgenommen hat. „Es sollen Leben geschützt, Verletzten geholfen und es sollen Krankheiten überwunden werden“, sagt Mohammed Noor Al-Gosh, „und wir wollen auch ein Zeichen gegen den Terrorismus und das Fehlverhalten Einzelner setzen.“ Die 20 Euro, die es üblicherweise nach einer Blutspende bei der Charité gibt, will der junge Syrer aber nicht ins Portemonnaie stecken. „Geld anzunehmen, wenn man etwas Gutes tun möchte, würde ja der Idee des Helfens widersprechen.“

Idee kam von "Bluten für Union"

Daher steht auch an diesem Mittwoch auf dem Tisch im Wartebereich des Blutspendezentrums an der Schumannstraße 22 in Mitte eine Spendenbüchse. Die meisten der hier Versammelten werfen das Geld dort ein, es soll gesammelt werden, um den Obdachlosen in Berlin zu helfen. Mit einer eigenen Aktion oder einem Wohlfahrtsverband. Die Initiatoren von „Bluten für Deutschland“ hoffen, dass möglichst viele Blutspender, gleich welcher Herkunft und Nationalität, teilnehmen. „Bluten für Deutschland“, dieser Slogan ist eine Weiterentwicklung der Aktion „Bluten für Union“. Da hatte schon 2004 Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Blut und die Aufwandsentschädigung zugunsten des Vereins 1. FC Union gespendet.

Mohammed Noor Al-Gosh selbst hatte Glück, als er von Ägypten aus kommend bis Italien auf einem Schlepper-Boot mit hunderten anderen Flüchtlingen 25 Tage auf hoher See verbrachte bis das Rote Kreuz die Menschen schließlich auf dem Meer entdeckte.

Aber jetzt geht es nicht darum, dass ihm geholfen wird, sondern dass er anderen helfen möchte. Bei dem Initiator der Aktion sitzt eine junge Frau am Tisch, es ist Farah Khalifeh, 23, Studentin der Sozialarbeit an der Fachhochschule in Potsdam. Die junge, ebenfalls aus Syrien stammende, Frau aus Moabit liest den Fragebogen, den jede Blutspenderin und jeder Blutspender vorher ausfüllen muss. Darin stehen 60 Fragen wie jene, ob man mit einem bisexuellen Mann Geschlechtsverkehr hatte, ob man in Haft war oder vor 1986 mit Hormonen der Hirnanhangdrüse behandelt wurde. Jeder Blutspender muss mindestens ein halbes Jahr in Deutschland sein, die Frist hat etwa mit dem potenziellen Nachweis im Blut etwa von Malaria-Erregern zu tun. Mitgebracht werden muss ein gültiges Ausweisdokument.

Auch in Dortmund, Bochum und Köln wird gespendet

„Ich finde die Aktion toll, denn das sind junge Syrer, die ihre Bereitschaft zeigen, sich zu integrieren und helfen zu wollen. Das ist einfach schön“, sagt Majd Abdulla, Deutsch-Syrer, der einst für seine Facharztausbildung nach Berlin kam und jetzt als Transfusionsmediziner an der Charité arbeitet.

Mit „Bluten für Deutschland“ wollen aber Geflüchtete nicht nur an der Charité in Berlin „der Überzeugung Ausdruck verleihen, dass alle einer Gesellschaft, einer toleranten, großen Familie angehören“, wie in einer Mitteilung zu lesen ist. Auch in Kliniken in Dortmund, in Bochum und in Köln gibt es diese Hilfsaktionen. Bei einer ersten Pilotblutspendeaktion in Berlin am 17. Januar waren es mehr als ein Dutzend Menschen, die in die Schumannstraße kamen. Am Mittwoch erwarteten die Initiatoren rund 20 bis 30 Spender; bis der Prozess einmal durchlaufen ist, dauert es ja etwa eine Stunde, und so viele Sitzplätze im Warteraum gibt es auch nicht – der normale Betrieb soll durch womöglich zu viele Interessenten nicht beeinträchtigt werden, sagt Mohammed Noor Al-Gosh. Die Blutgruppe 0, Rhesusfaktor positiv oder negativ, wird besonders häufig benötigt, die Spender müssen volljährig sein.

Wenn man sich in dem Kreise der zumeist aus Syrien stammenden jungen Blutspender, meist Studenten oder ehemalige Studierende, umhört, erfährt man, dass das Blutspenden in ihrer alten Heimat eine ganz andere Bedeutung hat als in Deutschland. In Syrien nämlich sei die Blutspende eine Art staatliche Zwangsveranstaltung. Jeder, der studieren will oder zum Militär muss oder seinen Führerschein machen möchte, wird gezwungenermaßen zur Ader gelassen, ob er es will oder nicht. Und dann würden nicht etwa 450 oder 500 Milliliter, sondern gleich 1000 abgenommen. Daher sei Blutspenden nicht gerade positiv belegt. „Diese Kultur wollen wir aber ändern und uns dem anschließen, wie das Blutspenden hier in Deutschland gesehen wird, als Zeichen der Hilfe“, sagt Mohammed Noor Al-Gosh.

Beim Blutspenden gibt es ausnahmsweise keine Bürokratie

Er weiß einen Mitstreiter an seiner Seite, der schon viele Jahrzehnte einiges bewegt hat. Hardy Schmitz war mal in der Geschäftsführung der Adlershofer Wista-Management GmbH und hatte da allerlei Gründungserfahrung gesammelt. Mohammed Noor Al-Gosh lernte er bei einem privaten Essen kennen und aufgrund seiner Kochkünste und dann natürlich auch menschlich schätzen. So haben er und seine Frau den jungen Mann als Untermieter im Einfamilienhaus aufgenommen und er fühle sich, wie er sagt, „bereichert“ von all den jungen Menschen, die mit so viel Elan und Ehrgeiz in ihr neues Leben gestartet sind. Jetzt hat Hardy Schmitz in Charlottenburg ein Kulturprojekt begründet, den Verein „InterK(ult)urAnstalten Westend“, nur noch auf die Räumlichkeiten warte er bei dem vom Masterplan Integration und Sicherheit geförderten Begegnungsprojekt. Gern unterstütze er Neuankömmlinge. Wie Jihad Tello, der aber schon mit unverkennbarem Berliner Zungenschlag parliert. Tello wünscht sich einen Diskurs über den Begriff Integration, den zurzeit jeder „nach seinem Gutdünken anderes interpretiere“.

Ein anderer Blutspender, Hussam Al-Ghorani, wünscht sich, wie viele andere engagierte junge Syrer hier, dass es mehr Arbeitsmöglichkeiten und Infoveranstaltungen für Geflüchtete mit Uni-Abschluss und ähnlich hohem Bildungsgrad gibt. Da bleibe in Deutschland viel Potenzial ungenutzt. Oder diese mitunter – verteufelte, mag man fast sagen – Bürokratie. Mohammed Noor Al-Gosh hat extra an der renommierten Hartnackschule seinen C1-Deutsch- Nachweis gemacht, aber dann wäre fürs berufliche Weiterkommen der Test DAF/DSH erforderlich gewesen. Wieder ein halbes Jahr Verzögerung, bedauert er. So langsam solle es jetzt beim Blutspenden aber ganz und gar nicht vorangehen.

Alle Infos auf Facebook in Arabisch und Deutsch bei der Veranstaltung „Bluten für Deutschland“. Oder melden beim Blutspendezentrum der Charité, Campus Mitte, Telefon 450 525 167. Übrigens: Der Verein InterK(ult)urAnstalten Westend lädt am Freitag, 10. Februar, um 19 Uhr zum Filmclub und zeigt „Good Bye Lenin“ auf Deutsch mit arabischen Untertiteln als Auftakt einer Filmreihe mit Berlin-Klassikern. Einführung für neue Berliner von Reinhard Fischer (Landeszentrale für Politische Bildung), übersetzt ins Arabische von Jihad Tello. Ulme 35, Ulmenallee 35, 14050 Berlin-Westend, Infos: Telefon 30 61 29 97. Email: info(@)interkulturanstalten.de.

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