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Schätzungsweise 44.000 Menschen tummelten sich am 1. Mai auf dem Myfest in Kreuzberg - und doch fand sich immer wieder ein Plätzchen zum Entspannen.

© Thilo Rückeis

Bilanz zum 1. Mai in Berlin: Myfest voll, viel Party, wenig Randale

44.000 Besucher in Kreuzberg: Das Myfest zog die Massen an, die BVG stieß an ihre Grenzen. Hier demonstrierten Linke, dort die Gewerkschaften. Am 1. Mai war viel los in Berlin - aber offenbar weitgehend friedlich.

Myfest, DGB-Kundgebung, Ausflügler, Open-Air-Partys: Berlin hat am Tag und in der Nacht einen weitgehend friedlichen 1. Mai erlebt, mit ausgelassenen Feiern und ohne schwere Randale. So lautet jedenfalls die vorläufige Bilanz. Einzelheiten wollen Innensenator Frank Henkel und Polizeipräsident Klaus Kandt erst am Nachmittag bekanntgeben. "Überschaubar, wie an einem normalen Wochenende" sei das Einsatzaufkommen für den Rettungdienst gewesen, war bereits von der Feuerwehr zu hören.

Die ganze Stadt schien an diesem Tag in Bewegung - so weit es die BVG ermöglichen konnte. Auf dem Kreuzberger Mariannenplatz war der Andrang am Nachmittag so groß, dass die völlig überfüllten U-Bahnzüge der Linie 12 an einigen Bahnhöfen nicht mehr hielten. Am Nachmittag wurden die Stationen Kottbusser Tor und Görlitzer Bahnhof geschlossen und bis spät in die Nacht „auf Anweisung der Polizei“, so erklärte die BVG, nicht mehr geöffnet. Die Menschenmassen waren einfach nicht mehr zu bewältigen. 44.000 Besucher drängelten sich nach Schätzungen der Polizei rund um die Oranienstraße. Auch mehrere Zugänge zum Myfest wurden gesperrt.

Und die linken Demonstranten? Kamen kaum durch. Kurz nach fünf Uhr formierte sich zwar einige Autonome im schwarzen Block zur traditionellen Spontandemo am Mariannenplatz. Doch es waren nur einige Dutzend, die hinter dem Fronttransparent herzogen, weit weniger als sonst, laut skandierend, aber bald ausgebremst von der schieren Menschenmenge auf dem Myfest. Nach wenigen Minuten griff die Polizei ein, entriss den Demonstranten das Banner - und die Gruppe zerstreute sich.

18.000 Teilnehmer bei Demo am Abend

Erst am Abend, zum Ende der anschließenden Revolutionären 1.-Mai-Demo, drohte der friedliche Tag doch noch in Krawalle abzudriften. Kurz nach 21 Uhr schien die Stimmung zu kippen, wenn auch nur kurz. Da war die Demo eigentlich schon fast vorbei, der Endpunkt Lausitzer Platz nach einem gut zweistündigen Marsch durch Kreuzberg und Neukölln erreicht. Nur war der Platz denkbar ungeeignet als Endpunkt solch eines Massenauflaufs: Rund 18.000 Teilnehmer auf der einen, das überfüllte angrenzende Partygelände des Myfests auf der anderen Seite – das wäre schon alleine problematisch geworden.

Und nun versuchte die Polizei auch noch, einzelne wiedererkannte Straftäter herauszufischen, die sich zuvor vermummt oder mit Glasflaschen geworfen hatten. Dies steigerte sofort das Aggressionspotenzial, rund 20 Beamte kesselten die Straftäter ein, während Demonstranten versuchten, sie davon abzuhalten – noch mit halbwegs friedlichen Mitteln. Als aber von der Skalitzer Straße Mannschaftswagen als Verstärkung anrückten, hagelte es Pflastersteine, Flaschen und Böller. „Hubschrauberabsturz“ grölte die Menge, was auf den über ihnen kreisenden Polizeihubschrauber zielte. Die Lage war für wenige Minuten chaotisch. (Lesen Sie hier die Einzelheiten in unserem Liveticker zum 1. Mai nach.)

Gerhart-Hauptmann-Schule ohne Zwischenfälle passiert

Bis dahin war das Polizeikonzept gut aufgegangen, Kreuzberg erneut von den Gewaltexzessen früherer Demonstrationen am 1. Mai verschont geblieben. Ohne Zwischenfälle war kurz nach Beginn der Demo die von Flüchtlingen besetzte Gehart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße passiert worden, durch die Polizei, die insgesamt 6200 Beamte aufgeboten hatte, gut gesichert. Auch später am Hermannplatz waren Karstadt und Deutsche Bank vorsorglich durch Beamte geschützt worden, andere Geschäfte hatten ihre Schaufenster verrammelt. Es blieb dort wie auch im weiteren Streckenverlauf bei einzelnen Würfen von Steinen und Flaschen, Farbbeuteln, Böllern, auch einige Scheiben gingen zu Bruch.

Während er Zugriff der Polizei am Ende der 1.-Mai-Demo nicht ganz reibungslos verlief, ging er in der Walpurgisnacht in Wedding und Prenzlauer Berg ohne größere Unruhe vonstatten. Zwischen 2700 (laut Polizei) und 5000 Menschen (laut Veranstalter) hatten dort in der Nacht von Donnerstag auf Freitag „gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung“ demonstriert. Nur ein einziges echtes Vorkommnis gab es zu verzeichnen: Ein Beamter wurde durch einen Stein am Rücken leicht verletzt. 15 Personen wurden vorübergehend festgenommen. Das erfolgte ebenfalls am Ende der Demo im Bereich U-Bahnhof Eberswalder Straße. Die Polizei hatte mit 2400 Beamten die Lage so gut im Griff, dass alle erkannten Straftäter festgenommen werden konnten. (Lesen Sie hier die Einzelheiten in unserem Liveticker zur Walpurgisnacht nach.)

3000 Gewerkschafter demonstrierten in Mitte

Vor dem Brandenburger Tor fand die am Mittag die Abschlusskundgebung der DGB-Demo zum Tag der Arbeit statt.
Vor dem Brandenburger Tor fand die am Mittag die Abschlusskundgebung der DGB-Demo zum Tag der Arbeit statt.

© Lea Frehse

Mit einer Demonstration begann auch der Morgen des 1. Mai. Etwa 3000 Gewerkschafter zogen ab 10 Uhr durch Mitte, danach versammelten sie sich zur 1.-Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am Brandenburger Tor. Feiertagsruhe gilt für Gewerkschaftsaktivisten am 1. Mai nicht. Viele Teilnehmer des DGB-Umzuges rückten überpünktlich am Hackeschen Markt an, um sich für die Demo zu formieren. Mitglieder von Verdi, GEW & Co., von sozialen Bündnissen und linken Parteien rollten ihre Transparente aus, ließen die Thermoskannen mit heißen Getränken kreisen, um schließlich gen Brandenburger Tor zu ziehen.

Angesichts der Einführung des Mindestlohns erst vor wenigen Monaten hatten die Gewerkschaften Grund zu feiern. Doch, so betonte Doro Zinke, Chefin des DGB-Landesverbandes Berlin-Brandenburg: "Wir wollen uns nicht damit begnügen, das zu verteidigen, was wir erreicht haben." Bei aller Freude über den Mindestlohn war bei Einzelgewerkschaften auch Sorge zu hören.

"Stimmung gut, aber früher war mehr los"

Zahlreich erschienen die Mitarbeiter von Berliner Kliniken. Beim Land Berlin dürfe es keine sozial unabgesicherten, zeitlich begrenzten prekären Beschäftigungen geben, forderten sie. An der Charité hatten erst am Montag und Dienstag hunderte Pflegekräfte ihre Arbeit niedergelegt. Sie protestieren gegen Überlastung und fordern, dass weiterhin alle Angestellten der landeseigenen Kliniken nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt werden.

Am Brandenburger Tor erinnerte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann an die Anfänge des 1. Mai. Die 14-Stunden-Tage seien noch längst nicht überall auf der Welt überwunden. Die Bilanz eines Gewerkschafters: "Die Stimmung ist gut, aber früher war mehr los."

Erst als die Maifest-Meile auf der Straße des 17. Juni eröffnet wurde und sich am Myfest vom Oranienplatz bis zum Bethanien Groß und Klein drängelte, gab es keine Klagen mehr über mangelndes Interesse. Auf der Bühne "Berlin lacht" unterhielten Jongleure das Publikum, Jamaikaner grillten, antifaschistische Gruppen verkauften Friedenstauben gegen Nazis. Von Aggression keine Spur. Das Konzept des vor 13 Jahren erfundenen Myfestes war erneut aufgegangen.

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