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Familienpflege im Wochenbett: Nicht nur bei schwerer Krankheit, sondern auch bei Früh- und Mehrlingsgeburten können Familien Hilfe bekommen

© Weg der Mitte

Zehlendorfer Verein „Weg der Mitte“ schlägt Alarm: Familienpflege: Immer weniger Hilfe für Familien in Not

Seit dreißig Jahren hilft der gemeinnützige Zehlendorfer Verein „Weg der Mitte“ Familien in Not, der Bedarf ist groß. Doch stagniert das Entgelt für Familienpfleger seit 23 Jahren – kostendeckend zu arbeiten sei unmöglich, sagt Astrid Kleinke, Leiterin der Sozialen Dienste von „Weg der Mitte“, im Interview.

Frau Kleinke, bitte erklären Sie mir, wann und wie Familienpfleger Familien in Not helfen können.

Meist sind die Krisensituationen mit einer schweren Krankheit der Mutter oder des Vaters verbunden – bis hin zum Tod eines Elternteils. Auch chronische oder psychische Erkrankungen belasten Familien sehr stark. Ein anderes Beispiel dafür, wann Familienpflege gebraucht wird, sind Früh- oder Mehrlingsgeburten. Auch in diesen Belastungssituationen benötigen Familien Begleitung. Zu Beginn jeder Krise haben viele Familien zwar noch persönliche Ressourcen, zum Beispiel Menschen, die sie unterstützen. Doch dauert die Krise an, sind diese Ressourcen sehr schnell erschöpft, und dann stellen sich die großen Fragen: Wer versorgt die Kinder? Wer besorgt den Haushalt? Wer macht diese ganzen alltagspraktischen Dinge? Das machen Familienpfleger.

Kümmern Sie sich vorrangig um die Kinder?

Eine Familie funktioniert ja nur als Ganzes. Die Kinderbetreuung gehört genauso zu unseren Aufgaben wie Gespräche mit den Eltern und die gesamte Haushaltsführung. Ziel der Familienpflege ist es, dass die Familie als Familie weiter bestehen kann und vor allem die Kinder zuhause bleiben können. Wir arbeiten sehr niedrigschwellig, die Akzeptanz der Familien, Hilfe anzunehmen, ist sehr groß.

In einer Pressemitteilung schreiben Sie, dass nur noch wenige Verbände Familienpflege anböten. Wo liegt das Problem?

Familien in Not haben einen gesetzlichen Anspruch auf Familienpflege. Die Kosten übernehmen die Krankenkassen oder die Jugendämter – und hier liegt das Problem. Seit 1993 – also in 23 Jahren – ist der Stundensatz für Familienpflege um lediglich 40 Cent erhöht worden. 1993 haben wir 39,89 DM bekommen, 2017 bekommen wir 20,81 Euro pro Stunde – das ist einfach zu wenig. So kann kein Anbieter kostendeckend wirtschaften, der mit sozialversicherungspflichtigem und qualifiziertem Personal arbeitet. Wir machen seit circa dreißig Jahren Familienpflege, haben an die 20 000 Kinder betreut und 10 000 Familien begleitet: Wir mussten erleben, dass ein Anbieter nach dem anderen aufgehört hat, weil er das finanziell nicht mehr stemmen konnte. Die Situation stellt sich in Berlin dramatisch dar, Familien finden oft keine Hilfe.

Was für ein Stundensatz wäre denn aus Ihrer Sicht angemessen?

Eine konkrete Zahl will ich hier nicht nennen. Auf alle Fälle läge sie weit über dem Satz, der jetzt finanziert wird. Ein Stundensatz zwischen 30 und 35 Euro wäre angemessen.

Der „Weg der Mitte“ hat sich zu seinem 40-jährigen Bestehen in Kooperation mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband ein Fachgespräch mit Experten von Senat, Jugendämtern, Anbietern von Familienpflege und Wissenschaft geschenkt. Zu welchen Ergebnissen kam diese Expertenrunde?

Alle waren sich einig, dass die Versorgungslage der Familien verbessert werden muss. Es gibt jetzt eine temporäre Arbeitsgruppe, in der Vertreter der Senatsverwaltung, wir als Träger, die Arbeiterwohlfahrt und der Paritätische Wohlfahrtsverband zusammenwirken und neue Rahmenrichtlinien sowie angemessene Entgelte für die Familienpflege entwickeln.

Ist es wirklich ein Fortschritt, eine Arbeitsgruppe einzurichten?

Aus unserer Sicht ist das eine Chance für die Familienpflege und für die Familien, die dieses Angebot in Anspruch nehmen müssen. Wir sind wieder im Gespräch.

Warum waren die Krankenkassen nicht zum Fachgespräch eingeladen?

Das war auch ein Ergebnis des Fachgesprächs: Die Krankenkassen müssen als nächstes an den runden Tisch geholt werden. Aktuell werden die Familien – also wir auch – zwischen Krankenkassen und Jugendämtern wie ein Pingpongball hin und her gespielt. Beide möchten möglichst wenig Geld ausgeben und sagen gerne, der andere sei zuständig. Das geht zu Lasten der Familien. Ein Beispiel: Wenn eine Mutter schwer krank ist und die Familie von der Krankenkasse Familienpflege erhält, dann endet für die Krankenkasse mit dem Tod der Mutter auch die Familienpflege. Dabei bräuchte die Familie jetzt gerade Unterstützung. Das Jugendamt müsste also sofort sagen, wir übernehmen die Finanzierung. Doch haben wir gerade ein Jugendamt erlebt, das die Kostenübernahme verweigerte. Unsere Forderung ist, dass Finanzierung und Verfahren klarer und einfacher werden müssen. Das Pingpongspiel muss aufhören.

Sie sind ein Zehlendorfer Verein: Was könnte das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf tun, dieses Umdenken bei den Kostenträgern zu fördern?

Zunächst einmal wäre es gut, wenn allen Sozialarbeitern die Familienpflege als mögliche Leistung bekannt wäre. Dazu würde gehören, dass die Richtlinien bekannt sind, wann Familienpflege gewährt werden kann. Generell könnte sich das Bezirksamt gegenüber der Senatsverwaltung für Familienpflege stark machen.

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