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In vielen Kitas und Schulen wurde gerade mal wieder eine Frage diskutiert: Dürfen die Kinder "Waffen" mit zum Fasching nehmen. Aber ja, sagt unsere Autorin. Warum? Einfach den Text lesen!

© Imago

"Waffen" zum Kinderfasching?: Räubertochter mit Pfeil und Bogen

Ein grünes Räuberkostüm - fand die Tochter okay. Aber nur mit Pfeil und Bogen! Doch plötzlich wurde in der Familie heftig diskutiert: Dürfen Waffen mit zum Fasching? In Zehlendorf wird darüber gerade an vielen Kitas und Schulen diskutiert. Hier schreibt eine Mutter ihre Meinung.

Jetzt ist es soweit. Und meine Entscheidung ist gefallen! Seit Tagen war ich nämlich im Stress. Ein Gedanke bewegte sich in einer Endlosschleife durch mein Gehirn: Darf meine siebenjährige Tochter, die die 2. Klasse einer Zehlendorfer Grundschule besucht, zur Schulfaschingsfeier Pfeil und Bogen mitnehmen?

Als wir dies zu Hause diskutieren, warnt unser ältester Sohn: „Es ist verboten so etwas in die Schule mitzubringen!“ Ich fahnde in seinem Gesicht nach Ironie, doch da ist keine. Ernst sieht er mich an, und ich frage mich, ob er ein Trauma davongetragen hat, weil er miterleben musste, wie seine Mutter von der Grundschullehrerin gerügt wurde, weil der Sohn eine Pistole dabei hatte. Eine aus Holz und Metall, die gehörig knallt, wenn Zündplättchen verwendet werden. Damals, es mag im Jahr 2007 gewesen sein, dachte ich, eine solche Spielzeugpistole sei angemessen, wenn der Junge am Faschingsdienstag als Cowboy das Elternhaus verlässt.

Und unser mittlerer Sohn erinnert mich mit hochgezogenen Augenbrauen: „Mama! Stichwort Plastikmesser!“ Da fällt mir wieder ein, dass auch ihn – einen Indianer - mal der Zorn einer Vorschulerzieherin traf, als er seinem Freund bei der Faschingsfeier mit einem biegsamen Plastikmesser den Skalp entfernen wollte.

"Hallo, sind alle irre geworden?"

„Die Waffen wird die Lehrerin einkassieren“, sagt jetzt mein Mann, wobei er schmunzelt und das Wort „Waffen“ genüsslich betont.

„Waffen?“, rufe ich entgeistert. Hallo?! Sind denn hier alle irre geworden? Ich hole die Waffen, die ich für 2,99 Euro in der Ladenstraße gekauft habe und zeige sie her: Einen Flitzebogen aus zerbrechlichem Hartplastik und drei Pfeile, die aussehen wie lange Strohhalme mit Saugnoppen vorne dran. „Das Schlimmste was, meiner Ansicht nach, passieren kann“, behaupte ich, „ist, dass sich ein abgeschossener Pfeil an der Fensterscheibe festsaugt!“

„Trotzdem!“, beharrt unser Ältester, „es geht ums Prinzip!“

Zum Glück ist unsere Jüngste nicht anwesend. Sie hätte jetzt vermutlich einen Tobsuchtsanfall gekriegt. Das Faschingsthema lautet in diesem Jahr „Märchen“.  Eigentlich hatte sie darauf bestanden, als Schneeweißchen zu gehen. Doch alle Kleider, die zur Auswahl standen, sprengten schmerzlich den von uns Eltern gesetzten Kostenrahmen. Auf dem letzten Drücker fanden wir ein schönes grünes Räuberkostüm. „Guck mal, das passt doch prima zu Märchen!“, lockte ich. Die Tochter war einverstanden, unter der Bedingung, auch noch eine Räuberwaffe zu bekommen. Und so erstand ich Pfeil und Bogen.

„Kinder kann man nicht erziehen. Sie machen einem eh alles nach.“ Unsere Autorin plädiert dafür, sich den eigenen Schwächen zu stellen und bereit zu sein, die Munitionskiste mit den Waffen zu öffnen...
„Kinder kann man nicht erziehen. Sie machen einem eh alles nach.“ Unsere Autorin plädiert dafür, sich den eigenen Schwächen zu stellen und bereit zu sein, die Munitionskiste mit den Waffen zu öffnen...

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Und nun geht es also ums Prinzip. Was soll ich tun? Mich an das „Waffenkontrollgesetz“ der Schule halten oder mich unwissend stellen und dem arglosen Kind Pfeil und Bogen einfach mitgeben? Um zum dritten Mal die gleiche Erfahrung zu machen: „Sie müssten doch eigentlich wissen, dass es nicht erlaubt ist!“

Oh Kindheit! Ich sehne mich nach dir! Auch wir verkleideten uns an Fasching als Cowboy, Indianerin, Förster, Astronaut, Prinzessin. Und wenn zu einem Kostüm ein Gewehr, Pfeil und Bogen, eine Pistole, ein Messer gehörten, dann hatten wir diese „Waffen“ auch dabei, verdammt noch mal. Und niemand wurde erschossen, aufgespießt oder verwundet. Wir  Kinder wussten sehr wohl, dass wir „nur im Spiel“ den jeweiligen Spielgefährten „umlegten“, um gleich darauf zu tauschen, damit auch dieser mal in den Genuss kam, der „Böse“ zu sein.

Ein Leben nur in Liebe gibt es nicht

Das waren andere Zeiten, höre ich jetzt gleich den Zensor in meinem Kopf: Damals gab es noch nicht so viel Gewalt an den Schulen, auch die generelle Schwelle Gewalt auszuüben war deutlich geringer, als heute in Zeiten von Kriegs-Computerspielen und brutalen Fernsehschockern. Ja, das ist sicher richtig, antworte ich mir selbst. Doch es ist ebenso bekannt, dass jedwede Verneinung von Aggression nun mal nicht dazu führt, das wir keine haben! Geht es nicht vor allen Dingen darum, zu lernen richtig damit umzugehen, anstatt sie zu unterdrücken? Ist es nicht erstrebenswert, ein Gleichgewicht aller Gefühle, der „guten“ wie der „schlechten“ zu erreichen, die uns nun mal steuern? Ein Leben nur in Liebe ist erstrebenswert, gibt es jedoch nicht. Eins ohne Aggressionen aber auch nicht. Und in so manchen Lebenslagen sind Aggressionen ja durchaus hilfreich und angemessen, etwa um sich abzugrenzen, sich durchzusetzen, nein zu sagen. Nur sollte den Kindern der richtige Umgang damit vorgelebt werden.

Meine Tochter liebt den schwedischen Kinderbuchhelden Willi Wiberg. In "Bist du feige, Willi Wiberg?" wird erzählt, dass der Sechsjährige sich mit anderen Kindern nicht hauen will, auch wenn er für feige gehalten wird. Und in einer Szene des Buches mahnen die Erwachsenen: „Pfui, schlagt euch nicht Kinder! Man muss sich vertragen. Und keine Gewalt anwenden. Pfui!“ Auf der nächsten Seite sind diese Erwachsenen vor dem Fernseher zu sehen, sie gucken einen Krimi, in dem gerade jemand mit einer Pistole bedroht wird. Und es heißt über die Großen: „… aber dann gucken sie sich Krimis im Fernseher an, ihnen gefallen aufregende Schlägereien und pengpeng.“

Auf einer Ansichtskarte, die bei uns am Küchenschrank hängt, steht: „Kinder kann man nicht erziehen. Sie machen einem eh alles nach.“

Und von Mutter Teresa stammt schließlich dieser weise Spruch: „Was kannst du tun, um den Weltfrieden zu fördern? - Geh heim und liebe Deine Familie!“

Stellen wir uns unseren Unzulänglichkeiten

Jawohl! Die Familie ist und bleibt die Keimzelle für alles Verhalten in unserer Gesellschaft. Und nur an unseren Taten werden wir gemessen. Keine Kindergärtnerin, kein Lehrer, kein Horterzieher vermag zu richten, was Eltern versäumen. Herrscht zu Hause kein Frieden, weil der Vater mit sich selbst im Krieg liegt, so erzeugt er Konflikte in seiner Umgebung. Herrscht zu Hause kein Frieden, weil die Mutter mit sich selbst keinen Frieden schließen kann, so kann sie auch an ihren Mitmenschen nicht annehmen, was sie an sich selbst ablehnt. Oder herrscht zu Hause kein Frieden, weil gar die Eltern miteinander im Krieg liegen, kann den Kindern nicht vermittelt werden, was Liebe wirklich ist. Dann bitte: Pfeil und Bogen zu Hause lassen!

Nicki Pawlow ist Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie in Zehlendorf.
Nicki Pawlow ist Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie in Zehlendorf.

© Dieter E. Hoppe/promo

Für mich habe ich dabei erkannt: Nobody is perfect. Nicht als Mutter, nicht als Vater. Wir alle haben unsere Unzulänglichkeiten. Was hilft? Sich diesen Schwächen stellen und bereit sein, die Munitionskiste mit den Waffen zu öffnen, die wir täglich gegen uns selbst richten. Und damit auch gegen andere.

Bleibt am Ende noch die Frage: Darf meine Räubertochter am Faschingsdienstag Pfeil und Bogen mit in die Schule nehmen? Ehrlich gesagt: Ich glaube schon.

Nicki Pawlow ist Schriftstellerin und lebt mit ihrer Familie seit 14 Jahren in Zehlendorf. Sie wuchs in der ehemaligen DDR auf und floh 1977 mit ihren Eltern in den Westen. Seit 2006 veranstaltet sie in ihrem Wohnzimmer den Künstlersalon SÜ36. Vor kurzem erschien ihr autobiografisch inspirierter Familienroman „Der bulgarische Arzt“ im Münchener Verlag Langen Müller.

Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin aus dem Südwesten.

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