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Prominent nachgefragt: Michael Ballhaus: „Zehlendorf ist nicht spießig“

Er ist ein Weltstar in seinem Handwerk. Der Kameramann Michael Ballhaus hat 25 Jahre in Hollywood Filme gedreht, mit den besten Regisseuren und Schauspielern. Immer wieder aber ist er nach Berlin zurückgekehrt. Seit 30 Jahren wohnt er in Zehlendorf. Warum, das sagt er hier im Interview.

Herr Ballhaus, Sie haben viele Jahre in Amerika gelebt, wie würden Sie einem Amerikaner Zehlendorf beschreiben? 

Ich würde sagen: Es ist ein idealer Ort, man lebt wie auf dem Land, man hat Wald und Seen, und ist doch sehr nah am Puls der Stadt.  Das hat man in anderen Großstädten kaum. Großstadt und Dorf zugleich zu sein, ist ohnehin eine große Kunst Berlins. 

Hat Studio City, ein Stadtteil von Los Angeles, irgendetwas mit Berlin-Zehlendorf und dem Mexikoplatz gemeinsam? 

Ballhaus (lacht, schmunzelt und überlegt kurz): Nein, das kann man wirklich nicht sagen. Das kann man alles nicht vergleichen. LA ist so anders als Berlin. 

Man könnte auf die Idee kommen zu sagen: LA ist große weite Welt, Berlin-Zehlendorf nur ein kleines Dorf. Es gibt viele Klischees von Zehlendorf, oft wird vom feinen, reichen, langweiligen Zehlendorf gesprochen. Stimmen die Klischees? 

Natürlich gibt es diesen Bereich. Es gibt das reiche Zehlendorf mit seinen Villen und den großen Autos. Aber es wäre unfair zu sagen, dieser Teil sei langweilig. Es sind sehr interessante Leute hier mit tollen Lebensläufen und spannenden Berufen, und die tragen ganz gewiss nicht alle die Nase hoch. Außerdem gibt es Ortsteile in Zehlendorf, die gar nichts mit Reichtum und Langeweile zu tun haben. Hier leben normale Menschen, die hier wohnen, weil es hier schön ist. Das sollte ihnen niemand neiden. 

Sie haben gesagt, nirgendwo fühlen Sie sich wohler als in Berlin. Gilt das auch für Zehlendorf?

Michael Ballhaus beim Interview in seiner Wohnung in der Nähe des Mexikoplatzes.
Michael Ballhaus beim Interview in seiner Wohnung in der Nähe des Mexikoplatzes.

© Thilo Rückeis

Zehlendorf ist ja nun mal Berlin. Und das schöne ist eben, dass man in Zehlendorf Berlin-City so nah hat. Berlin hat so viele Dinge, die mich begeistern, aber die hat Zehlendorf auch, die wunderschönen Seen, den Schlachtensee oder die Krumme Lanke, der Wald, Stille und Gemütlichkeit. Zehlendorf hat eine enorm hohe Lebensqualität, die Luft ist sehr gut, alle Geschäfte sind da, die Wege sind gar nicht so lang wie man meint. Das alles sind gute Gründe, sich hier wohl zu fühlen.

Und Zehlendorf ohne Berlin…

Ballhaus lacht wieder: Ja gut, wäre nicht so schön…

Ist Zehlendorf international, weil hier viele Menschen leben, die schon viel von der Welt gesehen haben. Oder ist Zehlendorf spießig?

Ich mag den Begriff spießig nicht gerne. Man muss doch bei den Menschen genau hingucken, was sie machen und wer sie sind. Spießig ist kein Begriff, den ich für Zehlendorf verwenden würde.

Welcher Begriff passt besser?

Angenehm passt gut. Das ist nicht spießig. Und wer ein bisschen mehr Ruhe braucht oder sucht, muss noch lange kein Spießer sein.

Kommt man hier nur zur Ruhe oder kann jemand wie Sie, der einen kreativen, künstlerischen Beruf hat, sich in Zehlendorf inspirieren lassen?

 Ich kann mich überall inspirieren lassen.

Ein Spaziergang am Schlachtensee bringt zum Beispiel die Idee für eine neue Kameraeinstellung?

Jedenfalls sieht man bei diesem Spaziergang wunderschöne Dinge, wenn man genau hinguckt. Und dann bekommt man vielleicht eine Idee.

Am Schlachtensee sind Sie sehr gerne, gibt es noch eine Art Lieblings-Ort?

Ich mag den Mexikoplatz. Das ist ein so schöner Platz, der noch erhalten ist, weil er im Krieg nicht beschädigt wurde. Seine Architektur gefällt mir, es gibt kleine nette Geschäfte, nette Menschen, gute Ärzte. Der Schlachtensee ist zum Wohlfühlen, aber ich sitze gerne auch einmal auf einer Bank am Mexikoplatz und bin glücklich.

 Gibt es ein Lieblingscafé?

Ja, aber das ist nicht mehr Zehlendorf. Das Wiener Caféehaus am Roseneck. Der Kuchen ist da so gut.

 Sie haben mal gesagt, in Berlin kann man einfach mit dem Pyjama über den Ku’damm laufen. Geht das auch am Mexikoplatz?

Man hat in Berlin überall diese Freiheit, deshalb geht das auch in Zehlendorf, in München dagegen würde ich nicht im Schlafanzug über die Straße gehen.

Sie haben als Kind bis zum siebten Lebensjahr in der Meerscheidtstraße in Charlottenburg gewohnt, bis Ihre Mutter mit Ihnen und Ihrer Schwester 1943 vor den Bombenangriffen nach Coburg geflüchtet ist. Gab es damals schon einen Bezug zu Zehlendorf?

Nein, den gab es noch nicht. Die Wohnung dort war schön, aber als der Krieg begann, wurde es schwierig, auch weil meine Eltern der sozialistischen Idee nahe standen und nicht der der Nazis.

Ihre Eltern haben eine zeitlang einen jüdischen Freund bei sich versteckt, haben sich also in Lebensgefahr gebracht. Was haben Sie noch für Erinnerungen an diese Zeit?

Was für meine Eltern belastend und lebensbedrohlich gewesen ist, war für uns Kinder eher ein Abenteuer. Aber das war es natürlich nicht wirklich.

Erzählen Sie bitte.

Meine Eltern haben uns gesagt, wir müssen vorsichtig sein, dürfen nicht über alles reden. Im Luftschutzbunker waren auch die Kinder eines Nachbarn, der bei der Gestapo war. Meine Mutter hat uns vorgewarnt. Manchmal kam ich nach Hause und da saßen Leute unter Decken und haben Radio gehört. Heimlich, BBC.

Wie sehr haben Sie diese Zeit und der Mut Ihrer Eltern geprägt?

Ich habe mich oft daran erinnert, eben weil es mutig und menschlich war. Und es war nach dem Krieg ein gutes Gefühl, weil wir sagen konnten, wir haben auch etwas getan gegen das Nazi-Regime. Mein Vater war natürlich als Soldat im Krieg wie alle Männer in seinem Alter. Aber wir hatten das Gefühl, wir waren bewusst lebende Menschen und trotz der Gefahren gegen das Regime eingestellt.

Ihre Mutter hat an ihrem 90. Geburtstag auf die Frage eines Journalisten einen sehr schönen Satz gesagt: „Die Güte ist es, was die Menschen brauchen, woraus sie Kraft schöpfen. Freundschaft und Verständnis machen das Leben lebenswert.“ Würde Sie sagen, sie tragen diese Lebensweisheit weiter?

Das kann man so sagen. Ich wurde sehr geprägt von dem was meine Eltern getan haben und wie sie gelebt haben. Sie wissen, dass mich das Theater meiner Eltern auch sehr geprägt hat, das meine Mutter bis zu ihrem 92. Lebensjahr geleitet hat. Und sie hat es gut macht.

 Ihre erste Erfahrung mit den Alliierten, das haben Sie einmal erzählt, war ein schwarzer US-Soldat, der Ihnen sehr sympathisch war. Hat diese Erfahrung später irgendeine Bedeutung gehabt, Ihre Wohnung in Berlin in Zehlendorf zu suchen, einem Teil des amerikanischen Sektors in West-Berlin?

Das spielte keine Rolle. Das war zu weit auseinander von 1945 bis Ende der 60er Jahre.

 Warum Zehlendorf?

Das war ein Zufall. Der Regisseur Ralf Gregan, der mit mir und Dieter Hallervorden 1968 einen Film gedreht hat, sagte, ich weiß von einer Wohnung in Zehlendorf, die frei geworden ist. Bewirb dich doch mal dort. Das haben wir getan, und seitdem wohne ich hier.

Wie war die Mentalität der Leute?

Sympathisch. Die Leute, die hier wohnten, haben mir gut gefallen. Eine Ärztin, ein Zahnarzt, ein Regierungsbeamter. Die waren sehr nett.

Sie haben lange in den USA gelebt, trotzdem sind Sie immer wieder nach Zehlendorf zurückgekommen. Würden Sie sagen, Sie sind hier vernetzt, das ist Ihr Kiez?

Wir haben diese Wohnung ja die ganze Zeit über behalten, die ich in Amerika gearbeitet habe, weil meine erste Frau diese Gegend, die Wohnung und natürlich auch Berlin sehr geliebt hat. Und natürlich waren wir vernetzt, schließlich sind unsere beiden Söhne in Zehlendorf zur Schule gegangen, auf das Werner-von-Siemens-Gymnasium. Wir sind hier bekannt, aber das war niemals lästig. (Lacht) Ich bin ja schließlich kein Movie-Star.

Anscheinend hat dieser Ort gutes Karma…

Ich hatte das große Glück, dass ich nach dem Tod meiner ersten Frau, mit der ich fast 50 Jahre verheiratet war, noch eine wunderbare Frau kennen lernen durfte…

..die Regisseurin Sherry Hormann.

…Sherry wohnte erst in der Mommsenstraße in Schöneberg. Wir haben überlegt, wohin ziehen wir. Wir haben uns für Zehlendorf entschieden, was erst ein bisschen schwierig für sie war wegen der Entfernungen, aber mittlerweile hat sie das Unbehagen überwunden und sehnt sich auch nicht mehr nach der Mommsenstraße. Sie weiß, wenn sie nach Hause kommt, dann ist da so viel Ruhe und Gelassenheit. Man merkt förmlich, wie der Stress von einem abfällt. Es ist ein schönes Gefühl, hier anzukommen.

Sie haben sogar hier geheiratet.

(Lacht) Naja, da wir hier wohnen, sind wir natürlich in das Standesamt in Zehlendorf Mitte am Rathaus gegangen. Das ist ein sehr nettes Standesamt, wo wir oft vorbeigehen, und dann freuen wir uns jedes Mal. Der Hochzeitstag war nämlich auch sehr schön.

Wo gehen Sie hin in Zehlendorf, wenn Sie nicht am Mexikoplatz sind?

Wir gehen hauptsächlich dort einkaufen, wir gehen zur Bio-Company und zum Reformhaus. In Zehlendorf Mitte bekommt man alles, was man braucht.

Würden Sie denn einem jungen Menschen, vielleicht 18 Jahre, Gründe nennen können, warum er in Zehlendorf wohnen sollte?

Das ist schwer. Ich glaube, dass die Jugend andere Bedürfnisse hat. Die wollen dran sein am Neuen, wollen ausgehen, die wollen in der Stadt sein. Wenn ich ehrlich bin, würde ich sagen, die Jugendlichen wohnen vermutlich heutzutage nicht so gerne hier.

Lieber erst gehen und mit einer Familie zurückkommen?

Ja, warum nicht. Das ist nicht spießig!

Das Gespräch führten Armin Lehmann und Marc Röhlig

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