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Vier Trainer, zwei Teams: Yasmin Patzer und Abbas Al Shafeay (beide links) trainieren die U8, Omar Hamzah und Paul Harfenmeister (ganz rechts) kümmern sich um die U12-Kinder.

© Boris Buchholz

Flüchtlinge trainieren Kinder in Lichterfelde: „Es ist eine Win-Win-Situation“

Die drei „jüngsten“ Trainer bei den Leichtathleten im TuSLi sind Flüchtlinge, Anfang November wurden ihnen ihre Lizenz überreicht. Das Projekt „Integration als Trainer“ könnte Schule machen; denn an Trainern mangelt es bei vielen Vereinen.

Das Problem haben viele Sportvereine: Es fehlen Trainerinnen und Trainer. Marc Quandt, er ist Jugendkoordinator des FC Viktoria Lichterfelde-Tempelhof, erzählt: „Ich lehne jeden Tag zwei bis fünf Anfragen von Eltern ab.“ Der Nachwuchs möchte Sport treiben - in diesem Fall: Fußball spielen - doch es gibt zu wenig Ehrenamtliche, die die Kinder und Jugendlichen trainieren. „Ich könnte zehn neue Trainer gebrauchen“, sagt Quandt. So wie den Fußballern von Viktoria geht es vielen anderen Sportvereinen im Bezirk auch - von den Basketballern bis zu den Turnern.

Der Turn- und Sportverein Lichterfelde von 1887, kurz TuSLi, geht in seiner Leichtathletik-Abteilung bei der Suche nach Anleitern einen neuen Weg: Seit dem Frühjahr trainieren Fallou Fall, Abbas Al Shafeay und Omar Hamzah jede Woche über 200 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen drei und 15 Jahren. Das Besondere ist: Die drei sind Flüchtlinge und nehmen am Vereinsprojekt „Integration als Trainer“ teil. Unterstützt wird der Verein dabei vom Landes- und vom Deutschen Olympischen Sportbund.

Kinder staksen, Eltern schreiben SMS

Ganz konkret, ein Besuch beim Training: Im ersten Stock der Turnhalle in der Lippstädter Straße in Lichterfelde tummeln sich mehrere Dutzend sechs- bis zehnjähriger Kinder. Die jungen Sportlerinnen und Sportler der U8-Gruppe stehen in einer Reihe an der blauen Linie und Trainerin Yasmin Patzer fragt: „Habt ihr die steifen Beine gemacht?“ „Nein“, schreien die Kinder. „Na, dann los“, ruft Co-Trainer Abbas Al Shafeay - und klatscht in die Hände. Während das Dutzend Kinder auf Storchenbeinen so schnell wie möglich durch die Halle staksen, sitzen ihre Eltern in ihren Jacken am Hallenrand auf der Gymnastik-Bank. In der Halle ist es kühl. Trotzdem haben manche ihre Schuhe ausgezogen, zwei Mütter unterhalten sich, es wird gestrickt, ein Buch gelesen, per Smartphone Nachrichten gelesen und versendet. Einige gucken auch dem Treiben ihrer Kinder zu.

„Benjamin*, noch ein bißchen zurück hinter die Linie“, ruft Abbas Al Shafeay einem Jungen zu. Jetzt liegen die Kinder auf dem Bauch, die Arme seitlich neben dem Körper, die Augen geschlossen. Stille. Der Co-Trainer schlägt in die Hände und zwei Dutzend Hände klatschen laut auf den Hallenboden, die Kinder stemmen sich hoch und rennen so schnell sie können auf die andere Seite der Halle und zurück. Manche schaffen es sogar beim Rennen zu reden und zu lachen. Ihr Co-Trainer stammt aus Bagdad und lebt seit Ende 2015 in Berlin - er kennt die Kinder seiner Gruppe mit Namen. Und sie kennen ihn.

Sie haben ihre Trainerausbildung erfolgreich beendet: Abbas Al Shafeay (links) und Omar Hamzah haben eine C-Lizenz Breitensport.
Sie haben ihre Trainerausbildung erfolgreich beendet: Abbas Al Shafeay (links) und Omar Hamzah haben eine C-Lizenz Breitensport.

© Boris Buchholz

Die neuen Trainer haben eine C-Lizenz

„Es ist eine Win-Win-Situation“, erzählt Paul Harfenmeister, der Vorsitzende der Leichtathletikabteilung. „Wir sind immer auf der Suche nach neuen Trainern, wir wachsen und haben eine Riesenwarteliste“. Der U14-Trainer und Sportwart des Vereins, Fabian Richter Nunes, hatte die Idee, dass sportbegeisterte Flüchtlinge doch auch Interesse daran haben könnten, Trainer zu werden. „Er hat im Stadion eine Bank aufgestellt und mit den Interessenten Gespräche geführt“, sagt Paul Harfenmeister. Das ursprüngliche Ziel sei es gewesen, zwei Flüchtlinge als Trainer zu gewinnen, „am Ende hatten wir vier Leute“.

Erst liefen die vier angehenden Übungsleiter mit und begleiteten die Trainer in ihren Gruppen, dann übernahmen sie mehr und mehr Verantwortung. „Ziel ist es, dass sie im Winter eine eigene Gruppe übernehmen können“, berichtet der Vorsitzende Harfenmeister. Leider musste ein Trainer aus Syrien Berlin wieder verlassen, seine Tochter war im Libanon schwer krank geworden. „Ich würde mich freuen, wenn er wiederkommen würde“, sagt Harfenmeister, „er ist eine tolle Persönlichkeit, 50 Jahre alt und Sport- und Englischlehrer.“ Parallel zu ihrem Engagement im Verein begannen die anderen drei Geflüchteten, für ihre Trainerlizenz zu büffeln. Anfang November übergab der Präsident des Landessportbundes, Klaus Böger, an die drei neuen Absolventen die C-Trainerlizenz Breitensport.

„Ich will zu Omar“

Im Irak hatte Omar Hamzah sein eigenes Fitnessstudio. „Seit zwei Jahren und einem Monat bin ich in Berlin“, berichtet der 25-Jährige. Drei Tage in der Woche trainiert er Kinder- und Jugendgruppen. „Ich kann nicht immer alleine zuhause bleiben“, erzählt er, „da würde sonst etwas in meinem Kopf kaputt gehen.“ Also bot er dem Verein seine Hilfe an: nicht nur beim Training, sondern auch bei Wettkämpfen und Veranstaltungen. Deshalb komme immer wieder auch ein vierter „Arbeitstag“ dazu. Sein nächstes Ziel sei es, den B-Trainerschein zu machen. Und wie haben ihn die Kinder angenommen? „Vorgestern hatte ich auch Training und wir haben die Kinder in zwei Gruppen aufgeteilt“, sagt Omar Hamzah, „und alle Kinder haben gesagt: ‚Ich will zu Omar, ich will zu Omar‘“. Er lacht und ergänzt: „In Deutschland habe ich gelernt, dass der Sport den Kindern vor allem Spaß machen muss.“

Auch die Eltern hätten das neue Trainer-Trio schnell akzeptiert, meint Paul Harfenmeister. Da gelte, egal wer eine Gruppe trainiere, „dass die Eltern einfach wissen wollen, wer ihre Kinder betreut“. Das treffe generell neue Leute, ob jung oder alt, Alt-Berliner oder Flüchtling. Der Leichtathletik-Vorsitzende ist von den drei Flüchtlingen überzeugt – und schwärmt: „Die sind super motiviert“, sie seien „extrem erfrischend“ und „klasse Leute, die sich hier einbringen wollen“. Im November hat Omar Hamzah seine erste eigene Gruppe übernommen. „Das Organisatorische und Gespräche mit Eltern sind vielleicht manchmal noch ein bißchen schwierig“, meint Harfenmeister. Aber da stünden ihnen die anderen Trainer zur Seite. Sein Fazit: „Es ist genau das richtige, was wir hier gemacht haben.“

* Name von der Redaktion geändert.

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