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Idyllisch. Der Eingang zum U-Bahnhof Dahlem-Dorf. Aber was passiert hier eigentlich den lieben langen Tag über...

© Thilo Rückeis

Dahlem Dorf: Die 24-Stunden-Reportage: Von Zehlendorfer Muttis, miesepetrigen Bäckern und gelangweilten Kids

Vom U-Bahnhof geht’s zur Freien Universität oder in die Domäne. Und sonst - was passiert hier eigentlich an einem ganz normalen Tag? Unsere Schülerreporterin hat sich für den Zehlendorf Blog auf den Weg gemacht in einen sehr bürgerlichen Kiez.

6 Uhr am Morgen, noch ist es ganz still an dem U-Bahnhof mit dem hübschen Reetdach. Wenige Menschen sind zu sehen, sie steigen in einen der gelben Züge und fahren weg oder kommen an und eilen davon. Die U-Bahnlinie 3 fährt noch im Zehnminutentakt, der Bäcker im Bahnhofseingang hat schon seit einer Stunde geöffnet, und die dicke Bäckersfrau steht hinter der Theke und wartet auf Kundschaft. Sie guckt aus dem kleinen Fenster in den Bahnhofseingang und sieht genervt aus.

Der U-Bahnhof Dahlem Dorf liegt in Zehlendorf, Dahlem eben, ein ziemlich bürgerlicher Kiez. Um ihn herum stehen hübsche Villen, es fällt auf, dass man hier Geld hat. In der Nähe befinden sich Grünanlagen, das Bauernhofmuseum „Domäne Dahlem“, und auch sonst bereitet die Umgebung dem Namen „Dahlem Dorf“ alle Ehre.

Ab 6:30 Uhr fahren die U-Bahnen im Fünfminutentakt, langsam belebt sich der Bahnhof, die ersten Schrippen werden beim Bäcker von der miesepetrigen Bäckerin abkassiert, und auch der Bus X83 füllt sich mehr und mehr. Um 7:30 Uhr ist es endgültig vorbei mit der Stille. Schüler hetzen von der Bahn über die Straße, um den Bus zu erwischen, voll gepackte Busse kutschieren die Steglitzer Schüler in ihre Schulen nach Dahlem: Königin-Luise Stiftung, Wilma Rudolf, Alfred-Wegener, Kästner Grundschule, Arndt, Rudolf Steiner und so weiter. Es ist voll im „Xer-Bus“ wie jeden Morgen. Es wird gerempelt, gedrängelt, geschrieen.

„Für alle, die heute morgen dit erste ma’ Bus fahren: Jeht ihr jetzt ma’ bitte ausser Tür raus?!!“, meldet sich der Busfahrer elegant zu Wort. „Fahren Sie denn das erste Mal Bus, oder wie?“, schreit einer der Schüler unter Applaus seiner Klassenkameraden zurück.

Stau auf der Königin-Luise-Straße Richtung Clayallee. Ein Ungeduldiger beginnt zu Hupen. Der morgendliche Schulwegwahnsinn erreicht seinen Höhepunkt.

Während die Einen sich in den Bus quetschen und die Stimmung zu eskalieren droht, verlassen die Dahlemer ihre Häuser. Papi im Anzug ist schon früher zur Arbeit. Mami schnallt ihre Kinder auf den Rücksitz des BMW Geländewagens und fährt sie bis vor die Tür der Privatschule.

Um kurz vor Acht beruhigt sich Dahlem Dorf wieder, die Schüler sind in der Schule angekommen, bis auf ein paar Zuspätkommer, die noch die Stufen zur Schule hinauf rennen oder  sich erst noch ne Zigarette drehen, eine rauchen und sich dann in die Klassenräume bewegen. Dort hat der Unterricht begonnen.

Die Autorin. Carlotta Schirrmacher, Schüler-Reporterin für den Zehlendorf-Blog des Tagesspiegel.
Die Autorin. Carlotta Schirrmacher, Schüler-Reporterin für den Zehlendorf-Blog des Tagesspiegel.

© Thilo Rückeis

Die Dahlemer Mütter sind wieder zurück Zuhause und schon folgt der nächste Trubel: Ab neun Uhr rücken die Studenten der FU in Dahlem ein. Ähnlich wie die Schüler gibt es einen kleinen Chaosmoment, der Bäcker wird gestürmt, die Bäckersfrau kommt dem Andrang kaum nach. Das hebt ihre Laune auch nicht mehr. Überall laufen Gruppen von Studenten entlang, eilen in ihre Vorlesungen oder sind auf dem Weg in die Bibliothek.

Ein älterer Mann joggt in einem sportlichen Tempo gerade den Weg neben der Domäne entlang, während zur selben Zeit nun auch die Dahlem-Mamis ihren Tag beginnen. Entweder Mami fährt nun auch ins Büro oder wirft zuerst einen Blick in die Zeitung, anschließend lässt sie die Putzfrau herein und dreht eine Runde mit dem Hund. Ist sie wieder zurück, dann schnappt sie sich die Autoschlüssel und fährt zum Friseur, zur Kosmetikerin oder geht einkaufen.

An den Schulen ist große Pause und in der Kästnergrundschule sprinten die Schüler auf den Hof, um Fußball oder Tischtennis, fangen oder Pferd zu spielen. In den umliegenden Oberschulen gehen die „Kleinen“ auf den Hof oder schreiben schnell noch Hausaufgaben ab und die „Großen“ Rauchen oder chillen einfach. Man hört lautes Lachen, schlechte Witze, kleinere Streitigkeiten und alle möglichen anderen Gespräche.

Die Bäckersfrau macht die erste Kaffeepause des Tages und futtert eines der süßen Puddingteilchen.

Der Unterricht beginnt wieder. Die Oberstufler verbringen ihre Freistunden, indem sie sich beim Bäcker was holen. Noch während die unfreundliche Bäckerin einen Kunden bedient, beginnt sie ein Gespräch mit ihrer Kollegin, die ihre Schicht gleich antritt.

Andere Schüler stellen sich im Supermarkt an der Kasse an, holen dann ihre großen Portemonnaies heraus, um ihre Billigkekse zu bezahlen und drücken der Kassiererin mit den langen, künstlichen Fingernägeln einen 50-Euroschein in die Hand. Oder sie setzen sich in das Café - perfekter Treffpunkt für Schüler mehrerer Schulen. Die Apotheke, der Blumenladen, der Optiker und das Reisebüro haben mittlerweile geöffnet, und gerade steigt eine Kindergartengruppe aus dem X83, um auf die Domäne Dahlem zu gehen, ein Picknick zu machen und ganz idyllisch Kühe und Schafe anzusehen.

Die großen Villen stehen leer, hier und da das Surren eines Staubsaugers, Rasenmäher-Gärtner und Putzfrauen sind zugange. Es wird Mittagszeit, und das Leben findet wieder auf dem Vorplatz des Bahnhofs statt. Der Dönermann macht nun seinen Haupttagesumsatz, im Café werden Suppen oder Bagel gegessen und die Ersten treten schon die Heimreise mit Bus oder Bahn an. Ab 14 Uhr finden auch die ersten Schüler den Weg nach Hause. 14:30 Uhr geht der Wahnsinn vom Morgen wieder von vorne los:

Überfüllte Busse und Bahnen, Rempeleien und die Konkurrenz zwischen den Schulen, die Unterschiede zwischen Realschule und Gymnasium werden im Bus diskutiert. Fährt der Bus am Gymnasium vorbei und passiert anschließend die Station der Realschule jubeln und schreien die Schüler, dass er durchfahren soll. An diesem Tag hält er aber doch an, und es prallen zwei Welten aufeinander. Die Einen, die ihr Deutsch „verkommen lassen“ treffen auf die, die sich für die Bildungselite des Landes halten. Grammatik wird korrigiert, es werden blöde Sprüche geklopft, wo es nur geht. Willkommen in Zehlendorf!

Nach dieser Stoßzeit verlieren sich schnell alle in Dahlem, und es wird friedlicher. Ein paar Schüler „gammeln“ auf einer Bank, während Andere nach wie vor im Unterricht sitzen. Eine kleine Gruppe von Schülern sitzt auf der Bank neben dem Imbiss, ein Sixpack Bier vor sich aufgebaut und lässt den Tag ausklingen. 16 Uhr erreichen die ersten Studenten die Turnhalle der FU zum Unisport. Meistens lösen sie einen Oberstufensportkurs ab, der gerne mal in diese Sporthalle ausweicht. Es wird von Badminton über Volleyball bis Kampfsport fast alles angeboten und die Studies nutzen diese Möglichkeiten.

Jugendliche mit Sporttaschen oder Instrumenten sind auf dem Weg zum Tennis oder zum Geigenunterricht, in den Bussen wird es wieder eng, denn nun fahren auch die meisten Studenten nach Hause. Die Cafés schließen, der Supermarkt füllt sich, ebenso das Restaurant. Um 18 Uhr verlassen auch die letzten Schüler die Schule, außer diejenigen, die noch Instrumentalunterricht haben. Aus den Schulen hört man gedämpfte Klänge von Trompeten, Celli, Klavier und alle anderen erdenklichen Instrumenten; BigBands und Orchester proben.

Die Dahlem Mamis haben inzwischen ihre Kinder von den privaten Ganztagsschulen abgeholt und kochen nun das Abendessen.

Gegen 19 Uhr brennt in allen Häusern Licht, die Dahlem Papis kommen nach Hause, das Essen steht auf dem Tisch, und der gute Wein wird geöffnet. Ab 20 Uhr fahren die Bahnen wieder alle zehn Minuten und der Bahnhof liegt einsam im Dunkeln, nur sehr selten steigt noch jemand in einen der haltenden Züge.

Nach 22 Uhr sind nur noch vereinzelt Menschen unterwegs. Auf dem FU-Sportplatz spielen die Letzten Fußball. Nach den Tagesthemen gehen in den Häusern die Lichter aus, nur hier und da sieht man noch das Flackern eines Computers. Um 1 Uhr ist kein Mensch auf der Straße unterwegs, und man sieht nur noch Smartphones als kleine Lichtpunkte, wenn man durch die Fenster blickt - die Dahlemer Jugend ist noch auf Facebook unterwegs...

Die Autorin ist 16 Jahre und geht auf das Arndt-Gymnasium in Dahlem

Carlotta Schirrmacher

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