zum Hauptinhalt
Christian Ziege als DFB-Juniorentrainer im Gespräch mit dem Nachwuchs

© dpa

Christian Ziege im Interview: "Hertha 03 Zehlendorf wird immer in meiner Erinnerung sein"

Mit der B-Jugend von Hertha 03 Zehlendorf ist er 1989 erstmals Deutscher Meister geworden. Dann kam der FC Bayern und eine große Karriere. Weil sein alter Klub sich nun wieder verstärkt auf seine Jugendtradition besinnt, hat der Zehlendorf Blog Ziege danach gefragt.

110 Jahre ist Hertha 03 Zehlendorf in diesem Jahr geworden, und jetzt will sich der Klub wieder verstärkt auf seine alten Traditionen als Jugendklub und Talententwickler besinnen. Demnächst wird ein Jugend-Saisonmagazin erscheinen, in dem der Verein auch ein paar Worte zur Neuausrichtung verlieren will. Unter anderem heißt es in einer Passage, die dem Zehlendorf Blog vorliegt, "unsere Sportanlage liegt im Herzen des Bezirks, und unsere Spieler sollten überwiegend eine Nähe zu Zehlendorf oder dem Südwesten Berlins haben. Wir werden bei der Auswahl der Spieler wieder verstärkt auf dieses Kriterium schauen, um die Identität zwischen Klub, Spielern und unserer Heimat zu fördern." Am ersten Augustwochenende feiert der Verein ein großes Sommer- und Saisoneröffnungsfest auf dem Gelände am Siebenendenweg. Aus diesem Anlass haben wir Christian Ziege gefragt, welche Erinnerungen er an seine alte Heimat hat und was er den Spielern rät.

Herr Ziege, wir wollen über Jugendträume und Fußball-Realitäten reden. Wie war das, als Sie mit 13 Jahren vom TSV Rudow zu Hertha 03 Zehlendorf wechselten. Gab es schon einen Traum?

Ich weiß, dass ich ziemlich früh gespürt habe, ich möchte Fußballprofi werden. Hertha 03 war damals die größte Herausforderung, der beste Verein in Berlin mit der besten Jugendarbeit.

Wie kam der Wechsel zustande?

Über meinen Opa. Der hatte selbst in der höchsten Liga gekickt, und er kannte den Trainer Max Mehlhose und wusste, dass der eine super Jugendarbeit machte. Ich glaube, so kam der Kontakt zustande. Und Mehlhose war wirklich ein besonderer Trainer, ein älterer, irgendwie verrückter Kerl, sehr emotional, aber ein toller Coach. Er hat im Training viel mit dem Ball gearbeitet.

Christian Ziege 2013 zu Hause in München
Christian Ziege 2013 zu Hause in München, wo er jetzt wieder mit seiner Familie und Hund lebt.

© privat

Jeder Jugendfußballer hat den Traum, Profi zu werden. Bei Ihnen hat sich irgendwann der FC Bayern gemeldet. Wie kam das?

Es war wirklich kurios. Ich will hier nicht angeben, aber Tatsache ist, dass die halbe Bundesliga hinter mir her war. Damals galt vor allem das Leverkusener Jugendkonzept mit Schule plus Ausbildung als das Beste. Der letzte Anrufer war aber Uli Hoeneß…

Spannend, wie war das Gespräch?

Damals habe ich mich aus Jux am Telefon immer mit irgendeinem prominenten Namen gemeldet, wie "hier Carl Lewis" oder so. Dann sagte Uli Hoeneß: "Hier spricht Uli Hoeneß" und ich sagte: "Sehr spaßig. Wer ist denn dran?" Er wieder: "Uli Hoeness". Da habe ich vor Schreck den Hörer schnell meinem Vater weitergereicht.

Der Beginn einer großen Karriere…

In gewisser Weise, ja. Diesen Moment mit seiner Stimme werde ich jedenfalls niemals vergessen.

Und dann sind Sie hingefahren nach München.

Ich war noch A-Jugendspieler, Uli Hoeness holte uns persönlich vom Flughafen ab, in seinem Büro war er locker und hat uns seinen Vertragsentwurf unterbreitet. Danach haben wir ein Spiel im Stadion geschaut, abends noch essen und nach Hause. Na ja, da war die Entscheidung in meinem Kopf eigentlich schon längst gefallen.

Die Mutter hat sich bestimmt gesorgt

Ich muss meinen Eltern wirklich dankbar sein. Sie wussten ja, dass ich immer schon Bayern-Fan war, und dann das Angebot. Wir haben alle Vor- und Nachteile aufgeschrieben, ich war in der 12.Klasse, hatte noch ein Jahr bis zum Abitur. Ich habe gesagt: Wenn ich gehe, wird es schwer genug, und mit der Schule zusammen werde ich es nicht schaffen.

Das haben die Eltern akzeptiert?

Wir sind zu meinem Schuldirektor gefahren und haben mit ihm gesprochen. Er hat gesagt, ich kann es zwei Jahre probieren, so lange, wie der erste Vertrag lief, und wenn ich es nicht schaffe, darf ich zurückkommen und mein Abitur machen. Ich habe es nur gemacht, weil ich die Möglichkeit hatte, das Abitur später zu machen.

Sie haben es ja dann geschafft, würden Sie heute wieder so entscheiden?

Eine schwierige Frage. Ich war abgesichert. Heute weiß ich aus Erfahrung, dass beides für die jungen Spieler extrem hart ist, es prasselt so viel auf sie ein, die Schule kommt da zweifellos zu kurz. Vielleicht müssen wir darüber nachdenken, den Trainingsaufwand zu reduzieren.

Im Gegensatz zu Ihrer Zeit gibt es heutzutage Lehrer für die Junioren-Nationalmannschaften

Das stimmt. Als ich 17 war und in der Junioren-Auswahl spielte, gab es das nicht. Als DFB-Nationaltrainer habe ich immer zwei Lehrer dabei. Aber die unterrichten maximal zwei Stunden am Tag, das ist kein Vergleich mit dem Pensum in der Schule. Aber unabhängig von der Lehrer-Frage absolvieren diese Jugend-Leistungsspieler ein unglaubliches Pensum. Das ist am Ende des Tages der Grund, warum es in den jungen Jahrgängen schon so viele schwere Verletzungen gibt. Ich hatte Teams, da gab es zwischenzeitlich sieben oder acht Kreuzbandrisse. Das sollte allen ein Alarmsignal sein.

Immer gut trainiert: Christian Ziege.
Immer gut trainiert: Christian Ziege.

© dpa

Zu Ihrer Jugendzeit sind die Talente vergleichsweise spät gewechselt, heute gibt es ein System, in dem bis hinunter zur E-Jugend gescoutet und die besten Spieler in Computerdateien gespeichert werden. Talente werden per Rasterfahndung gesucht. Muss das sein?

Schwierig zu sagen. Ich bin der Meinung, ein junger Spieler sollte so lange wie möglich in seinem Umfeld bleiben. Umso früher er in ein Korsett gepresst wird, umso mehr Individualität geht verloren. Das ist mein Gefühl. Früher hatten wir weniger Training, dafür sind wir noch auf den Bolzplatz gegangen, haben auf der Straße gespielt. Da kickt man, wie man will, ohne Druck. Das ist wichtig.

Das Raster verringert die individuellen Chancen?

Ich spreche hier nicht grundsätzlich gegen das System. Ich sage nur, dass auch viele gute Fußballer durch das Raster fallen, weil ihnen keine Chance auf Entwicklung gegeben wird. Aber gerade im Jugendbereich kann ein kleinerer 14-Jähriger, den man schnell aussortiert, vielleicht zwei Jahre später viel besser sein als ein vergleichsweise größerer oder robusterer Spieler.

Es gibt auch schon Leistungsmannschaften ab der F-Jugend, jedes Jahr wird dafür neu gesichtet. Matthias Sammer hat als Sportdirektor des DFB mal gesagt, man müsse so früh anfangen, schließlich gehe es um die Ausbildung für die Weltspitze.

Ich finde, um Weltspitze auszubilden, braucht man auch in der Ausbildung Weltspitze. Haben wir überall dieses qualifizierte Personal? Ich kann so früh anfangen mit Leistungsteams, aber dann brauche ich dort die besten Trainer und Pädagogen, die wissen, was sie tun. Kleinere Vereine können sich das ja gar nicht leisten. Die Frage ist, ob wenigstens die Profi-Teams tatsächlich die Besten zu den Jüngsten schicken. Das wäre ein guter Schritt.

Ist das Konzept von Hertha 03 richtig: Die ersten Mannschaften jedes Jahrgangs sind Leistungsteams, dahinter kommen aber möglichst viele Teams, um auch dem Breitensport Raum zu geben?

Auf jeden Fall. Das war schon zu meiner Zeit so. Auch damals gab es schon sehr viele Jugendmannschaften, das finde ich richtig klasse, so vielen unterschiedlichen Jungs die Möglichkeit zu geben zu kicken. Wenn Hertha 03 das durchhält, freut mich das sehr, und ich begrüße das.

Zu Ihrer Jugendzeit gab es noch keine Berater für Jugendliche, heute gibt’s die schon für 13-Jährige. Hätte Ihnen ein Berater damals gut getan oder ging es so auch?

Ich bin da sehr gespalten. Ich weiß wirklich nicht, warum man bis zu seinem 16. Lebensjahr einen Berater braucht. Schon gar nicht, wenn es dann nur noch um Geldfragen geht. Es gibt gute Berater, aber es gibt zu viele, die nur Kohle machen wollen. Später gehören Berater sicherlich dazu, weil die Verträge sehr differenziert und kompliziert geworden sind.

Was sagen Sie einem 10Jährigen, der unbedingt Fußballer werden will?

Er soll einfach dort Fußballspielen, wo er ist, und er soll es genießen. Die Frage ist immer, warum spielst du, und wenn die Antwort lautet, weil es mir Spaß macht, dann ist alles gut. Wenn man davon träumt, in großen Stadien zu spielen oder Nationalspieler zu sein, dann braucht man einen eigenen Antrieb und Spaß. Ich wollte nie großes Geld verdienen, ich wollte in den besten Teams kicken. Ich habe immer versucht, Dinge, die ich nicht konnte, zu verbessern. Auf dem Platz, zu Hause, im Zimmer. Das war mein eigener Antrieb.

Wie sagt man einem jungen Spieler, dass er lieber etwas anderes träumen soll, weil man weiß, es reicht nicht?

Ich denke, die meisten Jungs können das selbst einschätzen, wie gut sie sind. Bei denen, wo das Umfeld nicht stimmt, die zum Beispiel überehrgeizige Eltern haben, wird es schwierig, weil man da nicht vernünftig argumentieren kann. Die werden das nicht einsehen, das ist meine Erfahrung.

Christian Ziege nach einem Torerfolg
Die Anfänge in der Nationalmannschaft. Christian Ziege nach einem Torerfolg.

© Reuters

Es gibt schon im Kleinfeldbereich Kinder, die von der G-Jugend bis zur E-Jugend in vier Vereinen waren…

Die Eltern, meist die Väter dieser Kinder, machen die Jungs kaputt. Sie verderben ihnen aus falschem Ehrgeiz den Spaß. Das ist traurig.

Was verbinden Sie noch mit Hertha 03 Zehlendorf?

Der Klub wird immer in meiner Erinnerung sein, es gibt so viele wunderschöne Erlebnisse. Unsere Pokalendspiele im Katzbachstadion, wo wir einmal sogar gegen den Staffelzweiten Siemensstadt 10:0 gewonnen habe. Es gab so viele enge Spiele und Titel. Natürlich ist die Deutsche-B-Jugendmeisterschaft 1988 eine besonders tolle Erinnerung, aber auch die Zeit, als ich als A-Jugendspieler schon in der Männermannschaft mitspielen durfte mit Leuten wie Thomas Herbst, Jürgen Schulz, Peter Stark oder Stefan Brandenburger.

Es gibt auch familiäre Bande.

Ja, mein Onkel und seine Frau sind bei Hertha 03, meine Kusine und ihr Mann, mit dem ich noch zusammengespielt habe. Mit denen rede ich über den Verein, und ich bin froh, dass sie dort in gewisser Weise unsere Familientradition fortsetzen.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.
Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.

© Kai-Uwe Heinrich

Spüren Sie Dankbarkeit?

Oh ja, ganz besonders gegenüber meiner Mutter. Sie hat damals so viele Fahrdienste übernommen, hat jahrelang mich und andere Spieler hin- und hergefahren. Meine Eltern haben niemals Druck ausgeübt, sondern sie waren immer da und haben mich unterstützt. Heute, in der Rückschau und wenn man selbst Papa ist, kann ich das noch viel besser würdigen.

Wenn man wie Sie über so viele Jahre Profi war, wird man irgendwann müde und denkt sich, ich will nicht mehr?

Ja, und es war meine schwerste Entscheidung in meinem Leben. Ich kam an den Punkt, an dem ich den Fußball den ich von mir selbst erwartete nicht mehr liefern konnte. Ich wäre noch Durchschnitt gewesen, aber das wollte ich nicht. Aber wenn ich könnte, würde ich einiges darum geben, noch einmal ein großes Spiel vor einer tollen Kulisse zu machen. Es war eben die bisher schönste Zeit meines Lebens.

 Zur Biografie

Geboren am 1. Februar 1972 in Berlin. Ziege spielt erst bei Südstern 08, dann beim TSV Rudow. 1985 wechselt er zu Hertha 03 Zehlendorf, 1990 zum FC Bayern München. Spätere Vereine sind AC Mailand, FC Middlesbrough, FC Liverpool, Tottenham Hotspurs, Borussia Mönchengladbach. Mit der Nationalmannschaft wird Ziege Europameister und Vizeweltmeister. Als Trainer und Sportdirektor arbeitete er unter anderem für Gladbach, Bielefeld und seit einigen Jahren als DFB-Jugendnationaltrainer. In der Saison 2013/14 wird er die U18-Nationalelf betreuen. Ziege lebt mit seiner Familie in München.

Der Autor des Interviews ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels und wird auch im Jugendheft von Hertha 03 zu lesen sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false