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Die Schwartzsche Villa: Im Moment läuft hier eine Ausstellung über von den Nazis verfolgte Kommunalpolitiker

© Kulturamt Steglitz-Zehlendorf

Ausstellung in der Schwartzschen Villa zu verfolgten Kommunalpolitikerinnen und -politikern: Abgesägt, aber nicht vergessen

Vom Nationalsozialismus verfolgten Kommunalpolitikern widmet das Kulturamt Steglitz-Zehlendorf derzeit in der Schwartzschen Villa eine Ausstellung. Ein Gastbeitrag.

Das Kulturamt Steglitz-Zehlendorf zeigt seit 13. Oktober in der Schwartzschen Villa in der Grunewaldstraße 3 (Nähe S-Bahnhof Steglitz) eine Ausstellung über im Nationalsozialismus verfolgte Kommunalpolitikerinnen und –politiker. Damit wird ein Thema wieder aufgenommen, das durch Ausstellungen des Aktiven Museums 2005 und 2006 auf Landesebene schon einmal in der Stadt präsent war, seitdem aber wieder verschwunden ist. Jetzt wird es dankenswerterweise auf Bezirksebene wieder aufgegriffen. Die BVV hatte 2013 eine entsprechende Anregung aus der Bürgerschaft aufgenommen und nach einer etwas schwierigen Diskussion 2014 das Bezirksamt gebeten, entsprechend tätig zu werden.

Jetzt also die Ausstellung, die anhand von 14 ausgewählten Lebensschicksalen zeigt, wie die Nationalsozialisten scheinlegal („mit der Verordnung .... (wurde) das Mandat in der Bezirksverordnetenversammlung entzogen und die Tätigkeit als Bezirksverordneter verboten“) oder auch offen brutal („die SA verschleppte ihn ... aus dem Bezirksamt“) auch in den Bezirken „die Macht ergriffen“. Es traf Vertreter aller Parteien: Nach 1929 waren in den Bezirksverordnetenversammlungen bis zu acht Parteien vertreten, im März 1933 waren es noch fünf, nach dem Sommer 1933 nur noch die NSDAP, in die vor allem die Vertreter der deutsch-nationalen DNVP (Hugenbergpartei) übergetreten waren.

Nach dem Verlust der Mandate hörten bei vielen die Nachstellungen und Verfolgungen der Nazis nicht auf. Der Schulleiter der Zinnowaldschule, Hans Holtz (SPD), der zugleich auch Bezirksverordneter war, schrieb später über diese Zeit: „Als ich so meine Machtlosigkeit einsah, der Welle des Hitlerwahnsinns Einhalt zu gebieten und die Einsicht gewann, dass unser Vaterland in Kulturlosigkeit und Barbarismus, in Krieg und Elend versinken werde, wirkte sich diese Erkenntnis so auf meinen Zustand aus, dass ich einen seelischen und körperlichen Zusammenbruch erlitt, der schließlich zu meiner Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen ... führte.“

Andere wie Marie Kunert (USPD) mussten emigrieren oder wurden wie Otto Morgenstern (DVP) deportiert und in Theresienstadt umgebracht.

Neben den Lebensbeschreibungen und dazu gehörigen Dokumenten bemüht sich die Ausstellung, auch einige Fakten zu der damaligen Zeit zu veranschaulichen, so z.B. die Entwicklung der Stimmenanteile der im Bezirk vertretenen Parteien. Fasst man die Ergebnisse aus beiden - damals noch getrennten - Bezirken zusammen und gruppiert sie als Linke (KPD, USPD,SPD), als Mitte (Zentrum, DDP, DVP, Andere) und als Rechte (WP, DNVP, NSDAP),  so ergibt sich folgende Grafik, die zeigt wie kontinuierlich die Stimmen für die Rechte anstiegen, aber erst 1933 der NSDAP ein erdrutschartiger Sieg gelang, in Steglitz mit 73%! 

Die Ausstellung zeigt anhand von 14 Lebensschicksalen zeigt, wie die Nationalsozialisten scheinlegal oder auch offen brutal auch in den Bezirken „die Macht ergriffen“
Die Ausstellung zeigt anhand von 14 Lebensschicksalen zeigt, wie die Nationalsozialisten scheinlegal oder auch offen brutal auch in den Bezirken „die Macht ergriffen“

© Petra Müller

Der Ausstellung sind viele Besucher, auch aus der neuen BVV, zu wünschen, die sich die Texte der Ausstellung auch kritisch anschauen sollten. So scheinen wohl so manche kommunalen Probleme zeitlos zu sein. Der Zehlendorfer Anzeiger spricht z.B. am 7. Januar 1926 die Hoffnung aus: „daß unserem ... bisher von Berlin recht stiefmütterlich behandelten Bezirk der vornehme Vorortcharakter durch Verbesserung der miserablen Verkehrs, Wohn- und Verwaltungsverhältnis erhalten bleibt.“ Wer denkt da nicht gleich an S-Bahn-Chaos, marode Schulgebäude und Ärger mit den Bürgerämtern.

Neben den Lebensbeschreibungen und dazu gehörigen Dokumenten bemüht sich die Ausstellung, z.B. auch die Entwicklung der Stimmenanteile der im Bezirk vertretenen Parteien zu veranschaulichen
Neben den Lebensbeschreibungen und dazu gehörigen Dokumenten bemüht sich die Ausstellung, z.B. auch die Entwicklung der Stimmenanteile der im Bezirk vertretenen Parteien zu veranschaulichen

© Petra Müller

Aber auch die Texttafeln an sich verdienen aufmerksame Leserinnen und Leser. So ist zu fragen, ob es z.B. bei dem ehemaligen Stadtverordneten Wilhelm Pieck (KPD) zu schreiben genügt: „Eine weitere Etappe seiner Karriere begann 1945 mit seiner Rückkehr nach Berlin. Sie führte ihn 1949 in das Amt des ersten (und einzigen) Präsidenten der Deutschen Demokratischen Republik.“ Hätte nicht auch vermerkt werden müssen, dass Wilhelm Pieck auch ein Beispiel dafür ist, wie aus einem Verfolgten ein Verfolger seiner eigenen KPD-Genossen und vor allem vieler Sozialdemokraten wurde? Und sollte nicht auch ausgesprochen werden, dass leider mit 1945 die Verfolgungen von Kommunalpolitikern nicht aufhörten, sondern mit Unterstützung der Sowjetunion auch manche Kommunalpolitiker aus Steglitz und Zehlendorf Opfer von SED-Schergen wurden wie z. B. der Steglitzer Kommunalpolitiker Franz O. Büchel (SPD). Zur historischen Wahrheit gehört allerdings sicher auch, dass im Zuge des sich verschärfenden Kalten Kriegs auch KPD/SED-Genossen zu Unrecht verfolgt und wie etwa der Zehlendorfer Schulstadtrat Paul Österreich brachial aus ihren Ämtern gedrängt wurden.

Die Ausstellung bietet also Anlass zum genauen Hinschauen und Nachdenken, ihr sei eine intensive Begleitdiskussion gewünscht.

Die Ausstellung ist jeweils Dienstag - Sonntag von 10 - 18 Uhr geöffnet.

Dirk Jordan war früher Volksbildungsstadtrat in Kreuzberg und hat für den Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf unter anderem eine Serie über die "Stillen Helden" im Nationalsozialismus geschrieben. 

Wenn auch Sie Anregungen haben oder selbst etwas für den Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf schreiben wollen, wenden Sie sich gerne an steglitz-zehlendorf@tagesspiegel.de und folgen Sie der Redaktion Steglitz-Zehlendorf gerne auch auf Twitter und Facebook.

Dirk Jordan

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