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Der 80er-Jahre-Bau in der Fasanenstraße 62 soll abgerissen werden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Abriss von Wohnhäusern in der Berliner City West: 60er, 80er und das Hässlichste von heute

Zum Abriss freigegeben werden nun auch Bauten von Stararchitekten. Luxuslofts ersetzen die günstigen Mietwohnungen.

Wie eine Trutzburg steht es da, mit sechs schlanken Wachtürmen, von denen der Betrachter das Kommen und Gehen am Fasanenplatz beobachten kann. Architekturlegende Gottfried Böhm baute das Wohnhaus nahe dem Kurfürstendamm und vielleicht floss dessen Erweiterung der mittelalterlichen Godesburg in diese Charlottenburger Festung ein. Aber so wehrhaft sie auch da steht, geschleift wird sie nun wohl trotzdem: Keine 30 Jahre nach Einzug der ersten Mieter, der Investitionsdruck ist einfach zu groß.

Abriss und Neubau – jetzt werden die 1980er aus Berlins städtebaulichem Gedächtnis ausradiert. Wohnhäuser aus den 1960ern stehen schon auf der Streichliste. „Die Zyklen werden immer kürzer“, sagt Rainer Latour, Leiter des Stadtentwicklungsamtes in Charlottenburg-Wilmersdorf – „es tut in der Seele weh“. Aber was könne der Bezirk schon tun?

Eine Baugenehmigung für den Böhm-Bau habe es seinerzeit nur auf Grundlage einer „Befreiung“ vom Bebauungsplan gegeben, die nun nicht mehr angewendet werden kann. Das nutze der Investor. Weil der Böhm-Bau mit der Postadresse Fasanenstraße 62 außerdem nicht unter Denkmalschutz steht, kann er halt weg.

Neun Millionen Euro für eine Suite

Ein prima Geschäft könnte das für die Primus Immobilien werden, der das Haus gehört. Primus steht voll auf Luxus und auf den alten Berliner Westen. Ein paar hundert Meter weiter füllt die Firma eine Baulücke mit dem „Stadthaus Hugo“ aus: 2,33 Millionen Euro verlangt sie dort für eine 256 Quadratmeter große Etagenwohnung.

Noch etwas teurer verkauft Primus ein paar Häuserzüge weiter den Witzlebenplatz 3: Neun Millionen Euro kostet die teuerste der „Lake Side Suiten“. Dafür gehen die Fenster zum Lietzensee, wobei fürs Rauschen nicht dessen Wasser, sondern der Verkehr am Charlottenburger Kaiserdamm sorgt.

In der Sächsischen Straße, zwischen Lietzenburger und Pariser Straße, weicht ein Wohnhaus mit Sozialwohnungen dem luxuriösen Projekt „Haus Saxonia“.
In der Sächsischen Straße, zwischen Lietzenburger und Pariser Straße, weicht ein Wohnhaus mit Sozialwohnungen dem luxuriösen Projekt „Haus Saxonia“.

© Cay Dobberke

In der Sächsischen Straße 3/3a steht ein Haus aus der Nachkriegszeit kurz vor dem Abriss, das zwar schmucklos wirkt, aber günstigen Wohnraum für Sozialmieter bot. Manche von ihnen protestierten erfolglos gegen die Kündigung. Primus legte ein Gutachten vor, wonach das Gebäude marode sei und wegen der niedrigen Mieten nicht mit vertretbarem Aufwand saniert werden könne. Nun sind 23 luxuriöse Eigentumswohnungen im künftigen „Haus Saxonia“ geplant. Es ähnelt sehr stark einem früheren Projekt an der nahen Emser Straße.

Verschiedene Ideen für die Fasanenstraße

Unter den Mietern der Fasanenstraße herrscht Fassungslosigkeit. Einige Bewohner zogen zur Fertigstellung im Jahr 1984 ein und schwärmen von den gut geschnittenen Wohnungen, von dem Erkerzimmer im Turm und dem guten Schallschutz. Hinzu komme der fantastische Mietpreis jener, die noch alte Verträge haben: 1000 Euro warm für rund 90 Quadratmeter – zu dem Preis gibt es so dicht am Ku'damm sonst keine Wohnung. In so einem Kiez ist einfach viel mehr rauszuholen – deshalb muss die Böhm-Burg wohl weg.

Wobei der Chef von Primus Franz-Josef Marxen sich auf Anfrage noch windet: „Für die Fasanenstraße 62 gibt es derzeit verschiedene Ideen, die jedoch erst nach den geplanten Gesprächen mit den Mietern konkretisiert werden können.“ Dabei hat der Bezirk einen Vorbescheid bereits erteilt, sagt Planungsamtschef Latour, nun müsse Primus nur noch die Baupläne vorlegen und genehmigen lassen.

Preiswerter Wohnraum wird vernichtet

Demnach könnte eine neue Blockspitze entstehen, die drei Flächen umfasst: Das Grundstück des Böhm-Baus selbst sowie die dazu gehörende Freifläche, die bisher als Tiefgaragenzufahrt dient. Zudem gehöre das Grundstück nördlich vom Böhmbau zur Planung, auf der ein Altbau aus den 1960er Jahren steht. Der sei entmietet und zum Abriss freigegeben. So sei ein großes neues Gebäude möglich, das den Block schließt und bis zur Straße reicht. Primus-Mann Marxen sagt, „für die leerstehende Fasanenstraße 63 gibt es Baurecht, und wir wollen möglichst bald mit den Arbeiten beginnen. Geplant sind 27 Wohnungen.“

„Immer mehr preiswerter Wohnraum wird vernichtet zugunsten von teurem Wohneigentum oder Mietwohnungen, die sich nur wenige Haushalte leisten können“, sagt der Chef des Berliner Mietervereins Reiner Wild. Der Bezirk könne sich durchaus dagegen wehren, meint er. Das Zweckentfremdungsverbot untersage den Abriss von Wohnhäusern, wenn der Eigentümer nicht angemessenen Ersatzwohnraum dafür schaffe. Luxuswohnungen seien aber kein Ersatz für preiswerte Mietwohnungen, sagt Wild.

Druck auf Immobilienmarkt ist groß

Die Chefin der Architektenkammer Christine Edmaier beklagt, dass es fast unmöglich sei, zurzeit weitere Gebäude auf die Denkmalliste zu setzen. Und weil der Druck auf dem Immobilienmarkt so groß ist, seien Bauten aus den 1960er bis 80er Jahren akut vom Abriss bedroht. Es sei „dringend erforderlich, die besten Beispiele aus dieser Zeit zu retten“.

Gottfried Böhm sei ein „großartiger Architekt“. Er hatte in Berlin zur Internationalen Bauausstellung 1987 mit Rob Krier den Prager Platz in Wilmersdorf mit einer Häuserzeile eingefasst, die zu den gelungensten Bauten der Postmoderne zählt. Der 95-jährige studierte Architekt und Bildhauer erhielt als erster Deutscher 1986 den „Architektur-Oskar“: den renommierten Pritzker-Preis.

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