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Gerhart-Hauptmann-Schule

© Imago

Toter in der Gerhart-Hauptmann-Schule: Flüchtlinge als Faustpfand

In Kreuzberg wird Neokolonialismus im Namen der höheren Moral betrieben, meint unser Autor: Die hilfesuchenden Menschen sind bei diesem selbstgefälligen Gutmenschentum nur notwendige Protestmasse.

Monika Herrmann hat jetzt Hilfe zugesagt. Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg will bei Bedarf jene Menschen unterstützen, die den Leichnam des am Freitag in der Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin erstochenen Marokkaners in seine Heimat überführen möchten, hieß es am Freitagabend. Hätte die grüne Bezirkspolitikerin sich nicht vorher jeder Hilfe verweigert, könnte der junge Mann freilich noch leben.

Ob der Flüchtling davon träumte, hier in der Bundesrepublik ein besseres Leben zu haben als zu Hause im armen und krisengeschüttelten Nordafrika, können wir nur vermuten – ganz sicher aber ist, dass er hier im wohlhabenden und friedlichen Deutschland nicht sterben wollte. Und vor allem nicht Opfer von Lebensverhältnissen sein wollte, die menschenunwürdig sind und eine Schande für einen Bezirk, der sich viel darauf einbildet, besonders tolerant und weltoffen zu sein. Der Tod des 29-Jährigen ist deshalb auch die Chronik einer angekündigten Tragödie – und eines Versagens im Namen einer angemaßten höheren Moral.

Dass am Ort der tödlichen Messerstiche die Verhältnisse schon lange unhaltbar geworden waren, haben nur jene nicht sehen wollen, die beharrlich die Augen verschlossen hielten. Dazu brauchte es nicht einmal die Statistik der Polizei, die seit der Besetzung der leer stehenden Schule vor eineinhalb Jahren die Entwicklung zum kriminellen Brennpunkt nachgezeichnet hat. Um die Schule herum ist die Zahl der Straftaten seit Dezember 2012 um fast 60 Prozent gestiegen. Neben dem sprunghaft angestiegenen Drogenhandel im Görlitzer Park und den umgebenden Straßen gab es immer wieder Gewaltdelikte vor und im Haus. Erst vor zwei Wochen wurde ein Bewohner mit einem Messer niedergestochen, und Mitte März musste die Polizei mit massivem Einsatz eine Massenschlägerei beenden, bei der es mehrere Schwerverletzte gab.

Lebensumstände schlimmer als in einer Favela

Unbekannt sind der Bezirksbürgermeisterin und den Vertretern der Grünen die Verhältnisse in der Schule nicht. Regelmäßig besuchen Bezirksamtsvertreter, auch grüne Stadträte, das Haus. Sie wissen, dass es in der Schule erbärmlich stinkt, dass die Menschen dicht gedrängt und ohne Privatsphäre leben müssen und die sanitären Verhältnisse unerträglich sind – dagegen sind selbst die Lebensumstände in einer brasilianischen Favela menschenwürdig. Es wurde weggeschaut, weil man das Faustpfand im Kampf gegen ein als unmenschlich proklamiertes Asylverfahren nicht aus der Hand geben wollte. Man will vor allem den politischen Gegner aus der Union vorführen und entlarven, und schreckte nicht davor zurück, die Flüchtlinge auf dem grünen Parteitag zur Staffage für die Bürgermeisterin zu missbrauchen. Die hilfesuchenden Menschen aus Afrika waren und sind bei diesem selbstgefälligen Gutmenschentum nur notwendige Protestmasse.

Diese zynische Betrachtungsweise hat auch die lang anhaltende Besetzung des Oranienplatzes begleitet. Die Flüchtlinge, die dem unheiligen Treiben der selbst ernannten Unterstützer zumeist wegen fehlender Sprachkenntnisse weitgehend ausgeliefert waren, wurden dabei funktionalisiert und für die Kampagne für ein verändertes Asylrecht missbraucht. Die Beendigung des Elends und die Suche nach pragmatischen Lösungen und einer gebotenen zivilisierten Unterbringung war deshalb kein vorrangiges Ziel. Stattdessen gab es unrealistische Versprechungen. Auch das hat dazu beigetragen, dass die Besetzung über zwei Winter hinweg andauerte – ein Konflikt, ausgetragen auf dem Rücken der Allerärmsten. Auch das eine Form von Neokolonialismus.

Elend und Gewalt hinter Mauern verschwinden lassen?

Richtig ist es, dass Flüchtlinge das Recht auf ein schnelleres Asylverfahren haben müssen und dass die Residenzpflicht, die Flüchtlinge an einen zugewiesenen Wohnort zwingt, abgeschafft gehört wie auch das Verbot, hier zu arbeiten oder zur Schule zu gehen. Doch wo es vor allem um Ideologie geht, werden die Flüchtlinge ein zweites Mal zu Opfern gemacht, diesmal im Namen einer Humanität, die nicht anders genannt werden kann als zynisch. Die Grünen, die sich schon im Bundestagswahlkampf 2013 mit ihrer Vision von einer Verordnungsrepublik verrannt hatten, sind erneut auf dem Weg, bei ihren Stammwählern essenzielles Vertrauen zu verspielen.

Was menschenverachtend ist, wissen die Grünen und Linken immer sehr genau; gerade dem politischen Gegner wird dieses Etikett gerne und schnell angeheftet. Eine Räumung der Gerhart-Hauptmann- Schule aber kommt für die Bezirksbürgermeisterin noch immer nicht infrage. Sie fordert als Reaktion auf den Tod des Marokkaners allen Ernstes, dass künftig die Türen der Schule geschlossen bleiben sollen und Bewohner sich per Hausausweis identifizieren müssen. Damit das Elend und die Gewalt hinter den Mauern bleibt? Übrigens: Nur zwölf Stunden nach den tödlichen Messerstichen in der Schule musste die Polizei erneut anrücken. Bei der Schlägerei erlitt eine Person Schnittverletzungen.

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