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David Kordon, Bezirksvorsitzender der FDP in Friedrichshain-Kreuzberg.

© privat

FDP Friedrichshain-Kreuzberg: "Sträflich vernachlässigten Fahrradverkehr deutlich verbessern"

David Kordon, FDP Bezirkschef in Friedrichshain-Kreuzberg, über liberale Ideen für eine urbane Mobilität.

Von Markus Hesselmann

Probieren die Friedrichshain-Kreuzberger Liberalen bewusst Neues aus, das in der FDP derzeit (noch?) nicht so verbreitet ist? Z.B. Verkehrspolitik, bei der nicht unbedingt das Auto im Mittelpunkt steht, Mietpreise/Soziales, Verbraucherschutz, Umwelt, Digitales, Bürgerrechte...?

Wir Freien Demokraten in Friedrichshain-Kreuzberg verstehen uns als „Labor der Partei“, sodass wir sowohl neue Beteiligungsmöglichkeiten ausprobieren als auch neue inhaltliche Akzente setzen. Maßgeblich für diese Entwicklung war die Arbeit im Vorstandsteam der vergangenen Jahre um Richard Siebenhaar, der bis Februar 2017 Vorsitzender der FDP im Bezirk war. Ziel unserer Aktivitäten ist aber niemals die Abgrenzung um der Abgrenzung willen, sondern unsere Initiativen entsprechen unserem liberalen Lebensgefühl. Wir stehen für einen Liberalismus, der freiheitliche wie pragmatische Lösungen zum Wohle aller sucht. So haben wir innerhalb der FDP Berlin etwa ein Konzept für urbane Mobilität auf den Weg gebracht, das Belange aller Verkehrsteilnehmer beachtet und insbesondere den sträflich vernachlässigten Fahrradverkehr deutlich verbessern wird. Auf dem letzten Bundesparteitag im April 2017 haben wir das FDP-Bundestagswahlprogramm um zwei programmatische Forderungen zum Homesharing und zur doppelten Staatsbürgerschaft ergänzt.

Wird dies von der Landes- und Bundes-FDP unterstützt und wenn ja, wie?

Ich habe den Eindruck, dass Bundes- und Landespartei unsere Initiativen mit Interesse verfolgen. So zum Beispiel bietet die Bundespartei in diesem Jahr erstmals an, über Paypal zu spenden – das haben wir schon im letzten Jahr erfolgreich ausprobiert. Programmatisch haben wir mal mehr, mal weniger Erfolg – aber das gilt für jede Gliederung einer Partei, wir haben also keinen „Sonderstatus“.

Halten Sie andererseits die derzeitige Fixierung der Berliner FDP auf das Thema Tegel für klug? Birgt das nicht die Gefahr der Einseitigkeit und Gestrigkeit, zum Beispiel wenn man die Pläne für die Zukunft des Flughafen-Areals in den Blick nimmt, auf dem hochmoderne, digitale, bildungsaffine Unternehmungen umgesetzt werden sollen nach der Schließung des Flughafens (Beuth-Hochschule etc.)?

Auf den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel zu setzen ist keine vergangenheitsbezogene Politik, sondern die einzig logische Möglichkeit. Dass ein Flughafen BER, der noch immer nicht in Betrieb ist, viel zu klein geplant wurde und allein nicht im Entferntesten den Erfordernissen des Flugverkehrs in Berlin gerecht wird, verdanken wir den Berliner Regierungen der vergangenen Jahrzehnte. Moderne, digitale und bildungsaffine Unternehmen und Organisationen in Berlin anzusiedeln ist selbstverständlich auch uns eine Herzensangelegenheit. Dafür bestehen aber reichlich anderweitige Möglichkeiten, man denke nur an die Freifläche und das riesige Terminal-Gebäude des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Das Areal in Tegel bereits anderweitig zu verplanen macht es nicht sinnvoller, einen gut laufenden und schlicht notwendigen Flughafen zu schließen. Frühere und aktuelle Regierungsparteien in Berlin erkennen diese Tatsache aus rein politischen Gründen nicht an.

Auch den Vorwurf der Einseitigkeit in Bezug auf das Thema Tegel teile ich nicht. Die FDP hat im Wahlkampf versprochen, alles für den Weiterbetrieb zu tun und Wort gehalten. Knapp eine Viertelmillion Unterschriften wurden dank des großen Einsatzes von Mitgliedern in ganz Berlin gesammelt. Im Abgeordnetenhaus und  auch in den Bezirksverordnetenversammlungen lässt sich beobachten, dass die FDP sachliche und leidenschaftliche Oppositionspolitik betreibt und zahlreiche Themenfelder besetzt. Stellvertretend möchte ich hier nur die Themen Kita als Bildungseinrichtung, Digitalisierung der Verwaltung, die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss im Fall Amri oder auch die Ansiedlung von Zalando und Google in Kreuzberg nennen. Eher selten berichten aber die Medien darüber.

Warum steht das Thema Digitalisierung nicht stärker im Vordergrund? Kann man damit keine Wahlen gewinnen in Deutschland?

Das sehe ich nicht so. Digitalisierung ist neben Bildung das Top-Thema der Freien Demokraten. So früh und intensiv wie keine andere Partei haben wir hier Konzepte für verschiedenste Lebensbereiche entwickelt – von der digitalen Kitaplatzvergabe über digitale Bildung in allen Schulen bis zur Industrie 4.0. Wir wollen die Digitalisierung der Gesellschaft gestalten und sehen Chancen, wo andere sofort kopflos auf Risikoabwehr schalten. In jüngsten Umfragen wurde der FDP folgerichtig die höchste Digital-Kompetenz aller Parteien zugesprochen. Unser Friedrichshain-Kreuzberger Abgeordneter Bernd Schlömer gehört auf diesem Gebiet zu den kompetentesten Experten in der politischen Landschaft in Deutschland. Das Fachmagazin politik&kommunikation zählt ihn zu den wichtigsten Akteuren der Digitalisierung. Und gerade lokal spielt das Thema für uns eine große Rolle: Im Berlin-Wahlkampf haben wir deshalb auch eine unserer zentralen Veranstaltungen der Zielgruppe junger Gründer und Startups gewidmet.

Verfolgen Sie die Arbeit der britischen Liberal Democrats und überlegen Sie, was die FDP daraus lernen könnte? Fehlt nicht in Deutschland eine glaubwürdige, eher sozialliberale Kraft nach dem Vorbild der LibDems? Kann die FDP diese Kraft (auch) sein oder wäre dies eine Überforderung derzeit? Hat die sozialliberale Tradition, die Freiburger Tradition, die mit großen Namen wie Dahrendorf, Maihofer, Baum, Hirsch, Hamm-Brücher verbunden wird, heute noch ein Standing in der FDP?

Wir verfolgen mit großer Freude den (Wieder-)Aufstieg progressiver liberaler Parteien und Bewegungen in ganz Europa, wie den Liberal Democrats, D66 oder En Marche. Auch die FDP ist seit 2013 wieder zu einer solchen progressiv-liberalen Kraft geworden, was mit immer neuen Wahlerfolgen auf kommunaler und Landesebene honoriert wird. Der Kurs einer zukunftsorientierten, europafreundlichen Politik, die das Gegenteil autoritärer populistischer Kräfte verkörpert, wird sowohl von Christian Lindner an der Parteispitze konsequent vorgelebt und von den Mitgliedern mitgetragen. Klassisch als sozialliberal eingeordnete Positionen sind innerhalb der FDP wieder deutlich stärker vertreten als noch vor 2013. Hier hat sich die Partei wieder breit aufgestellt und knüpft in vielen Bereichen an die Tradition der Freiburger Thesen und ihrer bekanntesten Vertreter an, ohne die starke Kompetenz in Wirtschafts- und Finanzfragen dabei aufzugeben. Die FDP ist zudem ganz klar die Partei der Menschen- und Bürgerrechte, die nicht nur in Deutschland, sondern weltweit mit Nachdruck vertreten werden.

Hat die Abwanderung rechts- und nationalliberaler Politakteure und Wähler zur AfD der FDP auf mittlere Sicht womöglich gut getan? Oder eher nicht?

An welche Akteure und Wähler denken Sie? Laut Wählerwanderungsanalysen gab es nur sehr wenig „Austausch“ zwischen der FDP und de AfD, auch ist die FDP nie für „Ausländer raus“ oder Flüchtlingsabschub eingetreten. Wohl gab es seit 2010 in der FDP wie ja deutschlandweit eine große Diskussion um den Euro.

Ist es aus Ihrer Sicht klug, die FDP vor allem als Partei gegen Rot-Grün zu positionieren, also als politischen Akteur, der vor allem gegen etwas ist und nicht unbedingt für etwas steht? Wofür steht aus Ihrer Sicht die FDP im Jahr 2017?

Ich nehme keinesfalls eine Positionierung der FDP als „Dagegen-Partei“ wahr. Bei konkretem Regierungsversagen, wie in zahlreichen Fällen durch Innenminister Jäger in NRW, kritisiert die FDP andere Parteien selbstverständlich und das völlig zu Recht. Das bezieht sich aber auf alle Parteien und betrifft Union und AfD genauso wie Rot-Grün. Wo in Koalitionen liberale Inhalte durchgesetzt werden können, scheut sich die FDP nicht, Regierungsverantwortung wahrzunehmen –  wie zum Beispiel in Rheinland-Pfalz, wo sie seit 2016 mit SPD und Grünen zusammen regiert.

Die Freien Demokraten stehen 2017 für eine Vielzahl an Themen – ganz generell für Europa, Fortschritt, die Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen und die Soziale Marktwirtschaft, ganz konkret zum Beispiel für Themen wie ein Einwanderungsgesetz, beste digitale Infrastruktur und Bildung an allen Schulen Deutschlands, mehr Polizisten oder ein bürokratiefreies Jahr für StartUps...

Was sind die wichtigsten Ziele?

Das wichtigste Ziel der Freien Demokraten 2017 ist ganz klar der Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag. Mittelfristiges Ziel ist es, Deutschland fit für die Zukunft zu machen, während andere Parteien zurück in die Vergangenheit streben oder die Gegenwart verwalten wollen. Ganz persönlich ist mir, wie vielen anderen in der Partei auch, die Stärkung liberaler Ideen und Positionen in Deutschland ein wichtiges Anliegen. Hier gibt es nach wie vor einen starken Nachholbedarf. Liberalismus darf nicht länger mit sozialer Kälte, Arroganz oder Klientelpolitik assoziiert werden. Liberalismus steht für größtmögliche persönliche Freiheit, Offenheit für Veränderung und beste Chancen für alle, ohne Menschen zurückzulassen, die im Leben weniger Glück hatten als andere. Für diesen Liberalismus stehen wir, ihn müssen wir auch parlamentarisch wieder stark vertreten und in der Bevölkerung wieder zu größerer politischer Geltung verhelfen, wie dies etwa in Belgien, den Niederlanden oder in Dänemark ganz selbstverständlich ist.

Wie können Basisverbände wie die FDP Friedrichshain-Kreuzberg helfen, diese Ziele in einem urbanen Umfeld zu kommunizieren und zu erreichen?

Gerade auf Bezirksebene wird liberale Politik schnell sehr konkret. Da wird ein von einer Kita beantragter Ausbau von Rot-Rot-Grün nicht genehmigt, weil ein paar Bäume gefällt werden müssten. Und dass, obwohl die Kita ein riesiges Gartengelände mit Platz zu Neuanpflanzung hätte, an einen Park grenzt und Kitaplätze händeringend gesucht werden. Diese mangelnde Pragmatik, man könnte auch Verbohrtheit sagen, ist uns einfach unverständlich. Da wird mit Milieuschutz und anderen Instrumenten versucht, den u.a. mauerfallbedingten Mietanstieg zu stoppen – anstelle Freiflächen klug für den notwendigen Neubau freizugeben und Aufbauten zu fördern. Wenn jährlich 40.000 Menschen neu nach Berlin ziehen, sind die bisherigen auf Landes- wie Bezirksebene ergriffenen Maßnahmen einfach nicht angemessen. Wir stehen für Fortschritt, Offenheit und Freiheit, für ein friedliches Miteinander mit größtmöglichen individuellen Entfaltungsmöglichkeiten. Ideologisches Beharren auf dem Status Quo oder populistische Feindbilder sind uns fremd.

Mit kritischer, sachlicher und pragmatischer Oppositionsarbeit haben sich zum Beispiel unsere Bezirksverordneten Marlene und Michael Heihsel längst einen Namen gemacht. Sie zeigen, dass liberale Ideen und Werte ein idealer Nährboden für eine positive urbane Entwicklung sind. Unsere Mitgliedschaft ist genauso jung wie unser Bezirk und sprüht vor Tatendrang und Gestaltungswillen, was sich entsprechend in unserer Social Media-Präsenz, in unseren Wahlkämpfen und auf unseren Veranstaltungen widerspiegelt. Ein großer Teil der Mitglieder ist übrigens erst nach 2013 eingetreten, für viele von ihnen war das Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag der Anlass, sich politisch bei den Freien Demokraten zu engagieren.

Was wären womöglich ökologische und soziale Themen, die auch für die FDP interessant sein könnten und wie wären sie anzugehen?

Die Zukunft urbaner Mobilität ist längst auch ein großes ökologisches Thema, um hier nur ein Beispiel zu nennen. Hier hat Deutschland, aber auch Berlin und Friedrichshain-Kreuzberg noch einen langen Weg vor sich. Wir müssen Innovation bei alternativen Antrieben genauso befördern, wie intelligente Mobilitätskonzepte für die wachsende Großstadt. Die Fortbewegung auf Berlins Straßen, egal mit welchem Verkehrsmittel, ist aktuell ein einziges Chaos.

Im Bezirk selbst ist nahezu jedes Thema auch ein soziales. Sei es die Ansiedlung von Unternehmen wie Google und Zalando oder der Kampf um knappen Wohnraum: Wollen wir alles in einem vermeintlichen Status Quo konservieren, oder lassen wir zu, dass sich der Kiez verändert? Wenn ja, wie – und zu welchem Preis? Insbesondere beim Wohnungsbau stecken wir in einem Teufelskreis aus hohen Kosten durch unnötige Bürokratie, einer auch dadurch viel zu geringen Bautätigkeit, Wohnungsknappheit und weiterer Überregulierung. Hier gilt es Lösungen zu finden, die klüger sind als ausschließlich auf staatliche Subventionen oder gar bezirkliches Vorkaufsrecht zu setzen. Wir sollten das Angebot deutlich erhöhen, statt bestehende Wohnungen zu verstaatlichen.

Aber auch in der Schulpolitik brauchen wir eine 180-Grad-Wende. Wenn sie sich zum einen anschauen, in welchem miserablen Zustand die Schulen in Friedrichshain-Kreuzberg und in Berlin sind, und zum anderen sehen, dass wir in einigen Kiezen bereits auf einen Notstand beim Angebot von Schulplätzen zulaufen, dann erkennen Sie, weshalb wir im Wahlkampf unsere Priorität auf Bildungspolitik gesetzt haben. Der Senat macht jedoch bisher nicht den Eindruck, dass er die Probleme wirklich angehen möchte. Wir fordern hier, dass sich v.a. die Bauämter neu aufstellen und ihre Priorität auf Sanierung und Neubau von Schulen setzen.

Halten Sie es für möglich, die Komplexe Leistungsbereitschaft/wirtschaftliche Dynamik/Markt auf der einen und Ökologie/faire Mobilität/Verbraucherschutz/Soziales auf der anderen Seite in Einklang zu bringen?

Selbstverständlich, genau daran arbeiten wir Tag für Tag. Es ist ein gern verbreitetes Vorurteil, dass Liberale für einen grenzen- und zügellosen Markt stehen, der sich weder um Mensch noch um Natur kümmert und in dem der Staat am besten gar nicht existiere. Richtig ist vielmehr, dass wir dezidiert für die soziale Marktwirtschaft stehen, die Menschen nicht einfach sich selbst überlässt. Eines unserer wichtigsten Anliegen sind gleiche Chancen und faire Bedingungen für alle. Dazu gehören an der richtigen Stelle natürlich von der Politik gesetzte Leitplanken und Standards, etwa durch eine bestmögliche Bildungsinfrastruktur. Was wir jedoch verhindern wollen, ist die übermäßige Einmischung des Staates in die Freiheit des Einzelnen, ob durch maßlose Überwachung, überbordende Bürokratie oder unangemessenes Nannytum. Wir trauen den Menschen zu, selbst kluge Entscheidungen für sich zu treffen, und möchten das durch möglichst wenige Vorschriften behindern.

Was ist, auch vor diesem Hintergrund, an Ampelkoalitionen so abschreckend derzeit? Warum schließen Sie diese so kategorisch aus? Wären nicht, provozierend gesagt, die Grünen eigentlich der natürliche Partner für eine moderne FDP?

Sofern liberale Inhalte klar und deutlich Einzug in Koalitionsverträge und Regierungsarbeit finden, ist zunächst einmal keine Koalition abschreckend. Es muss inhaltlich, aber auch natürlich persönlich-kulturell passen. Denn mit einer Koalition geht man ja eine Partnerschaft für einige Jahre ein, und je länger der Koalitionsvertrag zurückliegt, desto mehr muss neu und miteinander entschieden werden.  Je nach Strömung und Bundesland kann das sehr unterschiedlich sein. So spräche aus meiner Sicht nichts gegen Kooperationen mit pragmatischen Grünen Özdemir‘scher Prägung. In Berlin haben wir jedoch einen sehr dogmatischen grünen Landesverband. Für viele Grüne sind die Friedrichshain-Kreuzberger Grünen davon noch einmal die Steigerung. Jenseits von AfD und Linkspartei schließen wir jedoch keine Koalitionen kategorisch für ganz Deutschland aus. Wir haben keine natürlichen Koalitionspartner, sondern richten uns nach Inhalten.

Das Interview ergänzt einen Beitrag über liberale Experimente in Friedrichshain-Kreuzberg und Berlin-Mitte, den Sie hier lesen können. Ein Interview mit FDP-Bundesgeschäftsführer Marco Buschmann finden Sie hier. Der FDP-Beschluss zur "urbanen Mobilität" wird hier dokumentiert.

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