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Sie standen Rede und Antwort: Bürgermeister Naumann (Mitte) mit Vertretern des ASB, des BIM und des Lageso. Vize-Superintendentin Bettina Schwietering-Evers (2.v.r.) moderierte.

© Cay Dobberke

Berlin-Wilmersdorf: Flüchtlinge willkommen, Bürgermeister kritisiert Senat

Viel Hilfsbereitschaft sowie Kritik an den Behörden prägte den Informationsabend zur Flüchtlingsunterkunft im früheren Rathaus Wilmersdorf.

So voll ist es in der Wilmersdorfer Auenkirche sonst nur in der Weihnachtszeit: Fast 600 Bürger kamen am Donnerstag zum Informationsabend über die neue Notunterkunft für Flüchtlinge im Rathaus Wilmersdorf am Fehrbelliner Platz.

Viel Beifall und Lob erhielten ehrenamtliche Helfer des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) sowie der Bürgerinitiativen „Wilmersdorf hilft“ und „Willkommen in Wilmersdorf“. Ohne sie hätte die Notunterkunft gar nicht öffnen können, betonte der Charlottenburg-Wilmersdorfer Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD). Maik Zinn vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) stimmte zu.

Beispielloses Engagement

Seit der Eröffnung der Unterkunft am 14. August sind dort täglich etwa 100 Bürger aktiv – sie dolmetschen, verteilen Essen und Kleidung, organisieren Deutschunterricht und richteten ein Kinderzimmer mit gespendetem Spielzeug in. Am Freitag komme ein Frauentreff hinzu, hieß. Darüber hinaus behandeln Ärzte ehrenamtlich alle Bedürftigen.

In diesem Ausmaß sei das beispiellos, sagte Detlef Kühn, Vize-Landesvorsitzender des Arbeiter-Samariter-Bunds. „So etwas habe ich in meiner 40-jährigen Tätigkeit noch nicht erlebt.“ Die 70 Helfer des ASB engagierten sich ebenfalls rein ehrenamtlich, fügte er hinzu. Die Hilfs- und Wohlfahrtsorganisation sei aber auch bereit, ihr Engagement hauptamtlich fortzusetzen und wolle sich bewerben, wenn ein künftiger Betreiber per Ausschreibung gesucht werde.

Der Bezirk will keinen anderen Betreiber

Bürgermeister Naumann forderte, den ASB als Betreiber beizubehalten und keine private Firma zu beauftragen. Sonst gehe die „erreichte Vernetzung“ verloren.

Nur eine Anwohnerin zeigte sich besorgt über mögliche negative Auswirkungen der Notunterkunft auf die Umgebung.

Viel Kritik gab es aber am Lageso und an der Senatssozialverwaltung. Bürger fanden es „unwürdig für das reiche Deutschland“, dass provisorische Duschen erst nach fünf Tagen in Zelten aufgestellt wurden und ihre Zahl auch jetzt noch zu gering sei. Die Zelte wurden von der Feuerwehr und der DLRG aufgestellt.

Bald kommen Duschcontainer statt der Zelte

Ab Anfang nächster Woche soll es Sanitärcontainer geben, die für die 2,90 Meter hohe Hofeinfahrt zehn Zentimeter zu groß sind und deshalb in der Mansfelder Straße stehen müssen. Lageso-Vertreter Zinn wies darauf hin, wie schwierig die Beschaffung gewesen sei: „Die Republik ist leer, es gibt keine Duschcontainer mehr.“

Vorgeworfen wurde dem Landesamt außerdem, dass dessen mobile Teams, die Neuankömmlinge registrieren, erst am Mittwoch erschienen waren. Für Flüchtlinge ist die Registrierung wichtig, weil es erst danach eine „grüne Karte“ für medizinische Behandlungen gibt. Auch Taschengeld bekommen nur Asylbewerber, deren Personalien bekannt sind.

Lageso zahlte Rechnungen nicht

Nebenbei wurde durch die Publikumsfrage eines Politikers der Linkspartei bekannt, dass der ASB seit der Unterbringung von Flüchtlingen in der Lichterfelder Sporthalle an der Lippstädter Straße noch offene Rechnungen in Höhe von 140 000 Euro hat. Dabei geht es anscheinend auch um Kosten, die durch externe Dienstleister wie Reinigungsfirmen entstanden waren.

Das Lageso hat den Betrag bisher nicht überwiesen. Amtsvertreter Zinn sagte, er sei dafür nicht zuständig, werde seine Kollegen aber darauf ansprechen. Die Verzögerung beruhe wohl auf dem Personalmangel.

Bürgermeister Naumann sagte, er habe Sozialsenator Mario Cjaza (CDU) soeben in einer Sitzung des Rats der Bürgermeister aufgefordert, Kosten nicht erst nachträglich zu erstatten. Angesichts der geringen Mittel des ASB müsse es Abschlagszahlungen geben.

Ist zum Jahresende wieder Schluss?

Am Fehrbelliner Platz leben nun mehr als 530 Flüchtlinge. Offen blieb, wie lange das frühere Rathaus zur Verfügung steht. Das Berliner Immobilienmanagement (BIM) will eigentlich Anfang 2016 mit Umbauten beginnen, wie Geschäftsführerin Birgit Möhring im Gespräch mit dem Tagesspiegel bestätigte. Im ersten Quartal 2017 sollen der Landesrechnungshof und Büros der Stadtentwicklungsverwaltung einziehen.

Eine Verschiebung dieses Zeitplans sei kaum möglich, sagte Möhring. Schließlich müsse die Stadtentwicklungsverwaltung einen Teil ihres Sitzes an der Württembergischen Straße wegen der dort geplanten Gebäudesanierung räumen. Und die Räume des Rechnungshofs in der Straße An der Urania seien asbestbelastet.

Später soll auch das Landesarbeitsgericht aus Tiergarten an den Fehrbelliner Platz umziehen.

Ob die Notunterkunft wirklich schon zum Jahresende wieder schließt, wurde offenbar noch nicht entschieden. Bei dringendem Bedarf hält das Lageso eine Verlängerung für möglich.

Von Plänen an der Bundesallee wusste der Bürgermeister nichts

Dass der Senat nun auch eine Erstaufnahmestelle im früheren Haus der Landesbank (LBB) an der Bundesallee anstrebt, wussten die Gäste im Kirchensaal nicht. Bürgermeister Naumann erfuhr es erst am Freitag „aus der Zeitung“ und reagierte „hochgradig verärgert“ darauf, dass der Bezirk mal wieder nicht informiert worden sei. Ein Ziel der Versammlung sei doch „mehr Transparenz“ gewesen. Wenn wichtige neue Entwicklungen nicht zur Sprache kämen, sei dies „kontraproduktiv“.

Naumann nimmt an, dass das LBB-Haus als Alternative zum Rathaus Wilmersdorf gedacht ist.

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