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Im alten Kinosaal der Tempelhofer Ufa-Studios, heute das Varieté der Ufa-Fabrik, sprach Peter Baumann über sein neues Album "Machines of Desire" und seine Zeit mit Tangerine Dream in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Tangerine Dream und Peter Baumann: Bowie, Iggy, Edgar, die Bombe und ich

In den Siebzigern spielte Peter Baumann bei Tangerine Dream. Nach Jahren hat er ein neues Soloalbum veröffentlicht – und erinnert sich an seine Schöneberger und Tempelhofer Zeit auch mit David Bowie und Iggy Pop.

Von Markus Hesselmann

„Ummagumma“ haben sie gehört, tagelang. „Das Pink-Floyd-Album lief ständig“, erzählt Peter Baumann. Damals, Anfang der siebziger Jahre, bei Edgar Froese in dessen Wohnung in der Schwäbischen Straße im Bayerischen Viertel in Berlin, in der sich die Musiker von Tangerine Dream trafen und unter anderem dort im hauseigenen Tonstudio ihren Sound entwickelten. „Signale aus der Schwäbischen Straße“, hieß ein Dokumentarfilm, den der NDR 1974 über die Band drehte.

„Nebelgrau, stumm, düster, ihre schwarzen Fassaden, als wären sie aus einem Steinkohleblock gehauen.“ So beschreibt die Schriftstellerin und Tagesspiegel-Kolumnistin Pascale Hugues aufgrund der bei Youtube zu sehenden NDR-Doku das Ambiente in ihrem Buch „Ruhige Straße in guter Wohnlage. Die Geschichte meiner Nachbarn“, in dem es um die Schwäbische Straße geht. „An den Mauern klebt noch die Tristesse der Nachkriegszeit. Sie gleicht Ostberlin vor dem Mauerfall.“

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Ein heruntergekommener, aber offenbar passender Ort, um, wenn schon nicht wie im Kreuzberg der Scherben politisch Umstürzlerisches, so doch Musikrevolutionäres zu entwickeln. Synthesizer-Pionier Klaus Schulze, 1969/70 kurz als Schlagzeuger Mitglied bei Tangerine Dream, lebte auch in der Straße. Peter Baumann selbst wohnte ein paar Häuserblöcke weiter.

Ihren Proberaum hatten Tangerine Dream an einem damals ebenfalls unglamourösen Ort: Im alten, kaputten Kinosaal der einstigen Ufa-Dependance in Tempelhof, noch bevor dort das alternative Wohn- und Kulturprojekt Ufa-Fabrik heimisch wurde. Froese und Co hatten den West-Berliner Hippie-Impresarios Scotty und Juppy damals den Tipp mit dem Ufa-Gelände gegeben, als für deren Kommune eine Fabriketage in der Kurfürstenstraße in Schöneberg zu klein wurde und sich ein Umzug nach Kreuzberg zerschlug. Hier, im hübsch als Varieté wieder hergerichteten Kinosaal der Ufa-Fabrik, sitzt Peter Baumann beim Gespräch anlässlich seines Albums "Machines of Desire", das er nach drei Jahrzehnten Pause kürzlich veröffentlicht hat.

Peter Baumanns Zeit bei Tangerine Dream, von 1971 mit kurzen Unterbrechungen bis 1977, ist für viele Fans bis heute die beste Phase der Band. Eine innovative, experimentelle, aber rhythmisch und melodisch eingängige Musik entstand in der Besetzung Edgar Froese, Peter Baumann und Christoph Franke.

John Peel und Richard Branson hatten Interesse

Eine Musik, mit der die drei Berliner im Pop-Mutterland Großbritannien zu Stars wurden, bevor sie Deutschland, über die Berliner Szene hinaus, überhaupt zur Kenntnis nahm. John Peel und Richard Branson, der Urvater aller Radio-DJs und der angehende Musiktycoon, waren auf die exotischen Deutschen aufmerksam geworden und statteten sie mit Sendezeit und Plattenvertrag aus.

Das Album „Phaedra“ von 1974 kam auf der Insel in die Top 20. Während sich Pink Floyd schon bald von Erneuerern zu Dinosauriern entwickelten, ließen Tangerine Dream die angelsächsischen Rockstrukturen hinter sich und kreierten einen eigenen, von Synthesizern und Sequencern getragenen Sound, der zum Urklang für Elektro, Techno, Trance und Ambient wurde.

Was lief noch im Wohnzimmer bei Froese? „Natürlich ,Low‘ von David Bowie“, sagt Peter Baumann. Der im Januar, fast genau ein Jahr nach Edgar Froese gestorbene britische Superstar war Tangerine Dream zeitlebens verbunden. Er war sogar eine Zeit lang zu Gast in der Altbauwohnung in der Schwäbischen Straße: Da Bowies Wohnung in der Hauptstraße noch nicht fertig renoviert war, zog er 1976 zunächst für ein paar Wochen bei Froese ein.

Man ging zusammen mit Bowies Kumpel Iggy Pop zu Romy Haag, ein paar Straßen weiter, unterhielt sich über Gott und die Welt, über Musik und den Atomkrieg. Was würdest du tun, wenn die Atombombe explodiert, war so eine Frage, die laut Peter Baumann diskutiert wurde. „Ich würde mich direkt drunter stellen“, sagte Iggy Pop. „Ich würde gerade so weit weggehen, dass ich sehen könnte, was passiert“, sagte David Bowie. Und Baumann selbst? „Ich würde es nehmen, wie es kommt.“

Damit ist viel gesagt über die Haltung des Tangerine-Dream-Musikers. Soziokulturellen Utopien à la Ufa-Fabrik standen Baumann und die anderen zwar wohlwollend gegenüber, hatten damit aber nicht wirklich was am Hut. „Uns ging es um Transzendenz“, sagt Baumann und schafft es, dabei nicht peinlich zu wirken. Statt sich politisch auszupowern, wollten Tangerine Dream das Unendliche mit den Mitteln der Musik ergründen.

"Phaedra" und "Ricochet" klingen immer noch frisch

In späteren Phasen glitt dieser kosmische Anspruch das eine oder andere Mal ins Kitschige ab, vor allem wenn es klanglich etwas zu breitwandig-eingängig wurde. Doch in den Siebzigern, nicht zuletzt dank Peter Baumann und seiner überraschenden melodischen Wendungen, die sich über die Rhythmen Froeses und Frankes legten, passte das zum Lebensgefühl. Und Alben wie „Phaedra“ oder „Ricochet“ hören sich aufgrund der fortschrittlichen Instrumentierung und all dem, was sich in der elektronischen Musik daraus entwickelte und was der heutige Hörer unweigerlich auch im Kopf hat, immer noch frisch an.

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Genau hier knüpft Baumann mit seinem neuen Album an, das wie die Modernisierung eines Tangerine-Dream-Werks jener Phase unter Umgehung der Neunziger- und Nullerjahre klingt. Und prompt diskutieren die Fans, ob es opportun sei, dieses Solowerk des Jahres 2016 als Fortsetzung der Siebziger-Alben einzuordnen. „Da habe ich nichts dagegen“, sagt Baumann in aller Tiefenentspanntheit, die er mit jeder Geste und jedem Wort ausstrahlt. Nach Jahren als erfolgreicher Label-Chef in den USA muss er sich mit nichts Neuem beweisen.

Ebenfalls jahrelang hat er sich lesend auf Sinnsuche begeben: Philosophie, Psychologie, Genetik, Anthropologie, Buch um Buch, und dann beschlossen, dass es Zeit sei, wieder musikalisch kreativ zu sein. „Es war für mich klar, dass ich auch wieder Kontakt mit Edgar haben würde“, sagt Peter Baumann. Man telefonierte, verabredete, etwas zusammen zu machen.

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Zwei Wochen später war Edgar Froese tot. Dessen Sohn Jerome, ohnehin langjähriges Mitglied bei Tangerine Dream, verfolgt nun das Bandprojekt weiter. Unter anderem mit Ulrich Schnauss, der einst nach London auswanderte, weil ihm die Berliner Techno-Szene zu eng wurde, und er es gern melodischer hatte. Baumann war bereit, an einem neuen Tangerine-Dream-Album mitzuwirken. „Es hat aber dann nicht gepasst zwischen uns“, erzählt er fast beiläufig.

Tangerine Dream nicht passé

Und so wurde aus seinem Material ein Solo-Album. „Was nicht heißt, dass ich nicht künftig doch etwas mit Tangerine Dream machen werde.“ Für eine neue Dokumentation, die gerade ein erfolgreiches, von der Band selbst angestoßenes Crowdfunding hinter sich gebracht hat, steht er als Gesprächspartner zur Verfügung. Außerdem freut er sich darüber, dass nun posthum Edgar Froeses Autobiografie erscheint sowie über die von seiner Witwe Bianca Froese-Acquaye vorangetriebene Idee, in Berlin ein Tangerine-Dream-Museum zu eröffnen. „Zwischen Edgar und mir gab es immer ein tiefes Verständnis“, sagt Peter Baumann.

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Wer dem entspannt lächelnden, nahbaren, amerikanisch umgänglichen 63-Jährigen gegenübersitzt, muss sehr lachen bei der Erinnerung an das Buch von Pascale Hugues und den Eindruck, den jene jungen deutschen Musiker, deren Fan sie war, aufgrund der Filmaufnahmen aus dem Jahr 1974 auf sie machten: „Den Göttern meiner Jugend fehlt es an Pep. Jeder Satz scheint einer geistigen Anstrengung abgerungen zu sein. Nie ein Lächeln. Keine Regung der Begeisterung in der Stimme. Ich habe Lust ihnen zuzurufen: ,Hallo, das Leben ist schön! Freut euch! Ihr seid Stars! Sämtliche Mädchen liegen euch zu Füßen!’“

„Wir waren schon sehr seriös“, sagt Peter Baumann und benutzt das deutsche Wort im Sinne des englischen „serious“, ernsthaft. „Wir waren halt Deutsche.“

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