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Brigitte Zwerger und Sylvia Runge erinnern an ihre Großtante bzw. Urgroßtante Claire Lambertz.

© Markus Hesselmann

Holocaust-Erinnerung: Den letzten Wunsch erfüllt

„Vergesst mich nicht“, schrieb Claire Lambertz vor ihrer Deportation. Ein Stolperstein erinnert nun im Bayerischen Viertel an sie.

Von Markus Hesselmann

Die letzten Worte von Claire Lambertz an ihre Angehörigen klingen durch die Stübbenstraße, eine idyllische Nebenstraße im Bayerischen Viertel: „Meine Lieben! Lebt wohl, alles war vergebens“, hatte sie am 9. Januar 1942 an ihre Verwandten geschrieben. „Am 11. ist mein Schicksal entschieden. Nicht mehr schreiben. Eure unglückliche Claire. Vergesst mich nicht.“ Verlesen werden diese Worte nun an einem Junitag im Jahr 2017. Sylvia Runge erinnert damit an ihre Urgroßtante. 50 Menschen sind gekommen, um Claire Lambertz’ zu gedenken. An jenem Ort, an dem sie lebte und von dem die Nazis sie nach Riga deportierten, um sie dort zu ermorden. 60 Jahre alt wurde Claire Lambertz.

Von Oktober 1941 bis März 1945 deportierten die Nazis mehr als 50 000 Juden aus Berlin. Mehr als 35 000 wurden erschossen oder vergast. Von den 15 000, die zunächst ins Konzentrationslager Theresienstadt kamen und nicht sofort ermordet wurden, überlebten nur elf Prozent.

Wilhelminisches Bürgerpaar im Sonntagsstaat: Claire und Philipp Lambertz in den frühen Berliner Jahren. Um 1910 waren sie in die Hauptstadt gezogen, ins Bayerische Viertel.
Wilhelminisches Bürgerpaar im Sonntagsstaat: Claire und Philipp Lambertz in den frühen Berliner Jahren. Um 1910 waren sie in die Hauptstadt gezogen, ins Bayerische Viertel.

© privat

„Heute erfüllen wir Claires letzten Wunsch, nicht nur immerwährend gedanklich, sondern auch visuell“, sagt Sylvia Runge. Denn nun erinnert ein Stolperstein vor dem Haus Nummer 11 an Claire Lambertz. Verlegt wird der Gedenkstein, wie auch ein weiterer für Claire Lambertz’ Nachbarn Hermann Silberstein, vom Künstler Gunter Demnig während einer Zeremonie, bei der neben der Angehörigen auch Volker Beck spricht. Der grüne Bundestagsabgeordnete nimmt Bezug auf das „Vergesst mich nicht“ aus der letzten Postkarte. Als Reminiszenz, aber auch als Mahnung, dass solche Schicksale in Deutschland nie wieder zu beklagen sein sollen. Gerade in diesen Zeiten, in denen Menschen wieder wegen ihres Glaubens ausgegrenzt würden.

Die letzte Postkarte von Claire Lambertz vor ihrer Deportation.
Die letzte Postkarte von Claire Lambertz vor ihrer Deportation.

© privat

Ein Thema möchte Sylvia Runge „nicht ganz auslassen“, wie sie sagt. „Etwas stolprig gestaltet“ sei für sie der Weg hierhin gewesen. Mit diesem Satz, bei dem sie es dann belässt, spielt sie darauf an, dass die Angehörigen vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg mit ihrer Bitte um Informationen zu einem Stolperstein nicht gerade zuvorkommend behandelt wurden. So wurde die Frage der Kosten ohne Umschweife an sie herangetragen. Nachdem der Tagesspiegel darüber berichtet hatte, nahm sich die Stolpersteininitiative Stierstraße der Sache an und organisierte alles weitere.

Später spricht Sylvia Runge von einem alten Foto, mit dem sie sich mit ihrer Großcousine Brigitte Zwerger auf Spurensuche im Bayerischen Viertel gemacht hatte. Claire Lambertz war mit ihrem Mann Philipp, der als Generalvertreter der Spirituosenfirma Kantorowicz arbeitete, um 1910 hergezogen. Das neu gebaute Viertel, in dem jüdische Anwälte, Ärzte, Geschäftsleute und Intellektuelle lebten, habe das Paar mit Bedacht gewählt, hatte Brigitte Zwerger erzählt. „Dieses Ambiente entsprach ihren Vorstellungen in besonderer Weise.“ Philipp starb 1941 nach langer Krankheit.

Das alte Foto zeigt Claire Lambertz mit Philipp und Nichte Julie Jeanette auf dem Balkon in der Stübbenstraße. „Liebevoll und stolz, glücklich sich zu haben“, sagt Sylvia Runge. In der Stadt hatten zu der Zeit, als das Foto entstand, die Nazis schon mit der Verfolgung der Juden begonnen.

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