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Auerbachs „The Origin of the Great Bear“ (1967/8).

© Frank Auerbach

Frank Auerbach: Der britische Meister aus Berlin

Sein unbestechlicher Blick bleibt präsent: Eine Retrospektive ehrt Frank Auerbach in Bonn. Der große britische Maler wurde in Berlin geboren und musste per Kindertransport vor den Nazis flüchten.

Vor der Güntzelstraße Nummer 49 liegen zwei Stolpersteine. Der eine im Gedenken an den jüdischen Patentanwalt Max Auerbach, deportiert im März 1943 nach Auschwitz. Der andere für seine Frau Charlotte, von der man wenigstens das Todesdatum weiß: Sie wurde am 30. Juni 1943 umgebracht, nicht einmal vier Monate nach ihrer Internierung.

Frank Auerbach hat gewartet. Selbst als die knappen, zensierten Briefe ausblieben, die das Rote Kreuz nach Großbritannien weiterleitete. Da war er zwölf, und die letzte Begegnung mit seinen Eltern lag bereits vier Jahre zurück. 1939 hatten sie ihn mit einem Kindertransport nach Großbritannien geschickt, nachdem der Vater, ein großbürgerlich liberaler Intellektueller, einsehen musste, dass der Albtraum in Deutschland nicht zu Ende geht. Marcel Reich-Ranicki erinnert sich in einer Biografie an Cousin Frank, den er manchmal abends in der Güntzelstraße hütete. Und an den lange währenden Optimismus seines Onkels Max, der nicht glauben wollte, dass die Nationalsozialisten an der Macht bleiben würden.

Über den Verlust hat der Sohn nie öffentlich gesprochen und tut es bis heute nicht. Londons wichtigster lebender Künstler, was die figurative Malerei anbelangt, verabscheut jede Interpretation, die sein Leben in Verbindung mit seinem Werk bringt. Als der Schriftsteller W. G. Sebald 1992 seinen Erzählungen über „Die Ausgewanderten“ die halb fiktiven, halb dokumentarischen Schicksale von vier Flüchtlingen zugrunde legte, verweigerte sich Auerbach – und Sebald musste für die Figur des Max Aurach auf jede Unterstützung verzichten.

Stolpersteine für Charlotte Auerbach und Max Auerbach in der Güntzelstraße 49 in Berlin-Wilmersdorf. Ihr Sohn, der Maler Frank Auerbach, floh mit einem Kindertransport nach Großbritannien.
Stolpersteine zum Gedenken an Charlotte und Max Auerbach, Eltern des britischen Malers Frank Auerbach, der in Berlin-Wilmersdorf geboren wurde und mit einem Kindertransport vor den Nazis fliehen musste.

© Markus Hesselmann

Dennoch kommt man nicht umhin, in Auerbachs hermetischer Arbeitsweise, seinem abgekapselten Dasein bis heute nach Spuren zu suchen. Das Atelier in Camden hat er 1966 bezogen und nicht mehr getauscht, seinen Modellen bleibt der inzwischen 84-Jährige über Dekaden treu. Die Neuigkeit im Werk des Künstlers ist die sukzessive Durchdringung dessen, was er immer und immer wieder studiert.

Als Kind 1939 gerettet - die Eltern sterben in Auschwitz

Langweilig wird das weder Auerbach noch dem Besucher seiner großen Retrospektive im Kunstmuseum Bonn. In Kooperation mit der Tate Britain präsentiert es das expressive und zugleich figürliche Werk hierzulande endlich einmal umfassend. In seiner Heimat – der Künstler nahm 1947, zwei Jahre nach der offiziellen Bestätigung der Ermordung seiner Eltern, die britische Staatsbürgerschaft an – ist er längst ein Star und zählt mit Francis Bacon und Lucien Freud zum prominenten Trio der School of London. Dass die institutionellen Sammlungen in Deutschland kaum Arbeiten besitzen und Auerbach nur selten zeigen oder zeigen können, hat aber nicht zuletzt auch mit dem Maler selbst zu tun.

Dessen Zweifel an der Qualität seiner Kunst und die enormen Ansprüche an sich selbst sind legendär. Keine Leinwand, die nicht der mehrfachen Prüfung standgehalten hat, verlässt das Atelier. Auch seine Londoner Galerie, die ihn seit 1965 kontinuierlich vertritt, verschließt frische Werke angeblich erst einmal in der Rüstkammer und schickt Auerbach nach geraumer Zeit ein fotografisches Abbild – für die finale Freigabe. Mitunter soll der Maler eigene Werke auf Auktionen zurückerwerben, bloß um sie anschließend zu zerstören.

Ein Motiv kann auch Jahrzehnte später noch durchfallen. Entsprechend ausgesucht ist das Œuvre auch nach über sechzig Jahren intensiver Arbeit und der Umfang der Bonner Schau deshalb ein Coup. 71 Werke aus überwiegend privaten Sammlungen kann sie bieten, nicht chronologisch geordnet, sondern einer Chronologie folgend, die Kuratorin Catherine Lampert stimmig scheint. Sie kennt Auerbach seit 1978, kam damals für ein Interview in sein Atelier und wurde als Modell bald zum festen Gast. Ihr jüngst erschienenes Buch hat Auerbach vor ein paar Wochen gar zu einem seiner raren öffentlichen Auftritte bewegen können – obgleich er sonst das Atelier nur verlässt, um in nächster Umgebung die Straßen im wechselnden Licht von Tages- und Jahreszeiten zu malen.

Seit über 50 Jahren jeden Tag im Atelier: besessen, skrupulös

Ihren Häuserfronten, der ewig selben U-Bahn-Station Mornington Crescent und dem nicht einmal achtzig Meter hohen Primrose Hill in Camden gilt seine ganze Aufmerksamkeit. In der Ausstellung taucht der Titel „Primrose Hill“ seit 1961 immer wieder auf: im Frühling als krustig braune Fläche, den Sommer über als dickes, giftgrünes Rechteck mit einer Sogwirkung, die den Blick in die Tiefe zieht. Stets sind Auerbachs Stadtlandschaften kurz vor der völligen Abstraktion, zusammengehalten nur von einem Netz aus vertikalen und diagonalen Linien, die man mit viel Wohlwollen als Bäume, Dächer, Zäune oder Masten lesen kann.

Selbstporträt, 1958.
Selbstporträt, 1958.

© Frank Auerbach, Prudence Cumings Associated Ltd

Von Mornington Crescent schweift der Blick in die benachbarten Straßen. Das Bonner Museum dokumentiert den Blick des Malers rund ein Dutzend Mal, wie er sich morgens nach Süden und im Dämmerlicht nach Norden orientiert – oder umgekehrt, wobei keine Perspektive der anderen gleicht. Auerbach ist es irgendwann müde geworden, seinem Ruf als Maler pastoser Oberflächen zu widersprechen. Tatsächlich vollzieht sich in späteren Werken ein verblüffender Wechsel. Auch hier türmt sich Schicht auf Schicht, nun allerdings in feinen Lasuren ohne die gewohnte Haptik. Auerbach trägt auf und wieder ab, kratzt alles Überflüssige von der Leinwand, bis auf die Spuren seiner vorangegangenen Arbeit und setzt dort unermüdlich wieder an.

David Landau, der ihm seit den achtziger Jahren als Modell dient, hat den Prozess eindringlich beschrieben. Wie Auerbach anfangs ein Porträt erstellt, auf dem ihn jeder sofort erkennen würde. Wie ihn der Maler dann sukzessive dekonstruiert und neu zusammenfügt, dabei äußerlich komplett zerstört, um das Leben in sein Gesicht zu bannen. Genau wie das Gelebte und alles, was Auerbach in der Vergangenheit an Landau beobachtet hat. Er tut dies anders als etwa Picasso, der bei ihm wie Rembrandt, Tizian oder Watteau hoch in der Gunst steht. Statt die Modelle aber nach Art des Kubismus multiperspektivisch zu zerlegen, schachtelt Auerbach all sein malerisches Wissen ineinander, knotet, verdreht und übermalt die Umrisse der Porträtierten, bis man seine Frau Julia, mit der er seit 1958 verheiratet ist, ebenso wiedererkennt wie David Landau oder Catherine Lampert. An die Stelle des Erkennens rückt: Erkenntnis.

Auerbachs unbestechlicher Blick bleibt bis in die jüngsten Studiobilder präsent

Weshalb er überhaupt male, hat Lampert ihn damals in ihrem Interview gefragt, das nun noch einmal in der Publikation zur Ausstellung abgedruckt ist. Und Auerbach antwortet wahrheitsgemäß. Dass er nicht einfach weitere Bilder in die Welt schicken wolle, weil die Welt schon voll davon sei. Sondern etwas bislang Ungesehenes schaffen wolle, so wie eine neue Spezies. Nötig sei dazu die Überwindung der eigenen ästhetischen Prinzipien. Damit verliert Auerbach zugleich jene Koordinaten, die ihm aus dem Moment heraus ein Urteil ermöglichen.

Marcel Reich-Ranicki 1970 zu Besuch bei seinem Cousin, dem Maler Frank Auerbach, in London. An der Wand ein von Auerbach gemaltes Porträt von Gerda Böhm, der Schwester Reich-Ranickis. Das Privatfoto, schon leicht vergilbt, wurde uns freundlicherweise von Marcel Reich-Ranickis Sohn Andrew Ranicki zur Verfügung gestellt.
Marcel Reich-Ranicki 1970 zu Besuch bei seinem Cousin, dem Maler Frank Auerbach, in London. An der Wand ein von Auerbach gemaltes Porträt von Gerda Böhm, der Schwester Reich-Ranickis. Das Privatfoto, schon leicht vergilbt, wurde uns freundlicherweise von Marcel Reich-Ranickis Sohn Andrew Ranicki zur Verfügung gestellt.

© Andrew Ranicki

Ein ziemliches Wagnis, wenn man selbst nicht weiß, was man von seiner Arbeit halten soll. Das Publikum mochte ihm auf diesem Weg lange nicht folgen. 1956 fand eine erste Ausstellung bei mäßiger Resonanz statt. Dafür gewann der Künstler Anfang der sechziger Jahre mit Bacon und Freud neue Freunde, die ähnlich dachten, vor allem aber der grassierenden Ungegenständlichkeit in der Malerei trotzten. Als Lucien Freud 2011 in London starb, besaß er die größte Auerbach-Sammlung. Seine Erben bezahlten dem britischen Staat mit jenen Werken die Erbschaftssteuer.

Eine größere Gefolgschaft hatte Auerbach erst um 1986, als er im britischen Pavillon der Biennale von Venedig ausstellte und anschließend den Goldenen Löwen überreicht bekam. An seiner selbstkritischen Haltung hat es nichts geändert, und so bleibt der quälerische, der zugleich emphatische wie unbestechliche Blick Auerbachs bis in die jüngsten Studiobilder präsent. Das Kunstmuseum in Bonn ist für dieses Projekt nur zu loben. Man kann sich allerdings fragen, weshalb man für diese sensationelle Schau eines gebürtigen Berliners eigentlich 600 Kilometer weit fahren muss.

Ausstellung in Bonn noch bis zum 13. September, mehr unter www.kunstmuseum-bonn.de Die Tate Gallery in London zeigt vom 9. Oktober 2015 bis zum 13. März 2016 70 Bilder Auerbachs, kuratiert von Catherine Lampert.

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