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Die ehemalige Senatorin Annette Fugmann-Heesing eröffnet die Diskussion.

© Marlies Königsberg

Bundestagswahl: Von der Weltpolitik über Tegel in den Kiez und zurück

Wohnungsmarkt, Verkehrspolitik und Atomwaffenverbot dominieren die Diskussion mit den Bundestags-Kandidatinnen und -Kandidaten im Café Haberland.

Die Bundestagswahlen rücken immer näher, doch was planen eigentlich die Parteivertreter aus Tempelhof-Schöneberg für die kommenden vier Jahre? Diese Frage wollte kürzlich der Verein „Quartier Bayerischer Platz“ beantworten und lud die sechs Direktkandidaten zu einer Diskussionsrunde ins Café Haberland, direkt über dem U-Bahnhof Bayerischer Platz. Ziel war ein Austausch zwischen Kandidaten und Nachbarn aus dem Kiez, moderiert wird der Abend von Markus Hesselmann, Leiter der Tagesspiegel-Leute-Redaktion.

Der Raum füllt sich mit potenziellen Wählern aller Altersklassen, offenbar trifft die Veranstaltung den Nerv im Kiez. „Hoffentlich geht es gleich nicht nur um die G20-Proteste“, sorgt sich Renate Friedrichs, Pressereferentin des organisierenden Vereins. Währenddessen nehmen die ersten Gäste Platz: Jan-Marco Luczak (CDU), seit 2009 der direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für den Stimmbezirk, schüttelt schnell noch ein paar Hände, Alexander King (Die Linke) spricht sich noch kurz mit seinen Parteikollegen ab. Die zeigen sich etwas pikiert über die Sitzanordnung: King wurde ein Randplatz auf dem Podium zugewiesen, rechts von dem Kandidaten Lothar Mundt von der AfD.

Mechthild Rawert (SPD) ist trotz Krankheit erschienen, nur Holger Krestel (FDP) lässt sich entschuldigen. Um kurz nach acht wird das Publikum langsam unruhig, der prominenteste Gast fehlt immer noch: Mit kurzer Verspätung trifft dann auch Renate Künast (Grüne) ein und die Runde kann losgehen.

Zunächst stellen sich die Kandidaten vor und gehen auf zentrale Punkte ihres Wahlprogramms ein. Renate Künast besetzt die traditionell grünen Themen und erläutert zunächst die Notwendigkeit eines besseren Klimaschutzes: Mit Verweis auf den kürzlich in der Antarktis abgebrochenen riesigen Eisberg schlägt sie den Bogen vom Treibhauseffekt zu Klimakatastrophen in Afrika, die eine der Ursachen für die Flüchtlingsbewegung nach Europa sind. Im Umkehrschluss würden effizientere Klimaschutzmaßnahmen auch die Zahl der Flüchtlinge einschränken, die vor Dürren und Überschwemmungen nach Deutschland fliehen. Sie bleibt beim Thema Nachhaltigkeit und fordert, ab 2020 in der Hauptstadt nur noch E-Autos zuzulassen: „Wir wollen ja nicht, dass Berlin bald aussieht wie Detroit“. 

Das Podium v.l.n.r.: Alexander King (Linke), Lothar Mundt (AfD), Jan-Marco Luczak (CDU), Markus Hesselmann, Mechthild Rawert (SPD), Renate Künast (Grüne).
Das Podium v.l.n.r.: Alexander King (Linke), Lothar Mundt (AfD), Jan-Marco Luczak (CDU), Markus Hesselmann, Mechthild Rawert (SPD), Renate Künast (Grüne).

© Marlies Künigsberg

Kernthema bleibt der Wohnungsmarkt

Nach einer kurzen Überleitung zum Thema Gesundheit und Ernährung – kein Glyphosat in der Lebensmittelproduktion, keine Massentierhaltung – kommt Künast zu einem der Themen, die den weiteren Verlauf des Abends dominieren sollen: Als Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz fordert sie dringende Nachbesserungen im Bereich des Mietrechtes und kritisiert die Mietpreisbremse als „mehr Loch als Käse“. Auch die Modernisierungsumlage von aktuell bis zu 11% müsse dringend verringert werden. Ihr Fazit: Sie setze sich für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit, beispielsweise für Frauen und Flüchtlinge, ein und gegen jegliche Form von Diskriminierung.

Mechthild Rawert erhält das Wort und führt Künasts Gedanken fort: Das Hauptziel der SPD sei eine offene und tolerante Gesellschaft, sie lehne jede Form von Rechtsextremismus  und -populismus ab. Damit nimmt sie auch Bezug zum Austragungsort der Debatte, dem Café Haberland, das sich dem Gedenken und Erinnern an die Geschichte des ehemals jüdischen Viertels verschrieben hat. Dann kommt sie auf ihr zentrales Thema zu sprechen: Als Mitglied des Gesundheitsausschusses im Bundestag konzentriert sie sich hauptsächlich auf die Themen Pflege und Gesundheit. Sie fordert die Einführung einer paritätischen Bürgerversicherung und einen „gerechteren Zugang zum Gesundheitssystem“. Die Pflege müsse aufgewertet und auch die Situation pflegender Angehöriger verbessert werden.

Außerdem müsse das Rentenniveau bei mindestens 48% des jährlichen Durchschnittseinkommens stabilisiert werden, das Renteneintrittsalter soll nicht erhöht werden. Die SPD plane außerdem steuerliche Erleichterungen für geringe und mittlere Einkommen sowie eine Verringerung der Sozialversicherungsbeiträge. Auch das Arbeitslosengeld I soll ausgeweitet werden. Sie schließt ihr Statement mit dem Ausruf: „Es ist eine dramatische Ungerechtigkeit, dass Frauen immer noch weniger verdienen als Männer!“ und kündigt entsprechende Maßnahmen zur Gleichstellung an. 

CDU: „Bauen muss billiger werden!“

Jan-Marco Luczak (CDU) ergreift das Mikrophon und stellt sich selbst als „Rheinische Frohnatur mit Berliner Schnauze“ vor. Der Anwalt und stellvertretende Sprecher des Rechtsausschusses im Bundestag legt Wert auf seine berufliche Unabhängigkeit und betont, auch parallel zu seinen politischen Aktivitäten weiterhin in einer Kanzlei tätig zu sein. Schnell kommt er zu seinem Spezialthema, dem Mietrecht. Luczak, der im Bundestag maßgeblich an der Gestaltung der Mietpreisbremse beteiligt war, reagiert auf die Kritik von Künast und bezeichnet die Maßnahme als „kurzfristiges Mittel“, das nicht überarbeitet werden müsse.

Wichtig sei, dass der Bau neuer Wohnungen nicht behindert werde. Langfristig bräuchte es daher eine Reduzierung der Vorschriften für Neubauwohnungen und eine Überarbeitung des Baurechts: „Bauen muss wieder billiger werden!“.

Luczak fährt fort, aus dem Publikum ist Gemurmel zu hören. Er erläutert, dass er Deutschland „nicht schlechtreden“ wolle: Es gehe den Menschen insgesamt gerade sehr gut, „Unser Staat schwimmt momentan in Geld – die Spielräume, die wir uns erarbeitet haben, müssen wir an die Bürger zurück geben“. Empörte Rufe aus dem Publikum: „Wovon redet der denn?“

Das Wort geht an Lothar Mundt von der AfD. Er erklärt zunächst, dass es für einen Vertreter der AfD nicht selbstverständlich sei, dass ihm „in dieser Form öffentlich Raum gegeben wird“. Im weiteren Verlauf verliest er einen Text, in dem er die „Parteioligarchie“ kritisiert, die „Dominanz, die zu einer Erosion der Volkssouveränität“ führe. Er fordert die Einführung von Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild und ein Ende der „Kuschelpolitik“, der „egalitären Verblendung“ im Bildungssystem. Vor allem müsse man das Prinzip der Sonderschulen wieder einführen, um „Behinderte zu schützen“. Im Publikum und auf dem Podium lässt sich empörtes Geraune vernehmen. Eine Nachbarin ergreift das Wort und bittet das Podium, Redebeiträge frei zu formulieren und nicht abzulesen, damit „wir uns im Publikum nicht langweilen“.

Alexander King (Die Linke) nutzt seinen Redebeitrag hauptsächlich, um die Aussagen von Jan-Marco Luczak (CDU) mit Statistiken zu wiederlegen: „Man kann nicht sagen, Deutschland geht es gut“ – vielmehr sei die soziale Schieflage enorm und habe die letzten Jahre eher zu- als abgenommen. Es kommt zum ersten Schlagabtausch des Abends: Luczak wirft ein, King nenne falsche Zahlen – dieser reagiert und benennt die Bundesregierung und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als Quellen. King fährt fort und erläutert sein Programm: Der Mindestlohn müsse angehoben werden, um Altersarmut zu verhindern. Die Steuern für niedrige und mittlere Einkommen sollen gesenkt, für hohe Einkommen erhöht werden.

Er appelliert an Grüne und SPD, das „Thema Vermögenssteuer noch einmal anzugehen“ und kritisiert den Investitionsstau bei der Schulsanierung und der Infrastruktur. Zudem plane die Linke den Bau von jährlich 250.000 Sozialwohnungen, offen bleibt ob in Berlin oder Bundesweit. Er endet mit einem globalpolitischen Abriss und fordert unter anderem ein Ende der Rüstungsexporte in Krisengebiete.

Marlies Königsberg konfrontiert den Kandidaten von der AfD.
Marlies Königsberg konfrontiert den Kandidaten von der AfD.

© Thomas Hocke

Zwischen Kiez und Weltpolitik

Von der Weltpolitik geht es kurz zurück ins Lokale: Da die FDP durch die Abwesenheit ihres Direktkandidaten nicht auf dem Podium vertreten ist, erhält eine Parteikollegin das Wort und bringt die Rede auf den Flughafen Tegel. Es sei ein neuer Gedanke, den Flughafen offen zu halten, da die Pläne der Schließung jahrzehntealt seien – seitdem habe sich viel verändert. Verhaltener Applaus im Publikum, ein Nachbar fordert: „Wir wollen heute nicht über regionale Themen reden!“ Künast kommentiert: „Neu nachzudenken kann auch heißen, zum gleichen Ergebnis zu kommen wie vorher!“ Die Interessen der Taxifahrer dürften nicht gegen den Lärmschutz aufgewogen werden, zudem biete die Fläche des Flughafens Platz für neue wirtschaftliche und soziale Projekte.

Luczak verteidigt die CDU-Position und entgegnet, eine „Weltstadt wie Berlin“ brauche auch eine entsprechende infrastrukturelle Anbindung, die der BER aufgrund seiner Dimensionen alleine nicht leisten könne. Die Frage aus dem Publikum, was die CDU zur Verbesserung der bundesweiten Infrastruktur und etwa die bessere Zuganbindung Berlins plane, bleibt unbeantwortet.

Die Stimmung auf dem Podium wird immer angespannter, aus dem Publikum kommen teils mehr Kommentare zur Länge der Beiträge als zum Inhalt. Eine Nachbarin lenkt das Gespräch zurück auf die Weltpolitik. Sie fragt nach Deutschlands Plänen zur Anschaffung von Drohnen für Kampfeinsätze der Bundeswehr und warum Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterschrieben habe. Rawert ist ehrlich und merkt an, als Gesundheitspolitikerin keine Expertin für Drohnen und Atomwaffen zu sein; Grüne und Linke betonen ihre Ablehnung jeglicher Waffeneinsätze. Luczak argumentiert mit geopolitischen Strategien, die den Einsatz waffenfähiger Drohnen nötig und eine Unterzeichnung des Atomwaffenverbotvertrags unmöglich machten.

AfD: Inklusion sei „gescheitert“

Marlies Königsberg vom Lokalmagazin „Tempelhofer Journal“ richtet an dieser Stelle erstmals das Wort an Lothar Mundt, der sich bislang nicht an der Diskussion beteiligt hatte: Sie fragt, ob sie richtig verstanden habe, dass Mundt gegen Inklusion sei. Der AfD-Politiker sucht die passende Stelle auf seinem vorbereiteten Zettel, um sie erneut vorzutragen: Kinder müssten je nach Grad ihrer Behinderung von „normalen Schülern“ separiert werden, das Prinzip der Inklusion sei zum Scheitern verurteilt. Ein Nachbar nutzt den Moment und bringt das Thema nun doch auf die G20-Proteste und die „Chaoten von der Roten Zora“ – Gelächter im Publikum, Rawert korrigiert: „Rote Flora“.

Der Nachbar fährt fort und fragt, was die Politiker gegen Linksradikale zu tun gedächten, „Herr Mundt kann nirgends offen reden, ohne von den Idioten von der Rigaer Straße mit Tomaten beworfen zu werden“. Moderator Markus Hesselmann merkt an, dass Mundt seit mehr als einer Stunde auf dem Podium sitze und sein Anzug bislang sauber geblieben sei. Künast und King distanzieren sich von der Gewalt im Rahmen der G-20 Proteste, Rawert betont: „Ich würde diese Randalierer niemals als ‚Links‘ bezeichnen“.

Das Gespräch kommt erneut auf das Thema „Wohnen“: Luczak erörtert, dass die Infrastruktur verbessert werden müsse, damit es attraktiver würde, am Stadtrand zu wohnen. Künast weist seine Kritik an der Baugesetzgebung zurück, billig bauen heiße zweimal bauen und gefährde oft auch die Gesundheit der Bewohner. Zudem könne man nicht erwarten, dass alle Berliner nun Eigenheime im Speckgürtel kaufen würden.

Gegen Ende fassen alle Kandidaten ihre Eindrücke des Abends zusammen. Sie betonen die Vielfältigkeit der Meinungen im Kiez und die zentrale Rolle des Themas Mietpolitik. Mundt zitiert zum Abschluss Marx und droht mit „turbulenten Zeiten“, Luczak merkt an, Politik könne es nie allen Bürgern recht machen.

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