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Berliner Messen: Das große Kräfte-Messen

Das Messejahr 2010 startet in die Saison. Bald werden in Berlin drei Standorte um Kunden buhlen – die Macher sind dennoch bester Laune.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Es ist noch gar nicht lange her, dass der Berliner Messe-Chef Raimund Hosch richtig böse war. Und darüber schimpfte, dass seine Kunden vom Traditionsgelände unterm Funkturm mit Niedrigpreisen nach Tempelhof gelockt würden. Das sei Kannibalismus, eine schädliche Konkurrenz! Jetzt, nur drei Monate später, scheint alles gut zu sein. „Wir wollen miteinander nach vorne kommen – zugunsten beider Unternehmen und zugunsten des Landes Berlin“, sagt der Sprecher der Messe GmbH, Michael Hofer.

Eigentlich empfinde man den stillgelegten Flughafen gar nicht als echte Konkurrenz: Tempelhof sei kein typisches Messegelände, weil die notwendige teure Infrastruktur fehle, aber ein „guter Standort für Events“. Und deshalb sprechen sich die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), die Tempelhof vermarktet, und die ebenfalls landeseigene Messegesellschaft inzwischen ab und tauschen, wenn’s passt, sogar die Anfragen von Veranstaltern aus.

Es soll also nicht mehr vorkommen, was im Oktober 2009 den Messe-Chef zum Explodieren brachte. Die BIM hatte die „Freestyle“ eingeworben, ein sportliches Spektakel für Jugendliche, und exakt auf den Termin für Europas größte Jugendmesse „You“ gelegt, die auf dem Messegelände stattfand. Aussteller, Publikum und Sponsoren waren teilweise deckungsgleich. Die BIM sah ein, dass sie übers Ziel hinausgeschossen war. „Wir stimmen uns jetzt regelmäßig über Messen, Veranstaltungen und Kongresse ab“, sagte die Sprecherin des Immobiliennmanagements, Katja Potzies. Beim fest eingerichteten Gespräch einmal die Woche einigte man sich auf das Programm 2010: Nicht nur die „You“, sondern auch die Musikmesse „Popkomm“ ziehen auf das Tempelhofer Feld. Die Marathonmesse „Berlin Vital“, die viele Jahre auf dem Messegelände das Publikum anlockte, wandert ebenfalls ab. Die Berliner Messe, die ständig wächst, schafft sich damit Luft für andere Veranstaltungen.

„Die Rollenverteilung ist klar“, sagt Wirtschaftssenator Harald Wolf dem Tagesspiegel. Bei Messen und Ausstellungen habe das Areal am Funkturm höchste Priorität. Wenn aber Hallen belegt seien oder ein Veranstalter das Flair des alten Flughafens bevorzuge, liege es im Interesse der Stadt, dass diese Veranstaltung trotzdem in Berlin stattfinde – eben in Tempelhof. Dort füllt sich inzwischen der Event-Kalender 2010: Bread and Butter im Januar, Berlin Vital im März, Schlager- und Oldie-Festival im Juli, Freestyle im August, Ben-Hur-Show, Popkomm/Berlin Music Week und Clean Tech World im September, Reit- und Springturnier im Oktober, Bermuda (Clubmusikfestival) im November.

Ein drittes Standbein für den Messe- und Veranstaltungsbetrieb könnte der neue Großflughafen Schönefeld (BBI) werden, der im November 2011 eröffnet wird. Westlich vom BBI, in der Nähe von Selchow, wollen Berlin und Brandenburg, die Messe und der Bund der Deutschen Luftfahrtindustrie neuen Raum für die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) schaffen. Ob das gelingt und finanzierbar ist, soll bis April entschieden werden. Es werden auch andere Varianten geprüft und vor allem private Investoren gesucht. „Wir arbeiten mit Hochdruck am Projekt“, hieß es bei der Messe Berlin. Wenn es klappt, könnten außerhalb der ILA-Veranstaltungszeiten „weitere Veranstaltungen stattfinden, für die freie Hallenkapazitäten am Funkturm nicht zur Verfügung stehen oder die dort aus räumlichen Gründen nicht durchgeführt werden können“, heißt es bei der Wirtschaftsverwaltung.

Was das sein könnte, darüber gibt es nur Gerüchte. Eine Hubschraubermesse, eine Schau anderer Fluggeräte oder Autos. In jedem Fall brächten drei so verschiedene Standorte – Funkturm, Tempelhof, Schönefeld – der Stadt Berlin im beinharten Wettbewerb der europäischen Messe- und Kongressregionen einen vorzüglichen Wettbewerbsvorteil. Jetzt schon gehört die Messe Berlin zu den umsatzstärksten Gesellschaften der Welt. In den vergangenen Jahren wurden durchschnittlich über 25 000 Aussteller (zwei Drittel aus dem Ausland) und bis zu zwei Millionen Besucher gezählt. Einschließlich der Kongresse bringt das jedes Jahr eine zusätzliche Kaufkraft von 700 Millionen bis eine Milliarde Euro in die Stadt und sichert in der Region mehr als 23 000 Arbeitsplätze.

Die landeseigene Messe GmbH meldet derweil nach jedem Ausstellungsjahr neue Umsatzrekorde, erzielte 2008 erstmals Gewinn und schrieb trotz Krise 2009 eine schwarze Null. Es gab 60 Messen und Ausstellungen und im Internationalen Congress Centrum (ICC) 511 Tagungen und Shows, darunter den größten Krebskongress Europas mit 15 000 Experten aus 120 Ländern. „2010 wird wieder ein erfolgreiches Jahr“, sagt Hofer voraus.

Wunschlos glücklich ist er trotzdem nicht. Die Messe will wachsen – und dafür braucht sie auf dem Charlottenburger Stammgelände mit seinen 26 Hallen mehr Platz. Auf dem Grundstück der Deutschlandhalle will die Messe bauen. Ein Gebäude mit mindestens 15 000 Quadratmetern, das reicht aus Sicht des Vorstands für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Die Kosten von 45 Millionen Euro sollen aus eigener Tasche finanziert werden. Trotzdem sind SPD und Linke skeptisch, und auch Senator Wolf hält sich bedeckt. Erst werde, voraussichtlich Ende März, über die Sanierung des ICC entschieden, dann über den Neubau der Messehalle, die auch als Ausweichquartier für das ICC während der Bauarbeiten dienen könnte.

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