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Der Sturzregen Ende Juni und Orkan „Xavier“ Anfang Oktober waren die dominierenden Wettereignisse in Berlin 2017.

© S. Pilick/dpa

Berliner Klima: Jahrhundertregen und Orkan: der meteorologische Jahresrückblick

Das Wetter in Berlin war 2017 teils extrem. Lag es am Klimawandel? Eher an seltenen Zufällen, erklärt ein Meteorologe.

Wer sich an die meteorologischen Highlights dieses Jahres erinnern möchte, dreht einfach eine Runde durch den Wald oder den nächsten Park. Also dahin, wo noch die von „Xavier“ im Oktober gefällten Bäume liegen und die Wege seit den monsunartigen Regengüssen Ende Juni aufgeweicht sind.

Fast jeder erinnert sich, wie er an jenem 29. Juni nach Hause kam, als die BVG-Busse Bugwellen vor sich herschoben und die Ampelmasten wie Leuchtbojen aus dem Wasser ragten. Noch präsenter ist den meisten der 5. Oktober: Es hatte nur kurz gestürmt am Nachmittag. Wie sehr, wurde klar, als nacheinander fast alle öffentlichen Verkehrsmittel den Betrieb einstellten. Sieht so der Klimawandel aus?

Einer, der es wissen sollte, ist Jörg Riemann, Chefmeteorologe der in diesem Jahr gegründeten, auf Warnservice für Winterdienste und Flughäfen spezialisierten Wettermanufaktur in Tempelhof. Was also war da los, als Stadt und Umland absoffen? „Da kamen die Zutaten von flächendeckendem Landregen mit denen für Schauer zusammen“, sagt Riemann: Feuchtwarme Luft vom Mittelmeer traf auf schwere Kaltluft, die sie aufsteigen und ebenfalls abkühlen ließ. Dabei kondensierte der Regen.

197 Liter Regen in Tegel in 24 Stunden

Ein Jahrhundertereignis wurde daraus aber erst, weil das Tiefdruckgebiet gleichzeitig schwülwarme Gewitterluft aus Osteuropa bis nach Berlin saugte, sodass lokale Güsse den recht stationären Landregen verstärkten. Wie sehr, zeigt ein Blick auf die Messungen: 197 Liter Regen in Tegel in 24 Stunden! Aber nur 60 in Köpenick. Das ist zwar auch ein ganzes Monatssoll, aber überschwemmt nicht komplette Kieze.

Der Jahrhundertregen wurde also erst durch das Zusammentreffen zweier seltener Ereignisse möglich. Wie selten? In dieser Heftigkeit nicht mal alle 100 Jahre, sagt Riemann und verweist auf entsprechende Analysen des Deutschen Wetterdienstes. Also – Klimawandel? „Wenn es jetzt fast jedes Jahr wiederkäme, würde ich sagen: ja.“

Wirklich sicher sei nur, dass die Temperatur weltweit rund ein Grad höher liege als in der vorindustriellen Zeit. Und da wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann, wächst das Potenzial für heftigen Niederschlag.

Für Meteorologen war dieses Extremwetter ein Fest. Eine ähnlich schöne Bescherung erlebten sie, als Orkan „Xavier“ binnen Minuten tausende Bäume in Berlin und Brandenburg fällte. Sogar solche, die alle Wetter der vergangenen 100 Jahre überstanden hatten.

"Xavier" hebelte im Oktober so manchen Berliner Baum aus.
"Xavier" hebelte im Oktober so manchen Berliner Baum aus.

© M. Gambarini/dpa

Riemann beschreibt den Orkan als Gemeinschaftswerk dreier Windmaschinen. Die erste war ein Sommerphänomen: Eine ohnehin sturmböenträchtige Kaltfront, wie sie im Sommer Gewitter bringt, hob die vorhandene Warmluft hoch und brachte die Luftmassen ins Wirbeln. Zeitgleich kam das Spätherbstphänomen hinzu, dass Polarluft auf subtropische traf.

Aus diesem Gegensatz bildete sich ein sehr kräftiges Tief, das – dritte Zutat – ungewöhnlich schnell von West nach Ost geschoben wurde: Eine knappe Stunde von Berlin an die polnische Grenze, das ist Autobahntempo. Und es erhöhte die Windgeschwindigkeit im Sturm bis zur Orkanstärke.

Der März war fast vier Grad zu warm

Die gibt es tatsächlich nur alle paar Jahre mal und dann meist auch nur sehr lokal bei Sommergewittern – oder großflächiger wie zuletzt bei „Kyrill“ 2007, der aber mitten im Winter kam, als die Bäume kahl waren und entsprechend weniger Angriffsfläche boten.

Insofern sieht Riemann auch „Xavier“ eher als unglücklichen Zufall denn als Kind des Klimawandels. Denn ohne die nach wie vor eisige Arktis hätte gar kein so ausgeprägtes Tief entstehen können. „Der Klimawandel macht sich ja nicht dadurch bemerkbar, dass irgendwelche Luftmassen zehn Grad wärmer geworden wären, sondern eher, dass wir meteorologisch scheinbar weiter nach Süden gerutscht sind.“ Also dahin, wo die Winter mild und wechselhaft und die Sommer manchmal sehr heiß sind. Was man vom 2017er nicht sagen kann: Von sechs Hitzetagen mit mehr als 30 Grad lagen vier im Mai, also im Frühjahr. Und die 32 Grad des 28. Mai sind weit von jenen 38 entfernt, die den Allzeitrekord markieren.

Auch am anderen Ende der Quecksilbersäule ging es gemäßigt zu: Die minus zehn Grad in einer Januarnacht als Tiefstwert kommen nicht annähernd an den Rekord heran, der bei minus 26 Grad liegt – und 1893 in Potsdam gemessen wurde.

Außer dem Januar war nur der September 2017 kälter als im langjährigen Mittel. Größter Ausreißer war der fast vier Grad zu warme März, der maßgeblich zur Jahresbilanz beigetragen hat. Die lautet: 10,0 Grad. Also 1,1 Grad über dem langjährigen Mittel, aber auch ein ganzes unter dem Wärmerekord von 2014.

Dass es bei uns im Moment so mild ist, erklärt Riemann anhand einer globalen Wellenbewegung: Die im Nordpolargebiet angesammelte Kälte rausche gerade über den östlichen USA und Ostsibirien weit südwärts. Irgendwann verlagern sich diese Kaltluftwellen – und treffen Mitteleuropa. Riemann schätzt, dass es Ende Januar so weit sein könnte.

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