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Stiller Protest. Auf dem Vorplatz des ehemaligen Rathauses Wilmersdorf haben Flüchtlinge Lager bezogen, um gegen die Zustände in der Notunterkunft aufmerksam zu machen.

© Frank Bachner

Berlin-Wilmersdorf: Flüchtlinge protestieren gegen Bedingungen im alten Rathaus

Kaum Privatsphäre, Ärger mit der Security, keine Kochgelegenheit – und kein Auszug in Sicht: Bewohner der Notunterkunft im Rathaus Wilmersdorf haben die Zustände satt.

Die Strandmuschel ist zitronengelb, sie steht direkt neben einem kleinen Baum. Frauen in Kopftüchern sitzen hier, Kleinkinder schlafen auf Decken, daneben stehen Männer und diskutieren intensiv. Zehn Meter weiter haben bullige Männer mit schwarzen Stiefeln, schwarzen Hosen und schwarzen T-Shirts Posten bezogen. Sicherheitsleute, die den Eingang der Notunterkunft Wilmersdorf bewachen – das ehemalige Rathaus Wilmersdorf.

Die Strandmuschel ist der optische Kern einer Demonstration. 923 Menschen leben in der Notunterkunft Wilmersdorf, rund 50 stehen jetzt auf dem Grünstreifen vor dem Eingang. Sie haben die Nase voll, sie haben Forderungen. Nuri Nezomedin, Afghane, 45 Jahre alt, Halbglatze, streckt nach und nach vier Finger seiner rechten Hand aus. „Das sind unsere Probleme“, sagt er. „Erstens, die Security ist unfreundlich. Zweitens, das Essen ist nicht gut. Drittens, die Zimmer sind nicht abschließbar. Viertens, wir dürfen kein Essen auf die Zimmer mitnehmen.“ Dann fällt ihm noch spontan ein Fünftens ein. „Es gibt Bettwanzen.“

Seit Mittwoch protestieren sie. Obwohl, es ist mehr ein Sit-in als ein Protest. Es gibt keine Transparente, keine Parolen, es gibt nur frustrierte Menschen wie Alan aus Syrien. Der 21-Jährige geht in die Knie und sagt: „Wir wollen keine Sicherheitsleute, die jeden Tag ,Herzlich willkommen’ sagen, aber wir möchten Menschen, die in der Schule gelernt haben, wie man andere mit Respekt behandeln.“ Er redet ruhig, aber eindringlich.

Einige Bewohner sind seit Herbst 2015 da

Doch der eigentliche Kern des Problems liegt in dem Satz, den Alan später sagt: „Ich bin seit September 2015 hier.“ Das Heim wurde im August 2015 eröffnet.

In einem Besprechungsraum der Notunterkunft sitzt Heimleiter Stephan Wesche, ein schmaler Mann mit Brille, und seufzt. „Essen, Security und so weiter, das halte ich alles für vordergründige Probleme.“ Essen darf eben aus hygienischen Gründen leider nicht auf die Zimmer mitgenommen werden. Mit der Sicherheitsfirma arbeite der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Wesches Arbeitgeber, seit langem zusammen und sei zufrieden.

Auf dem Grünstreifen kursiert ein Video. Darin ist zu sehen, wie Sicherheitsleute einen Afghanen festhalten, der sich gegen den Zugriff wehrt. Man hört mehrfach den Ruf „Ruhig“. Flüchtlinge sagen, der Mann sei von Security-Mitarbeitern geschlagen worden. Seine Tochter habe Brot aus der Kantine mitnehmen wollen, das hätten Sicherheitsleute untersagt. Daraufhin habe der Vater mit Fäusten auf einen Tisch gehämmert. Die Security sagt, er habe randaliert, sie hätten andere Flüchtlinge schützen müssen. „Wir wussten ja nicht, was er als nächstes macht“, sagt Besim Sefketoglou, Schichtleiter der Sicherheitsfirma. Der Vorfall selber ist auf dem Video nicht zu sehen. Der Mann kam mit Blessuren kurzzeitig ins Krankenhaus.

Seit Januar gab es 35 Fälle von Bettwanzen

Und Bettwanzen? Ja, die gebe es, sagt Wesche. 35 Fälle seit Januar, „das ist bei so vielen Menschen auch nicht zu verhindern“. Sie würden fachgerecht bekämpft, jeder Betroffene erhalte ein neues Zimmer, „aber wir werden sie nie ganz eliminieren können“. Im Übrigen habe das Gesundheitsamt vor wenigen Tagen unangemeldet kontrolliert. Ergebnis: „Es gab keine Beanstandungen.“ Dann sagt Wesche: „Das Hauptproblem ist: Die wollen hier alle raus.“

Da liegt die eigentliche Brisanz dieser Notunterkunft. Den Flüchtlingen wurde mitgeteilt, sie könnten nach drei Monaten wieder ausziehen. „Aber jetzt“, sagt Wesche, „lebt ein nennenswerter Teil dieser Menschen schon zwischen zwölf und 20 Monaten hier.“ Hier leben, das heißt: Eingezwängt in Zimmer, die man nicht abschließen kann, umgeben von Menschen, die man nicht kennt, umgeben von Babys, die nachts schreien und einen aus dem Schlaf reißen. Es ist ein Leben in einer Atmosphäre, die an den Nerven zehrt. Vor allem, wenn schon Sprachschwierigkeiten Probleme erzeugen.

Wahrheit und Phantasie sind bei den Vorwürfen manchmal schwer zu unterscheiden

Krude Anschuldigungen vermischen sich mit substanziellen Beschwerden, es ist schwer, immer Wahrheit und Phantasie zu unterscheiden. Und dazwischen steht Heimleiter Wesche, der sich wie ein Prellbock und gleichzeitig so machtlos fühlt. „Wenn die Leute hier schon nicht raus kommen, weil neue Unterkünfte fehlen, dann wollen sie hier selber kochen, das ist ein absolutes Grundbedürfnis.“

Er kann es nur nicht erfüllen. Dazu müssten Küchen eingerichtet werden. Völlig aussichtslos, sagt Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamts für Flüchtlinge (Laf). „Das geht auch aus finanziellen Gründen nicht.“ Solche Küchen würden „mehrere 100 000 Euro kosten“. Die investiert niemand in ein Gebäude, das bis Ende des Jahres endgültig geräumt sein soll.

Abschließbare Zimmer? Neue Küchen? Zu teuer

Nicht einmal abschließbare Zimmer kann Wesche bieten. „Es gibt zwar eine zentrale Schließanlage“, sagt er, „aber die müsste man erst wieder einsatzbereit machen.“ Das würde seiner Schätzung nach 25 000 Euro kosten „Ich habe beim Laf einen Antrag auf abschließbare Zimmer gestellt: Abgelehnt. Ist wohl zu teuer.“

Laf–Sprecher Langenbach hat von der Schließanlage noch nichts gehört, er kann dazu keine Stellung nehmen. Er versteht ja die Probleme der Menschen. Andererseits kann das Laf auch nicht Tempohomes aus dem Boden zaubern. „Es gibt bei solchen Bauten viele Betroffene, das verzögert die Abläufe.“ Und nirgendwo ist deshalb die Situation so angespannt wie in Berlin. Von den 15 000 Menschen, die im ganzen Land noch in Notunterkünften leben, sitzen 13 000 in der Hauptstadt.

Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) kündigte im rbb an, dass für einen Teil der Flüchtlinge möglichst schnell eine andere Einrichtung gesucht werde. Klingt gut, nur müssen die Betroffenen dann auch mitspielen. Laf-Sprecher Langenbach zeigt auf einen Mann mittleren Alters. „Der hatte Bettwanzen im Zimmer. Dem haben wir ein anderes Heim angeboten. Das hat er ablehnt.“ Warum? „Weil es in einem anderen Bezirk liegt.“

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