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Ein Rundgang um den Flugahfen ist 15 Kilometer lang.

© Tsp

Berlin-TXL: Wahnsinn und Waldesruh’: Spaziergang um den Flughafen Tegel

Eine Expedition rund um den Zaun - und wen man da so trifft

Woher man auch kommt und wohin man auch will: Immer beginnt der Flughafen Tegel mit dieser kurzen Unterführung, durch die alle müssen. Nur nicht heute bei dieser Expedition, die einmal um den Zaun von TXL führen soll, um herauszufinden, was hier ist und wen man trifft.

Für die Tour im Uhrzeigersinn biegt man also vor dem Tunnel links ab Richtung Luftfracht, wo auf der Wiese ein Riesenposter von Tegel-Projekt mit der Parole „Flughafen zieht aus, Berlin zieht ein“ grüßt. Ausgezogen sind an diesem Septembertag allerdings nur die Schuhe der Frau, die auf dem Rasen zwischen den Straßen in der Sonne döst. Ein Bild, das nur ohne Ton idyllisch ist, denn zum Straßenlärm kommt der Flughafen, der hier pausenlos aufbrausend klingt, selbst wenn gerade keine Maschine startet oder landet.

Die Luftfrachtstraße führt zwischen Zäunen vorbei an den orangefarbenen, älteren Anbauten von TXL. Der rege Lkw-Verkehr – sowohl Sattelzüge mit Fracht als auch Kerosinlaster – erinnert daran, dass am Flughafen mehr bewegt wird als nur Menschen. Und alles muss auf Straßen durch die Stadt.

Die Kleingärten: lauschig, sofern man nicht lauscht

Nach einem knappen Kilometer ist Schluss vor der Schranke. Dahinter parken Flugzeugschlepper, Container und ein alter gelber VW-Bus mit der Aufschrift „Maintenance“. Der Wald ringsum ist weglos und dicht. Also zurück auf Los – und diesmal außerhalb eines weiteren Zauns durch die Kleingartenanlagen „Vor den Toren“ und „Neuland“. Sehr lauschig, sofern man nicht lauscht. Ein blühendes Idyll; Schrittgeschwindigkeit, Mittagsruhe 13 – 15 Uhr, Wasserablesung nur am 16./17. September, Anwesenheit Pflicht.

Südlich Richtung Hohenzollernkanal grenzen die Mäckeritzwiesen an, deren Bewohner im Sommer tagelang im Wasser standen. Eine Frau leert den Briefkasten am letzten Häuschen vor dem Flughafenzaun mit der Stacheldrahtrolle obendrauf. Ob sie und die anderen hier das Ende von TXL herbeisehnen? Ach Gott, na ja, herrje, sagt sie, „wir haben uns dran gewöhnt.“ In der Nachbarschaft sind viele Einfamilienhäuser neu gebaut worden. Das Grundrauschen des Flughafens verliert sich hier.

Wald und Wiesen nach Nordwesten

Vor dem Südwestzipfel des Flughafengeländes taucht der als Radroute ausgewiesene Holperweg in den Wald ein. Wildschweine haben ebenso großflächig wie vergeblich versucht, den Zaun zu untergraben. Als einziger Mensch ist ein junger Mann mit dickem Rucksack unterwegs. Er sei von Spandau hergewandert, um Flughafen zu gucken, berichtet er. Auch ist er heute schon geflogen – und zwar raus, bei seiner Freundin. Von inneren Turbulenzen getrieben läuft er nun am Zaun entlang, der jetzt den Blick freigibt auf die Boeing 707, die hier in der hintersten Ecke von TXL ihre vorerst letzte Ruhestätte gefunden hat. Dabei war die Maschine – einst ein Geschenk des Herstellers an die Lufthansa – 1986 unter großem Hallo hier begrüßt worden, mit US-Registrierung und überklebten Lufthansa-Emblemen, da eigentlich nur Alliierte landen durften. Doch dann wusste niemand, wohin mit ihr, und so harrt sie nun untot der Dinge, die kommen oder gehen werden.

Der Weg führt am Rand der Jungfernheide entlang. Die Landebahnbefeuerung zieht sich als Schneise in den Wald, Terminal und Tower schmücken als Miniaturen den Horizont. Von hier aus ist die berüchtigte Enge des überlasteten Airports schwer vorstellbar. Schwerer jedenfalls als der Gedanke, dass eines Tages der Zaun verschwindet, das geplante Stadtquartier nach Nordwesten hin in reizvolles Wiesen- und Waldgelände übergeht. Zu dem gehört ein Vogelschutzreservat, um das der Weg im Knick herumführt. Dazu verlässt er den Zaun auf der Nordseite, gegenüber dem Terminal. Mitten im Wald steht ein Gedenkstein für die Opfer eines Flugzeugabsturzes von 1953, bei dem sieben französische Soldaten starben.

Naturschutzgebiet rund um den Flughafensee am Flughafen Tegel
Naturschutzgebiet rund um den Flughafensee am Flughafen Tegel

© Kai-Uwe Heinrich

Planetenkiez: der lauteste Punkt der Einflugschneise

Ostwärts öffnet sich der Wald zum Flughafensee hin. Die ehemalige Kiesgrube ist mit einladend klarem Wasser gefüllt und von Stränden gesäumt. Gedränge herrscht auf dem FKK-Flecken, der die beste Abendsonne hat. Der Fluglärm ist hier neben der in Ost-West-Richtung liegenden Startbahn deutlich erträglicher als in ihrer Verlängerung. An ruhigen Nachbarn mangelt es ohnehin nicht: Nördlich des Sees befindet sich Berlins größtes Gefängnis, östlich die Bundesnetzagentur. Sie residiert am Rande der Cité Guynemer, in der zwischen den Wohngebäuden der französischen Alliierten einige Neubauten wachsen, aber noch viel Luft ist. Mitten hindurch führt die überbreite Avenue Jean Mermoz zu dem Tor, an dem der militärische Bereich des Flughafens beginnt. Der alerte Wachposten ist schon aus dem Häuschen, wenn ein Passant nur in die Nähe kommt.

Ansonsten hat der Familienvater, der soeben seinen flauschigen Minihund ausführt, die Straße für sich. Den Bauboom im Quartier betrachtet er mit Sorge, seit er sich über die Preise informiert hat: knapp 700 000 Euro für ein Reihenhaus dürften wohl auf die Mieten für die Alteingesessenen abstrahlen, fürchtet er. Ruhig sei die Gegend hier schon jetzt.

Was man vom Planetenkiez nicht sagen kann. Die zwischen der oberirdisch verlaufenden U6 und dem Autobahnzubringer eingeklemmte Siedlung liegt am lautesten Punkt der Einflugschneise. Hier rauschen die Flugzeuge nicht heran, sondern donnern ganz plötzlich direkt über die Gärten. Gärten, denen man ansieht, dass ihre Besitzer nicht gern draußen sind. Ein Ort, um die Maschinen ohne Teleobjektiv zu fotografieren, wie es der Mann tut, der auf der Böschung der Autobahn sitzt. Aber auch ein Ort, um wahnsinnig zu werden, wenn es morgens um sechs losgeht.

Von außen sieht der Flughafen ganz anders aus

Dazu dröhnt der Straßenverkehr. Der Autobahnzubringer soll nach der Schließung von TXL zur Stadtstraße gestutzt werden. Zwischen Fahrbahn und Flughafenzaun kauert eine Baracke, vor der der Verein „Alliierte in Berlin“ Militärgerät ausstellt. Nicht viel gemütlicher im Lärm von Kurt-Schumacher-Damm und der aus dem Flughafentunnel auftauchenden A111 liegt die Cité Pasteur, die hinter Mehrfamilienhäusern in verrumpelte Lagergebäude übergeht. Wäre der Flughafenzaun hier nicht blickdicht, sähe man nebenan das Terminal C. Nach Süden schließen ein Verkehrsübungsplatz und McParking an sowie ein Mercure-Hotel, das von Gästen mit frühem Abflugtermin im Internet für seine unschlagbar günstige Lage gelobt und für seine stolzen Preise bekrittelt wird. Einer schreibt außerdem von „funky smell, but that seems to be a Berlin problem“. Ganz Berlin hat ein Geruchsproblem? Interessant. Vielleicht kam die funky Note aber auch nur von einem der vielen Hundevereinsplätze, die von Osten bis fast an die Tunnelzufahrt reichen, vor der diese Tour begonnen hat.

So steht man nach mehr als 15 Kilometern wieder da, wo man angefangen hat – und staunt, wie anders der Flughafen von außen aussieht. Nur auf der Ostseite wirkt er so in die Stadt gestopft, wie er tatsächlich ist. Nach Norden und Westen hin scheint er fast schon abgelegen. Und groß genug für hochfliegende Zukunftspläne.

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