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Ort des Gedenkens. Seit 1985 erinnert ein Mahnmal an die im Krieg beschädigte, 1955 abgerissene Synagoge.

©  Kai-Uwe Heinrich

Berlin-Mitte: Tatort Levetzowstraße: Die Synagoge als Sammellager

Zum Gedenken an die Pogromnacht am 9. November 1938 ein Rückblick auf das jüdische Gotteshaus in Moabit und dessen Missbrauch durch das Nazi-Regime.

Die Pogromnacht am 9. November 1938, heute vor 79 Jahren, hatte die Synagoge in der Moabiter Levetzowstraße halbwegs überstanden. Die klassizistisch anmutende Fassade des imposanten, 1914 eingeweihten Gotteshauses war teilweise rauchgeschwärzt, und besonders innen hatten die brauen Horden gewütet, aber sie stand und konnte nach den Reparaturarbeiten wieder genutzt werden. Möglich, dass die Nähe zu den umliegenden, „arischen“ Gebäuden sie davor bewahrt hatte, niedergebrannt zu werden.

Ihr Ende als Synagoge kam knapp drei Jahre später. Am 1. Oktober 1941, ausgerechnet am Yom-Kippur-Fest und mitten aus der Vormittagspredigt heraus, wurde Moritz Henschel, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, ins Judenreferat der Gestapo in der Burgstraße in Mitte gerufen. Dort eröffnete man ihm, dass die als „Teilevakuierung“ bezeichnete Deportation der Juden nun beginne und die Synagoge als Sammellager herzurichten sei.

Vorhof der Hölle

Bis November 1942 wurde die Synagoge in dieser Form genutzt, bevor das Sammellager in der Großen Hamburger Straße sie ablöste. Nur zur „Fabrik-Aktion“ Anfang 1943 kam sie noch einmal zum Einsatz. Für unzählige Berliner Juden war die Levetzowstraße also die letzte Station in ihrer Heimatstadt, der Vorhof der Hölle, in der die Opfer ersten massiven Erniedrigungen und Misshandlungen ausgesetzt waren – „Vorstufe der Vernichtung“, wie der Historiker Philipp Dinkelaker in seiner soeben erschienenen Monografie über die zum Sammellager umgenutzten Synagoge schreibt.

Ein wissenschaftlicher Text, entstanden als übrigens glänzend bewertete Magisterarbeit am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU, das schlägt mitunter im Stil und vor allem in zahllosen Fußnoten und der umfangreichen Quellenliste durch. Ein Werk zudem, dass eine Lücke schließen soll, ist doch das Phänomen der Sammellager, wie Dinkelaker schreibt, in der umfangreichen Holocaust-Forschung anfangs eher stiefmütterlich behandelt worden und auch später nur als Teilaspekt in umfassenderem Rahmen gestreift worden.

Das Verbrechen geschah vor aller Augen

Mag das Buch nicht für ein Breitenpublikum geschrieben worden sein, so besticht es doch durch die Akribie, mit der der Autor sich seinem Thema nähert, gegliedert nach Teilaspekten wie den Auswirkungen des Lageralltags auf die Insassen oder dem Dilemma des jüdischen Hilfspersonals – das Ganze in nüchternem Duktus, die geschilderte Alltag im Sammellager ist ohnehin schockierend genug. Ja mitunter geradezu grotesk wie das beiläufig erwähnte Detail, dass kurz vor der Umwandlung der Synagoge dort eine Verkaufsstelle für Judensterne eröffnet wurde.

Als Lager war die Synagoge nicht durchgehend in Gebrauch, vielmehr immer nur von Deportation zu Deportation. Minutiös und ergänzt durch viele Zeugnisse von Betroffenen schildert Dinkelaker die Prozeduren des Erstellens der Transportlisten über das Abholen der meist schon vorbereiteten Opfer bis zu den entwürdigenden, auf völlige Einschüchterung zielenden Rituale der Aufnahme ins Lager.

Dies geschah durch die „Schleuse“, samt einer alle Schamgrenzen ignorierenden, teilweise die Grenzen zum Missbrauch überschreitenden Leibesvisitation. Kinder wurden hier von ihren Eltern getrennt, erst vor dem Abtransport wurden die Familien wieder zusammengeführt.

Zwei Lagertage unter erbärmlichen hygienischen Bedingungen hatten die in der Synagoge zusammengepferchten Juden dann hinter sich, bevor sie zum Bahnhof Grunewald, später dann zum Güterbahnhof Moabit gebracht wurden. Oft mussten sie dorthin laufen, Versuche, die Deportationen vor der Bevölkerung zu verbergen, gab es nicht. Das Verbrechen geschah vor aller Augen.

Philipp Dinkelaker: Das Sammellager in der Berliner Synagoge Levetzowstraße 1941/42. Metropol-Verlag. 291 S., 19 Euro

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