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Die Siedlerinnen. Projektleiterin Marlies Böttcher, ihre Partnerin Ines und Tischlerin Ulla Wendenkampf (v. li.) bauen mittelalterliche Häuser und ein Kloster.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berlin-Köpenick: In Köpenick entsteht eine neue Mittelalterstadt

Derzeit entsteht "Copnic" in Berlins Osten. Dort sollen Schüler Geschichte hautnah erleben.

Dort, wo der dünne Schlagbaum überm Wildwuchs baumelt, soll mal das Stadttor stehen. Marlies Böttcher und Nadja Näther können es schon sehen, wenn sie die Köpfe zusammenstecken und intensiv in die Zukunft schauen. „Wie viele Meter hoch?“ - „Ich weiß nicht ...“ - „Unglaublich. Ein Riesending ...“ - „Vielleicht sieben, acht Meter ...“ Schweigen.

Auf einem 2000 Quadratmeter großen Grundstück in Köpenick entsteht eine Mittelalterstadt

Das Tor von „Copnic“ wird großartig, da sind sich die Erbauerinnen sicher. Nur aus Steinen, Holz und Lehm, wie die anderen Häuser im Runddorf... „es wird eine Stadt sein“, korrigiert Böttcher, Lehrerin für Englisch und Geschichte am Treptow-Kolleg.

Ein wichtiger Unterschied, denn nur Städte konnten im Mittelalter unabhängig vom Landesherrn agieren, in diesem Fall Bezirksbürgermeister Oliver Igel. Die Urkunde zur Verleihung des Stadtrechts habe er schon unterschrieben, sagt Böttcher.

Nun kann er den Copnicerinnen nicht mehr hineinregieren. Auf einem 2000 Quadratmeter großen Grundstück in Köpenick entsteht die Stadt mit (geplant) zwölf Handwerkshäusern, Kloster und einem Galgen. Im September haben sie eine Einladung beim Bundespräsidenten. Wenn alles fertig ist, drehen sich die Uhren hier rund 700 Jahre zurück. Copnic ist die alte Bezeichnung für Köpenick.

Mittelalter zum Anfassen und Mitmachen

Der Verein Zeitfluss, der den Bau betreibt, besteht schon seit 2005. Die Idee kam Marlies Böttcher bei einem Besuch im Kulturhistorischen Museum Magdeburg. Dort werden Gäste von Wächtern mit Hellebarde am Stadttor empfangen und ins mittelalterliche Megedeborch entführt. Böttcher war begeistert. Das Mittelalter nicht leblos in Texten und Bildtafeln, sondern zum Anfassen und Mitmachen.

Besonders Schulklassen sollen das Angebot später nutzen, als Teil einer Projektwoche oder Thema eines Wandertages, aber auch für die berufliche Orientierung. Die Frauen haben besonders lernschwache Schüler im Blick, die im herkömmlichen Unterricht nicht mehr erreicht werden. „Hier können Gymnasiasten und Behinderte zusammenarbeiten.“

Die Schüler sollen aktiv in eine mittelalterliche Existenz hineintauchen

Der Unterschied zum Museumsdorf Düppel in Zehlendorf sei das aktive Hineintauchen in eine mittelalterliche Existenz. Die Schüler sollen beim Schmied, beim Schneider, Bader, Bäcker oder Schreiner in die Lehre gehen, Brot backen, Tücher weben oder Holz bearbeiten. Und dabei erleben, dass ein „Lehrling damals völlig rechtlos war“.

Andere dürfen als Patrizier an Ratsversammlungen teilnehmen, Steuern erheben oder Handel treiben. Das Kloster ist zugleich Kirche, dort wird dann mittags gepredigt. Wer den Job übernimmt, ist noch offen. „In Magdeburg hat das eine ehemalige Friseurin gemacht“, erzählt Böttcher. Die habe sich gut eingearbeitet.

Inzwischen hat Marlies Böttcher den Kettensägenführerschein gemacht

Einen Schmied als Lehrmeister haben die Copnicerinnen schon verpflichten können. Roland Nickel ist gelernter Werkzeugmacher. Einen zeitgenössischen Handwagen mit Holzrädern und eine Drechselmaschine hat er sich schon für seinen künftigen Arbeitsplatz gebaut. Auch die Schmiedehütte ist schon weitgehend fertig.

Das Holz für die Wände hatte das Bauteam komplett mit der Hand bearbeitet und dabei festgestellt, dass es noch Jahre bis zur Fertigstellung dauern würde, wenn sie so weitermachen. Inzwischen hat Marlies Böttcher den Kettensägenführerschein gemacht.

Aus alten Lattenrosten lassen sich prima Schwerter basteln

Ein Hausbesitzer aus Potsdam hat seine alten Biberschwänze für die Dächer gestiftet, Mercedes-Benz drei Feldsteinfundamente für die Fachwerkhäuser, die Försterei Köpenick liefert die Rundhölzer für den Palisadenzaun zum Freundschaftspreis.

Dennoch brauchen sie dringend weitere Geldspenden, Helfer und Material, um weitermachen zu können. Aus alten Lattenrosten lassen sich prima Schwerter basteln, erzählt Böttcher – wer also seine alten Betten entsorgt, möge erstmal in Copnic vorbeifahren. Die Baustelle liegt auf dem Gelände der Gartenarbeitsschule an der Friedrichshagener Straße.

Das Mittelalterprojekt dient als Erholung - auch von der Gegenwart

Einen Terminplan für die Fertigstellung gibt es bislang nicht. Marlies Böttcher wird von ihrer pädagogischen Mission getrieben. Nadja Näther arbeitet als Tischlermeisterin und freut sich, wenn sie aus dem engen Regelwerk der Handwerksordnung mal ausbrechen darf. Das Mittelalterprojekt empfindet sie vor allem als Erholung – auch von der Gegenwart.

Helfer gesucht

Die Initiative beteiligt sich ebenfalls am Aktionstag „Gemeinsame Sache“. Am Samstag, 9. September, werden von 10-16 Uhr Helfer gesucht, um die Palisade und den Flechtzaun zu errichten oder an Häusern zu werkeln. Für Verpflegung ist gesorgt. Feste Schuhe und Handschuhe sind mitzubringen. Ort: Friedrichshagener Straße 7. Kontakt: Frau Böttcher 6264254, E-Mail: marliesbear@t-online.de. Infos: www.mittelalter-in-berlin.de

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