zum Hauptinhalt
Wie Wohnen in Berlin am Ende des nächsten Jahrzehnts aussehen wird, lässt sich anhand großer Planungsgebiete wie etwa dem Tempelhofer Feld erahnen: grün, intelligent, zentral.

© dpa

Berlin 2030 - Unsere Serie blickt in die Zukunft (2): Wohntrends hin zu Ökologie und Gemeinschaft

Revolution? Fällt aus. Beim Wohnen verstärken sich aber jetzt schon erkennbare Trends: hin zur Ökologie und zur Gemeinschaft. Besondere Bedeutung kommt in dieser Angelegenheit dem Tempelhofer Feld zu.

Wohnen im Jahr 2030 – in Häusern ohne Heizungskosten am Rande eines großen Parks mitten in der Stadt und das zu erschwinglichen Mieten. So etwas wird nur noch in Berlin möglich sein. Am Tempelhofer Feld zum Beispiel, nahe Neuköllns Oderstraße. Oder am Tempelhofer Damm, mit Gleisanschluss, Autobahnauffahrt und direktem Zugang zur neuen „Wowi-Gedenkbibliothek“ – Berliner Schnauze für die Zentral- und Landesbibliothek –, Europas modernstem Multimedia-Tempel, der im „Bildungsquartier“ am Rande des stillgelegten Flughafenareals entstehen soll. So könnte es aussehen.

Und noch zwei Trends werden sich durchsetzen: mit Freunden oder Gleichgesinnten wohnen, in Genossenschaften oder kleineren Baugemeinschaften. Die Weichen dazu haben die Beschlüsse von Rot-Schwarz, im Vertrag der großen Koalition aus dem Jahr 2011, gestellt. Danach sollen das größtenteils landeseigene Bauland etwa auf dem Tempelhofer Feld bevorzugt an Baugruppen und Genossenschaften verkauft werden, oder städtischen Wohnungsfirmen. Das soll sicherstellen, dass das Angebot von Wohnungen zu günstigeren Mieten wächst und Haushalte mit mittleren Einkommen Wohneigentum anschaffen, die es sich ohne diese Hilfen wohl nicht leisten könnten.

„Auf dem Tempelhofer Feld sollten 10 000 neue Wohnungen entstehen und nicht 4000, wie der Senat plant“, fordert Maren Kern, Vorstand vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. Für neue Berliner Wohnquartiere ist „Nachhaltigkeit das große Thema“, sagt Wolfram Putz von Graft-Architekten. Wie beim siegreichen Wettbewerbsentwurf fürs Columbiaquartier 2009 vorgeschlagen, „sollte das Tempelhofer Feld ein Versuchsfeld für intelligente Stadttechnologien“ werden.

"Das Tempelhofer Feld muss zum Versuchsfeld für intelligente Technologien werden", sagt Wolfram Putz, Partner von Graft-Architekten, Berlin - Los Angeles.
"Das Tempelhofer Feld muss zum Versuchsfeld für intelligente Technologien werden", sagt Wolfram Putz, Partner von Graft-Architekten, Berlin - Los Angeles.

© Fotolia; Montage: Tsp

Was darunter zu verstehen ist? Etwa, das Haus und das Auto miteinander zu vernetzen, indem die Kollektoren auf dem Dach den Strom einsammeln, der wiederum die Akkus des Elektromobils lädt. Mit dem Fahrrad bis vor die Haustür zu fahren. Regenwasser aufzufangen und damit den Gartens zu sprengen oder die Toilettenspülung zu versorgen. Organische Abfälle für die gemeinsame Biogasanlage des Quartiers zu nutzen. Wasch- und Spülmaschinen automatisch dann starten zu lassen, wenn der Strom besonders günstig ist – in der Nacht zum Beispiel. „Das alles muss sich aber ganz selbstverständlich in den Tagesablauf der Bewohner einfügen“, sagt Putz, denn auf Komfort will niemand verzichten.

Ganz neu und ganz anders wird das Wohnen in Berlin 2030 also nicht. Eher werden heute schon erkennbare Trends noch verstärkt: Alle zieht es raus auf die Straße, wenn die ersten Sonnentage den Frühling ankündigen. Die Kiezbewohner vertikulieren dann das Fleckchen graugrünen Rasen in ihren Hinterhöfen oder verwandeln den Quadratmeter Grün am Fuße der Straßenbäume mit Blumenrabatten. Gemeinschaftsgärten dürften ein weiterer Trend in den neu entstehenden Siedlungen werden. Die „Prinzessinnengärten“ in Kreuzberg sowie das „Allmende-Kontor“ und der „Rübezahl-Gemeinschaftsgarten“ auf dem Tempelhofer Feld machen Schule: Anwohner ergreifen die Initiative und übernehmen Verantwortung in ihrer Nachbarschaft. Im gemeinsamen Garten kommt dann vielleicht der Neuköllner Migrant mit türkischen Wurzeln mit dem Studienrat aus der Bergmannstraße ins Gespräch.

Gemeinsamkeit wird das Wohnen der Zukunft prägen.

"Wir brauchen mehr Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld -10.000, nicht nur 4.000", sagt Maren Kern, die Vorsitzende des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen.
"Wir brauchen mehr Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld -10.000, nicht nur 4.000", sagt Maren Kern, die Vorsitzende des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen.

© Kai-Uwe Heinrich

Gemeinsamkeit wird das Wohnen der Zukunft prägen. Baugruppen sehen gemeinsam genutzte Räume vor: ein Foyer im Eingang, einen Fahrradkeller, eine Dachterrasse, Räume mit Kaffeemaschine und Kochnische, bisweilen sogar ein Gästezimmer, das sich alle Hausbewohner für ihre Besucher teilen. Die vielleicht bekannteste Baugruppe Berlins, die „Initiative Möckernkiez“, die 450 Wohnungen am Südrand des Parks am Gleisdreieck bauen will, erhebt das gemeinschaftliche Planen seit dem Erwerb des Grundstückes vor etwa drei Jahren zum Grundsatz: Bei den Treffen der Genossen werden alle Details zum Stand des Projektes vorgestellt und diskutiert. Das kostet Zeit, entspricht aber dem Bedürfnis der neuen Stadtgesellschaft, die sich zurzeit herausbildet.

Ohne Mitsprache und Mitbestimmung werden viele neu geplante Wohnquartiere, die Berlin im Jahr 2030 prägen werden, nicht entstehen können. Bausenator Michael Müller (SPD) beklagte wiederholt, dass zwar „jeder den Neubau von Wohnungen begrüßt, aber keiner will, dass die Projekte vor seiner Haustür entstehen“. Die CDU-Fraktion nimmt diese Entwicklung sehr ernst und will die Lehren aus dem Kampf um das Planungsgebiet Mediaspree ziehen. Die Initiative blockierte per Bürgerentscheid die Entwicklung von Neubauten an den Ufern der Spree in Friedrichshain und Kreuzberg. Für Berlin bedeutet diese Bewegung, was schwäbische Wutbürger für das  Projekt „Stuttgart 21“ sind. Deshalb will die Berliner CDU-Fraktion die Pläne für die Bebauung des Tempelhofer Feldes noch einmal grundlegend mit der Bürgerinitiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ und Anwohnern in einem gemeinsamen Forum diskutieren, denn auch hier droht ein Bürgerentscheid.

Wohnen in Berlin im Jahr 2030 – das setzt einen „radikalen Umbau der Stadt“ voraus, sagt Planer Dieter Hoffmann-Axthelm. Die Alterung der Berliner erfordere den Abbau von Schwellen und Barrieren. Weil außerdem die Schuldenbremse zum Sparen zwingt, werden Nachbarschaftshilfen und Gemeinschaften wichtig, denn „das Sozialamt kann nicht mehr alles auffangen“. Knappe Kassen zwingen auch zu einer „Verringerung des Flächenkonsums“: Ein Teil der Straßen wird in Bauland umgewandelt. Schule machen könnte die heute schon geplante Umgestaltung des Molkenmarktes am Roten Rathaus. Auch das Marienviertel zwischen Fernsehturm und Schlossneubau wird im nächstem Jahrzehnt bebaut – die Kassenlage verlangt es einfach, denn Straßen und Freiflächen im Zentrum sind bereits versorgt: Leitungen für Wasser, Strom und Wärme, Kitas und Schulen gibt es dort schon, die im Umland fälligen Kosten einer Erschließung sind entbehrlich. Und nach einer Bebauung spart sich die Stadt die kostspielige Erhaltung des Straßenlandes. Einen weiteren Trend gibt es: Wohnen im Turm, etwa am Alexanderplatz. Nur wenige werden sich das leisten können, denn Bau und Betrieb von Hochhäusern sind teuer, entsprechend luxuriös die Mieten oder die Kaufpreise der hoch über der Stadt gelegenen Apartments.

Einen Lichtblick könnte Berlin 2030 eröffnen: Die Schlangen vor den Türen von Mietwohnungen dürften nicht mehr so lang sein. Darauf lassen Förderprogramme hoffen, die der Senat auflegen will. Wegen der großen Nachfrage nach Wohnraum und der niedrigen Zinsen steigt die Zahl der jährlich gebauten Wohnungen auf über 6000 – und der Senat strebt sogar 10 000 neue Wohnungen jährlich an. Dazu wird ein Zwei-Milliarden-Euro-Programm für städtische Wohnungsfirmen aufgelegt. Das Geld soll per Kredit fließen und für den Bau von 25 000 neue Wohnungen reichen. Um auch die Mieten von Wohnungen privater Bauträger zu dämpfen, will der Senat Druck ausüben: Eine Baugenehmigung bekommt nur, wer einen Teil der Wohnungen günstig vermietet. Belohnt wird er dafür mit Förderungen: 64 Millionen Euro jährlich lässt sich Berlin das kosten und erkauft mit dem Geld günstigere Zinsen für Bauherren. Gelöst wird die Wohnungsnot so wohl nicht – gelindert aber allemal.

Die Hauptstadtregion, ihre Chancen, ihre Herausforderungen - Unsere Serie "Berlin 2030" blickt in die Zukunft. Die nächste Folge erscheint am Dienstag, 4.Juni, zum Thema Berlins Kultur.

Zur Startseite