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Die Ausstattung des Regionalbahnhofs ist spartanisch: Drahtgeflechtsitze, Abfalleimer, Wetterschutzhäuschen, fertig.

© Stefan Jacobs

Bahnverkehr in Berlin: Kein Halt mehr in Karlshorst

Berlins Südosten verliert im nächsten Jahr einen Regionalbahnhof. In Zukunft wird hier nur noch an zwei Tagen wird gehalten.

„Nächster Bahnhof: Karlshorst“, sagt die Konserve in der S-Bahn. „Übergang zum Regionalverkehr.“ Mal sehen, wie lange die S-Bahnen das noch behaupten werden, denn zum Fahrplanwechsel verschwindet der nach dem Mauerbau in den sechziger Jahren errichtete und trotz großer Planungen nie wirklich ausgebaute Regionalbahnhof Karlshorst unwiderruflich. Genau genommen verschwindet er schon jetzt, wie sich beim Abschiedsbesuch vor dem ersten Adventssonntag herausstellt.

Beim Aussteigen aus der S 3 wird klar, dass „Bahnhof“ ein großes Wort für diesen, nun ja, Haltepunkt, ist. Es gibt je einen Bahnsteig für die beiden Richtungen: Stadtauswärts muss man durch den Tunnel und dann von außen die Böschung hinauf auf der zwar nachwendisch-soliden, aber steilen Treppe. Der andere, in Fahrtrichtung stadteinwärts, liegt zwar in Verlängerung des S-Bahnsteiges, aber ist ausschließlich über eine filigrane, schwer angerostete Fußgängerbrücke erreichbar. Aufzüge, Rolltreppen, Rampen? Gibt’s nicht. Jeder kämpft für sich allein. So wie die beiden Asiatinnen, die ihre Koffer die Böschungstreppe hochwuchten – und von dem Arbeiter oben am Bahnsteig zurück zur S-Bahn geschickt werden. Denn die Strecke ist schon seit 27. November wegen Bauarbeiten gesperrt. Mit scharfem Auge sind die gelben Baumaschinen weiter stadteinwärts auf den Gleisen zu erkennen, mit noch schärferem auch viele Bauleute mit ihren orangenen Warnwesten.

Die Regionalbahn von Karlshorst in Richtung Stadtzentrum ist nur über den S-Bahnhof erreichbar. Der soll 2018 umfassend saniert werden.
Die Regionalbahn von Karlshorst in Richtung Stadtzentrum ist nur über den S-Bahnhof erreichbar. Der soll 2018 umfassend saniert werden.

© Stefan Jacobs

Auch der Mann auf dem Bahnsteig trägt eine, während er ein neues, noch in Plastikfolie verpacktes Schild eingräbt. Was ist auf dem Schild? „Keine Ahnung!“ Hat wohl irgendwas mit den neuen Signalen zu tun. Die alte Technik werde noch an diesem Wochenende abgebaut: Achszähler, Magnete und die blechernen H-Tafeln, die dem Lokführer zeigen, wo er je nach Zuglänge stoppen muss.

Ostkreuz statt Karlshorst

„Hier hält ganz bestimmt kein Zug mehr“, sagt der Mann. Das ist insofern interessant, als die – hinter dick bereiften Glasscheiben verborgenen – Infozettel das Ende der Bauarbeiten für den 7. Dezember verkünden, was die Bahn auf Nachfrage bestätigt: Am 8. und 9. Dezember werde wieder in Karlshorst gehalten. Die letzte Chance auf eine Direktverbindung nach Schönefeld in zwölf Minuten. Zwölf Minuten! Da steigen Sie ja praktisch in den Hauptbahnhof, äh, in den Flughafen … – schon gut, wir sind ja nicht in München. Und in Karlshorst halten keine Transrapids, sondern RE 7 und RB 14, die einerseits nach Schönefeld fahren und andererseits in die Berliner City. Eine perfekte Verbindung auch für die vielen Menschen, die ins neue Wohngebiet um den Carlsgarten gezogen sind, gleich hinter der Schallschutzwand. Und für die vielen, die mit der Straßenbahn via Treskowallee hier ankommen. Der Halt in Karlshorst fällt weg, weil der Regionalbahnsteig am Ostkreuz in Betrieb geht, drei S-Bahnhöfe stadteinwärts von hier. Drei zu viel, wenn man nach Schönefeld will. Ende 2013 haben die damaligen Koalitionäre SPD und CDU in einem gemeinsamen Antrag gefordert, Karlshorst als Regionalbahnhof zu erhalten. Aber die Bahn wollte nicht, verweist auf ausgeknautschte Fahrpläne und dichten Zugverkehr und den schlechten Zustand des Bahnhofs, der praktisch neu gebaut werden müsste: „Mögliche Instandhaltungsmaßnahmen sind ausgereizt.“ Außerdem sollen ja in Köpenick, zwei S-Bahnhöfe stadtauswärts von hier, Regionalzüge halten. In zehn Jahren.

Also wird das Regionalbahnhöfchen Karlshorst im Frühjahr 2018 komplett verschwinden: der völlig zerbröselte Bahnsteig stadteinwärts ebenso wie der deutlich besser intakte stadtauswärts, hinter dem außerdem ein verrammeltes Stellwerk siecht. Für Souvenirjäger gäbe es wenig zu holen. Vielleicht steigt der Wert der gelben Fahrplanaushänge in Pufferküsserkreisen irgendwann, aber sonst? Die üblichen Mülleimer, ein paar Drahtgeflechtsitze. Das Wertvollste ist vielleicht der Blick von der morschen Stahlbrücke: stadteinwärts zieht die Dampfwolke vom Kraftwerk Klingenberg Richtung Ostkreuz, dessen Wasserturm am Horizont erkennbar ist. Stadtauswärts glänzen die Schienen in der Morgensonne, schnurgerade bis zum Horizont. Wer’s erleben will, hat nicht mehr viel Zeit.

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