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Während in berlinnahen Städten kräftig gebaut wird, gibt es in weiter entfernten Städten wie Eisenhüttenstadt viel Leerstand.

© Patrick Pleul/picture-alliance/ dpa

Aussterbendes Brandenburg: Kampf um jedes Dorf

Das Land Brandenburg umschließt eine der dynamischsten Wachstumsregionen Deutschlands. Doch die berlinfernen Regionen vergreisen. Wie wird man in dem Bundesland mit diesem Phänomen fertig?

Drohen in der Mark aussterbende Dörfer, neue Wüstungen wie einst nach dem Dreißigjährigen Krieg? Die Antwort von Brandenburgs Infrastrukturministerin Kathrin Schneider (parteilos) ist ein überraschend klares Nein. „Ich sehe das Szenario nicht, dass wir Dörfer aufgeben müssen.“ Dabei waren auch in Brandenburg die Sorgen vor einer solchen Entwicklung noch vor einem Jahrzehnt akut. Als erstes Bundesland hatte die Potsdamer Landesregierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) 2003 bis 2007 damit begonnen, nach Antworten auf die demografischen Herausforderungen zu suchen – aufgeschreckt von den schon damals dramatischen Bevölkerungsprognosen, die sich seitdem nur in Nuancen verändern.

Nicht die Dörfer, die Städte sind das Problem

Das Thema ist seitdem in der Staatskanzlei Chefsache. Ein Strategiepapier warnte etwa 2006 davor, dass „die physische und mentale Flexibilität der Bevölkerung sinkt“, dass damit gerechnet werden müsse, „dass Häuser und Hofstellen zunehmend leer fallen“. Und jetzt plötzlich Entwarnung? Ja, denn in der Praxis des letzten Jahrzehnts hat sich diese Befürchtung nicht bestätigt, erläutert die Ministerin. „Den Trend, dass ganze Landstriche verlassen werden, gibt es nicht.“ Die Entwicklung verlaufe in jeder Hinsicht viel differenzierter. So gebe es in den meisten Dörfern, wie sich zeige, eine „gewisse Grundstabilität“, während es Städte wie Eisenhüttenstadt oder Schwedt waren, die die größten Einwohnerverluste hinnehmen mussten. Und wenn tatsächlich Hofstellen leer geworden sind, seien sie „oft wieder bezogen worden, durch Leute von außen, die wieder andere nachziehen.“

Denn es gebe durchaus auch den gegenläufigen Trend, den des Zuzugs in schrumpfende Regionen, mit dem vor einem Jahrzehnt noch niemand rechnete. Als Beispiel nennt Schneider das Amt Gartz in der Uckermark, wo die Ängste vor einem Aussterben des Dorfes einst groß waren. „Inzwischen haben sich dort polnische Familien angesiedelt.“ Aber da seien auch Kreative oder Berliner, die es in die Natur zieht, zunehmend auch Menschen, die schöne Flecken im Lande – mit der gut erreichbaren Metropole Berlin – als Altersruhesitz entdecken.

Doppelte Herausforderung

Dennoch bleibt die Demografie für Brandenburg eine besondere Herausforderung, nämlich eine doppelte. In den berlinferneren Regionen müsse „das Schrumpfen gesteuert werden und im Umland der Metropole das Wachstum“, betont Schneider. Und das mit jeweils anderen Instrumenten. „Es gibt dafür keine Schablonen.“ Ein Ansatz, auf den Brandenburg setzt, um Regionen zu stabilisieren, lautet: „Stärkung der Städte – als Anker im Raum“, so die Ministerin. Die Förderpolitik und die Landesplanung ist darauf ausgerichtet worden, auch als eine Abkehr von der früheren Gießkannenpolitik, wegen knapperer Kassen. Mittlerweile sei auch hier, so die Analyse Schneiders, „die Tendenz zu erkennen, dass sich die Städte stabilisieren“, von größeren wie Brandenburg an der Havel bis zu kleineren wie Angermünde. Die Gründe? Die Städte würden für ältere Menschen attraktiver, wegen der Infrastruktur. „Und auch junge Familien ziehen verstärkt hin, weil sie die Stadt der kurzen Wege schätzen.“ Die Zeiten, dass junge Leute zu Tausenden in die alten Länder abwanderten, weil sie keine Lehrstellen fanden, sind vorbei.

Angebote für Senioren

Dennoch bleibt die sinkende Bevölkerung für die berlinferneren Regionen ein Grundproblem. Und damit taucht auch hier immer wieder die Frage kritischer Grenzen auf, der Tragfähigkeit, für Infrastruktur, bei Verwaltung. „Man muss konzentrieren“, sagt Schneider. Das ist der Grund, weshalb die rot-rote Landesregierung nun für 2019 eine hoch umstrittene Kreisgebietsreform vorbereitet, die Straffung der aufgeblähten Kreisstrukturen im Land, die schon in den Strategiepapieren von 2006 dringend empfohlen worden war, seitdem aber immer wieder vertagt wurde. Das gilt aber auch für die Gesundheitsversorgung, wo etwa das Modell der „Gemeindeschwester“ reaktiviert wurde, die über die Dörfer fährt und Landärzte unterstützt. Es ist ein Beispiel dafür, dass Lösungen nicht immer mit weiteren Wegen für die Leute verbunden sein müssen. Es gebe inzwischen auch Erfahrungen in der umgekehrten Richtung, ob die Zahnärztin, die in die Dörfer fährt, oder die Verwaltung, die vor Ort Sprechstunden anbiete, so Schneider. Im öffentlichen Nahverkehr testen Regionen „Rufbusse“, die nur bei Bedarf fahren,  oder es entstanden Initiativen für  „Bürgerbusse“, bei denen Ehrenamtliche Senioren zum Arzt oder für Besorgungen in die Stadt bringen.

Gleichzeitig wächst im Berliner Umland der Druck. Die Landeshauptstadt Potsdam, Falkensee und andere Kommunen wachsen so rasant, dass sie mit dem Ausweisen neuer Wohngebiete, mit dem Bau von Schulen und Kitas kaum hinterher kommen. Auch der Ruf, die Berliner S-Bahn zu verlängern – etwa nach Falkensee oder nach Stahnsdorf – überhaupt die Verbindungen für Pendler aus und nach Berlin attraktiver zu machen, wird lauter.

Für Brandenburgs Regierung bleibt das ein Spagat. So hat Schneider, seit Herbst 2014 Ministerin, vorher einige Jahre Staatssekretärin und Chefin der Gemeinsamen Landesplanung Berlins und Brandenburgs, Anfang des Jahres damit begonnen, die vorher eher vernachlässigten Gemeinden im Berliner Speckgürtel stärker ins Blickfeld zu nehmen. „Mit ihren Wachstumsschmerzen“, wie sie es ausdrückt. Und doch steuert Brandenburg damit auf innere Verteilungsdebatten zu, etwa ob in den kommenden Jahren wenig ausgelastete Zugverbindungen in der Peripherie aufgegeben werden müssen, um stattdessen mehr Regionalzüge zwischen dem Umland und Berlin fahren zu lassen. „Wir werden Regionen nicht gegeneinander ausspielen“, sagt Schneider dazu nur. „Auf keinen Fall.“ 

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