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Demonstranten gegen die Armenien-Resolution in Berlin am Brandenburger Tor.

© Paul Zinken/dpa

Aussagen zu Bundestagsabgeordneten: Erdogan spaltet die türkische Gemeinschaft in Berlin

Die einen verteidigen Erdogan, die anderen nennen ihn gefährlich. Der Streit zwischen Deutschland und der Türkei beschäftigt auch die Berliner Türken.

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Es kann niemand erwarten, dass die Türken in Deutschland alle einer (nämlich unserer) Meinung sind. Der Gewinn liegt in der Diskussion selber, die nun stattfindet, die in Deutschland offen ausgetragen werden kann und in der Argumente gegeneinander abgewogen werden können. Machen wir das Beste daraus!

schreibt NutzerIn gophi

In Berlin leben etwa 170.000 Männer und Frauen türkischer Abstammung. Manche mit türkischem Pass, andere mit deutschem. Manche wählen Erdogan, andere nicht, aber eins haben die meisten von ihnen gemeinsam: Sie unterhalten sich über die umstrittenen Aussagen des türkischen Staatschefs.

Recep Tayyip Erdogan bezeichnete türkischstämmige Abgeordnete im Bundestag als verlängerten Arm der kurdischen PKK und forderte Bluttests, um ihre Herkunft zu beweisen. Martin Schulz (SPD) sprach von einem „absolutem Tabubruch“, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verurteilte die Aussagen als „hasserfüllte Drohungen.“ Nicht nur die deutsche Politik reagierte schockiert, auch der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg sprach von einer „völlig inakzeptablen Reaktion“. Nicht alle teilen diese Kritik. In der türkischen Gemeinschaft in Berlin finden Erdogan trotzdem noch viele gut.

Die Armenien-Resolution soll schuld sein

An den Spannungen seien eigentlich die Deutschen schuld, sagt etwa Bekir Yilmaz, Präsident der Türkischen Gemeinde zu Berlin. Der emotionale Bruch in der türkischen Gemeinschaft sei durch die Armenien-Resolution entstanden. Der deutsche Bundestag hatte vor gut einer Woche unter Protest der Türkei sowie vieler Berliner Türken beschlossen, das Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs offiziell als Völkermord zu bezeichnen. Die Türkei zog daraufhin ihren Botschafter aus Deutschland ab. Bei den Protesten schwenkten die Menschen türkische aber auch deutsche Fahnen.

„Die aktuellen Aussagen des Präsidenten beschäftigen die Leute nicht so sehr, wie der Armenien-Beschluss. Die Diskussion darüber ist überflüssig“, sagt Yilmaz. Zudem sei die Übersetzung ins Deutsche nicht ganz richtig. „Zu sagen, jemand hat unreines Blut, ist auf türkisch nicht so schlimm.“ Das könne man sagen, wenn man wütend auf jemanden ist.

Der grüne Bundestagsabgeordnete und Kreuzberger Özcan Mutlu lässt diese Argumente nicht gelten. Er bezeichnet die Aussagen des türkischen Präsidenten als demokratiefeindlich und Gift für die Gemeinschaft in Berlin. „Es ist wirklich traurig, dass diese Debatte das Zusammenleben derart beeinflusst“, sagt Mutlu. Er, sowie sein Bundestagskollege Cem Özdemir, waren nach der Armenien-Abstimmung bedroht und beleidigt worden. Die türkische Stadt Pazar, Heimatort seines Vaters, entzog Özdemir sogar die Ehrenbürgerschaft. Zur neuen Ehrenbürgerin wurde nun Bettina Kudla von der CDU in Leipzig ernannt, die gegen die Armenien-Resolution gestimmt hatte.

Dilek Kolat und Frank Henkel äußern sich

Die Berliner Integrationssenatorin Dilek Kolat fürchtet um das friedliche Zusammenleben: „Erdogan sollte schnell wieder abrüsten. Seine gewalttätige Rhetorik spaltet.“ So einig sich die deutsch-türkischen Politiker sind, so gespalten bleibt die Gemeinschaft der Türken in Berlin. „Es gibt zwei Blöcke, die einen finden Erdogan stark. Sie halten ihn für einen Macher, eine starke Führungsperson“, sagt Dervis Hizarci, ehemaliges Vorstandsmitglied der Türkischen Gemeinde zu Berlin und Leitet der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. „Die anderen dachten womöglich schon immer, dass Erdogan ein Wolf im Schafspelz ist und, dass er jetzt, wo er sich die Machtstrukturen geschaffen hat, die ihn tragen, sein wahres Gesicht zeigt. Nämlich das eines undemokratischen Menschen, eines Islamisten oder eines Diktators.“

Auch Ender Cetin, Vorsitzende des Moscheevereins der Sehitlik-Moschee in Neukölln, berichtet von Streit. „Ich habe auch schon von Unterstützern Erdogans Kritik an den aktuellen Aussagen gehört“, sagt er. „Als Moslem sollte man niemanden wegen seiner Hautfarbe, Herkunft, Religion oder Weltanschauung diskriminieren.“

Anfang der Woche sagte der vom türkischen Staat gesteuerte Moschee-Dachverband Ditib ein Fastenbrechen (Iftar) zum Ramadan mit Norbert Lammert in der Sehitlik-Moschee ab. Der Grund waren Sicherheitsbedenken. Es soll Drohungen gegen die Moschee gegeben haben, Demonstrationen wurden angekündigt.

Auch die Berliner Innenpolitik sorgt sich um die Stimmung in der Stadt. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) ist überzeugt, dass die Spannungen mit Ankara keine gravierenden Auswirkungen auf das Zusammenleben der Menschen in Berlin haben – auch wenn er die Äußerungen des türkischen Präsidenten Erdogan so daneben findet, dass er sie nicht einmal kommentieren möchte. „Ich bin aber ganz sicher, dass sich die Türken in der Stadt nicht instrumentalisieren lassen“, sagte Henkel am Freitag dem Tagesspiegel. „Ich habe viele türkische Freunde, die zu Erdogan eine ausgesprochen kritische Haltung einnehmen.“ Am Ende müsse natürlich jeder für sich entscheiden, wie er dazu stehe, sagte Henkel. „Aber ich bin eigentlich optimistisch, dass sich Deutsche und Türken nicht auseinanderdividieren lassen. Und ich fände es kein schlechtes Zeichen, wenn auch aus den türkischen Verbänden heraus ein Signal in diese Richtung erfolgen würde.“

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