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Berlin: Aus der Lauge in den Backwerkhimmel

Die süddeutsche Brezel hat sich längst auch im Berliner Raum eingebürgert – unsere Probierrunde suchte nach den besten hiesigen Exemplaren

In der Essenswelt gibt es ein paar Dinge, denen wohnt ein Paradox inne wie Lebewesen ein Herz. Auf die Gefahr hin, dass es manchen überraschen mag – aber auch das tägliche Brötchen gehört zu ihnen. Sein unauflöslicher Widerspruch besteht darin, dass es sich einerseits von selbst versteht, zum andern aber, dass man immer wieder an seine Existenz erinnert werden muss. Letzteres hat natürlich mit seinem dienenden Charakter zu tun. Zumindest in kulinarischer Hinsicht denkt man doch zunächst an frische Butter und noch mehr an Käse, Wurst oder Konfitüre bevor einem Krume und Kruste in den Sinn kommen. Noch besser lässt sich das am gekochten Weißbrot, nämlich den Nudeln, verdeutlichen. Mit immer herzhafteren Saucen versucht man heutigentags, der Ereignislosigkeit von Pasta beizukommen.

Im Fall der Schrippe ist es nicht die Variation (wie zum Beispiel die neuerdings so beliebt gewordenen Kaisersemmel respektive das Sternbrötchen oder die unzähligen „Spezialbrötchen“ mit aufgestreuten oder manchmal auch eingebackenen Körnern), die das für eine Person portionierte Teigstück als solches interessant werden lassen, sondern die Laugenbrezel. In Berlin fand ihr Aufstieg in einer Ära statt, die vom allmählichen Verschwinden des Schusterjungen vielleicht besser gekennzeichnet wäre als von manchen politischen und kulturellen Ereignissen.

Was vor dreißig Jahren noch als ausgesprochene süddeutsche Spezialität des Wegs kam, ist heute in der ganzen Republik gewissermaßen landläufig. Jeder Backshop bietet sie an, an Bahnhof und Flughafen gehört sie inzwischen zur internationalen Reiseration und selbst noch im Bioregal macht sie neben verhutzeltem Gebäcksel als Einzige eine gute Figur. So manchem Gast unseres Landes ist dieses sogenannte Gebildbrot gar das Neuschwanstein des Backwerks.

Natürlich hängt das mit der Form zusammen sowie der Farbe, die an poliertes Edelholz oder eine lackierte Zigarre erinnert. Sie wird von Natronlauge (E 524) hervorgerufen, in die der Teigling vor dem Backen getaucht wird. Im Ofen bildet sich dann jene charakteristisch schimmernde Oberfläche, die von Hagelsalz-Kristallen nicht nur optisch akzentuiert wird. Das Aroma verdankt sich der berühmten Maillard-Reaktion zwischen Zucker und Aminosäuren. Sie gibt auch Braten und Saucen ihre typische Grundwürze. Dass die unterschiedliche Dicke des geflochtenen Teigstrangs zu einem Spektrum zwischen feucht und trocken, Salzstängelchen und frischem Brötchen führt, erklärt auch, warum die Laugenbrezel auch ohne Butter ausgesprochen wohlschmeckend sein kann.

Danijel Kresovic gehört zu den Köchen, deren Begeisterungsfähigkeit offenbar niemals abstumpft. Sein Motto: „Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst niemals in deinem Leben zu arbeiten“ verrät dazu noch eine Portion Humor. Das waren beste Voraussetzungen, um der monatlichen Testrunde zu präsidieren. Sie traf sich in Kresovics Wirkungsstätte, dem Restaurant 44 im Swissôtel am Kurfürstendamm. Die „Strecke“ sah beeindruckend aus. Kresovics Mitarbeiter hatten auf dem Weg zur Arbeit überall Brezeln eingekauft. Doch nur wenige – und das war für die Jury beileibe nichts Neues – schafften es nach zwei Stunden wirklich in die Endausscheidung.

Diese verlief rasch, denn inzwischen hatten die Tester zur Genüge Zeit gehabt, sich in Experten zu verwandeln. Für die aufgeplusterten und kaum knackigen Exemplare der Großbäcker wie den Marktführer Ditsch dürfte das Produkt von „Backwerk“ typisch sein. Es wird in den Filialen zum Preis von 45 Cent angeboten und wirkt auf den ersten Biss, wie es 44-Maître Marco Pfeifer ausdrückte, „sehr semmelig“. Faktisch erscheint es mehr getrocknet als gebacken und gehört eher zu den Bagels, die es mittlerweile auch im Laugendress gibt.

Koch-Legende und Palazzo-Impresario Hans-Peter Wodarz bescheinigte dem Probanden von „Butter Lindner“ immerhin einen „knisternden Abgang“. Davor jedoch tat sich nicht viel. Die Struktur ist ziemlich kompakt, der Bruch durch den Teig zeigt mehlig-trockene Stellen und die dünnen Verästelungen schmecken nicht anders als industriell hergestellte Trockenbrezeln.

Für die mittelständischen Handwerksbäckereien warf als Erstes „Back-Art“ seinen Hut in den Ring – und zwar in Form einer optisch ansprechenden Schlinge von gleichmäßiger Bräune. Die wegen ihrer Torten beliebte Adresse beim Urban-Klinikum hinterlässt hier im Salzigen einen recht neutralen Eindruck, so dass Kresovics Sous-Chef Christoph Mezger von einer „gefärbten Kaisersemmel“ sprechen konnte. Damit ähnelte sie den Erzeugnissen der „Brezel Company“ im Einzugsgebiet des Kottbusser Damms und der Potsdamer Biobäckerei „Fahland“, die im Funkhaus am Theodor-Heuss-Platz einen Verkaufspavillon unterhält.

Dass Kleingebäck schnell fad schmeckt, liegt meistens an der Gärzeit des Teiges, die aus Kostengründen möglichst kurz gehalten wird. Die Runde war überrascht, als ausgerechnet die Brezel aus dem KaDeWe einerseits ausdruckslos blieb – wenig Geruch, wenig Lauge –, zum anderen aber einen hefig-speckigen Fehlton äußerte, der eher an eine Quiche denken ließ.

Ebenfalls ein Nebengeschmack lenkte die Aufmerksamkeit zur „Bäckerei Sporys“. Obwohl schön aufgegangen, stramm gelaugt und knusprig gebacken, entging der Runde eine unangenehm metallische Note nicht. Ob sich Oliver Sporys im Verlauf seiner Engagements in England, Sibirien, in den Vereinigten Staaten, Peru und Chile am Ende seiner schwäbischen Heimat entfremdet hat?

Der Aufgabe gänzlich entzogen hat sich Berlins erster Biobäcker. Heinz Weichardt genügt lediglich mit der Figur dem Thema, hält ansonsten aber das Gedenken des Schusterjungen hoch, an einen sektiererisch-spelzigen zumal. Sein Kollege Hans Leib, ebenfalls Öko-Pionier der Stadt, entgeht zwar einem „Setzen, sechs“, aber seine Brezel bleibt ohne Charakter – es sei denn, man wollte ihre pampige Art dafür halten.

Bio-Kombattant Bernd Tillmann dagegen legt ein durchweg gutes Stück auf den Tresen: Leichte Süße im Teig, gezügeltes Salz in knackiger Kruste und überhaupt große Harmonie im Ganzen. Für Kresovic blieb unangefochten ein dritter Platz.

Edle Einfalt und stille Größe fällt einem zur „Hofpfisterei“ ein. Die Hausbäckerei der Münchner ist nun mit etlichen Filialen in Berlin vertreten und mischt zum Wohle der Verbraucher den hiesigen Brotmarkt auf. Was die Brezeln betrifft, so ist man besonders ambitioniert. Der Teig ist während des Backens mächtig aufgegangen und hat die Kruste weit gesprengt. Sobald sich der ein bisschen ins Bittere geführte Laugengeschmack auf der Zunge entfaltet, entdeckt man gleichzeitig eine milde, etwas süßliche Getreidenote am Gaumen, die ihn gewissermaßen abfedert und auffängt.

Nur das „Alpenstück“ machte den Bayern die Krone streitig. Und das mit Erfolg, denn die rötlich dunklen, recht unregelmäßig ausfallenden, in der Mitte hoch aufgegangenen Schleifen überzeugen mit mehr Aspekten, als man sie so einem Alltagsding zunächst einmal zuzubilligen bereit ist. Da wären neben der herrlichen Farbe, die sich vor allem einer konzentrierten Lauge verdankt, eine kuchige Note, die sich unwissentlich der Brioche annähert, eine Nussigkeit, die entfernt an Macadamia erinnert, sowie eine herbe Art. Sie nimmt dem beachtlichen Volumen die Mächtigkeit und stellt einen willkommenen Widerpart zu Süßrahmbutter dar – falls diese Gipfelbrezel aus dem Urstromtal überhaupt der Verfeinerung bedarf.

Back.Art, Kreuzberg, Dieffenbachstr. 12

BackHaus, Wilmersdorf, Nassauische Str. 16a

Bäckerei Alpenstück, Mitte, Schröderstr. 1

Bäckerei Sporys, Mitte, Rosenthaler Str. 82

Brezel Bar, Kreuzberg, Friesenstr. 2

Brezel Company, Neukölln, Lenaustraße 10

Fahland, Charlottenburg, Masurenallee 8-14

Tillmann, Wilmersdorf, Ludwigkirchstr. 14

Weichardt Brot, Wilmersdorf, Mehlitzstr. 7

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