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Der "Zehlendorfer Plan" für Berlin, erschienen im Tagesspiegel 1946.

© Illustration: Archiv

Aus dem Tagesspiegel-Archiv: Um ein neues Berlin

"Die Hauptentwicklung des Verkehrs ist westöstlich eingestellt." Tagesspiegel-Mitgründer Edwin Redslob 1946 über neue Pläne im Nachkriegs-Berlin.

Städtebau ist projizierte Weltanschauung. Unter diesem Gesichtspunkt ist am Stadtbild Berlins seit nunmehr hundert Jahren ununterbrochen gesündigt worden. An Stelle von Planung und Gemeinschaftsgefühl trat Spekulation, wo aber repräsentiert werden sollte, Ideenlosigkeit und gebaute Phrase. Nun ist ein großer Teil der Stadt in Trümmer gesunken. Daß das Vernichtete so wieder erstehen solle, wie es einst war, daran denkt niemand. Neuplanung, nicht Restauration ist das Gebot. Es geht um mehr als Häuser, es geht um die gesamte Anlage und Organisation.

Material zur Bearbeitung eines neuen Stadtplans wird der Oeffentlichkeit in zwei Etappen unterbreitet werden: von heute an im Haus am Waldsee in Zehlendorf, von Mitte Juli an im Weißen, Saal des Schlosses zu Berlin. In Zehlendorf stellt das Arbeitskollektiv aus, das unter Leitung des dortigen Oberbaurats Scheidling durch die Architekten Görgen, Moest u.a. wertvolle Ideen festgelegt hat, so daß es als Unterabteilung einem der Planungsämter des Berliner Magistrats angegliedert wurde. Im Weißen Saal wird der Berliner Städtebauer Prof. Scharoun, früher in Breslau, jetzt Stadtrat und Leiter der Abteilung für Bau- und Wohnungswesen, seine Ausarbeitungen zeigen. Die Gedankengänge, die ihn dabei bestimmten, hat er vor einigen Tagen in einem Vortrag vor der Studentenschaft klargelegt.

Die Organisation, die für die städtebaulichen Fragen Berlins sorgt, erscheint etwas umständlich: es gibt eine Abteilung für Planungen (man beachte den Plural!). Diese Abteilung bearbeitet die wirtschaftlichen Fragen. Die Fragen der Gestaltung besorgt das Hauptamt für Planung. Dieser Singular umfaßt aber zwei Dienststellen (Planung Nr. I und Nr. II), denen die Zehlendorfer Stelle beigeordnet ist.

Das erste Teilergebnis erscheint sehr viel besser, als die umständliche Organisation vermuten läßt. Als Vorschlag für die Sanierung und für die Neuregelung der Verkehrswege erscheint die geleistete Arbeit des Schweißes der Männer wert, die hier gewirkt haben. Die Hauptentwicklung des Verkehrs ist westöstlich eingestellt. Aus den neun, jetzt bereits nur noch acht, Fernbahnhöfen sollen vier werden: Charlottenburg, Zoo, Friedrichstraße, Schlesischer Bahnhof. Die Kopfbahnhöfe (Potsdamer, Anhalter, Görlitzer Bahnhof) sollen verschwinden. Die Umleitung auf die Stadtbahn erfolgt weit vor der Stadt. Für den Verkehr im Innern wird die theatralische Hauptachse des Hitler-Speerschen Planes aufgegeben, die den Tiergarten zerschnitt und die Linden dem Alltagsverkehr opferte. Es erfolgt eine Ueberleitung vom Kurfürstendamm längs des Tiergartens zur Leipziger und Zimmerstraße. Zwischen Zoo und Bahnhof Friedrichstraße schmiegt sich die Hauptverkehrsader dem Flußlauf an, so daß Berlin nun endlich wieder zur Spreestadt werden würde. Der ringförmige Charakter der schnell gewachsenen Stadt, um deren Zentrum die Vororte sich radial gruppieren, bleibt als Ausdruck der geschichtlichen Entwicklung erhalten.

So trägt der Plan dem organisch Gewordenen Rechnung. Man könnte sagen, daß hier eine demokratische Gesinnung auch demgegenüber zu erkennen ist, was frühere Generationen gewollt und an Werten überliefert haben. Der Vorschlag geht nicht rücksichtslos über das Vorhandene hinweg, er zeigt vielmehr, wie man mit dem organisch Gewachsenen auch weiter rechnen und es weiter entwickeln kann. Wo es nottut, fordert der Plan aber grundsätzliche Aenderungen, beispielsweise beseitigt er die Kopfstationen, deren Gelände die Innenstadt zerschnitt. Somit ist die Auseinandersetzung über das künftige Gesicht Berlins eröffnet. Es geht um die Gesundung unserer Stadt. Wir können uns nicht gesund reden, wohl aber gesund bauen!

Der Beitrag erschien am 16. Juni 1946 mit der Überschrift "Um ein neues Berlin" im Tagesspiegel. Mehr zu den Zeitungsgründern Edwin Redslob, Walther Karsch und Erik Reger sowie anderen Tagesspiegel-Autoren der frühen Jahre finden Sie hier auf unserer Themenseite. Archiv-Beiträge aus der Nachkriegszeit können Sie zudem bei Twitter lesen.

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