zum Hauptinhalt
Die Rechte binationaler Eltern wurden gestärkt. Gleichzeitig kann die Vaterschaft auch für die Erschleichung einer Aufenthaltsgenehmigung missbraucht werden.

© dpa

Aufenthaltsrecht: Der Betrug mit der Vaterschaft

Eine Ausländerin und ihr Kind dürfen hier leben, wenn ein Deutscher die Vaterschaft anerkennt. Mittellose Männer lassen sich dafür bezahlen. Diesen Schwindel konnten Behörden bisher anfechten. Jetzt nicht mehr - das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsgrundlage geändert.

Von Fatina Keilani

Seinen Job kann Axel Walzendorf jetzt erst mal vergessen, zumindest zum Teil. Seit zwei Jahren ist er im Rechtsamt von Marzahn-Hellersdorf für die Anfechtung von Scheinvaterschaften zuständig, er wurde sogar extra für diesen Zweck eingestellt. Doch jetzt hat das Bundesverfassungsgericht seiner Arbeit die Rechtsgrundlage entzogen.

Der Schwindel, den Walzendorf bisher bekämpfte, läuft wie folgt: Eine ausländische Frau mit Kind sucht sich einen Deutschen und bietet ihm Geld, damit er die Vaterschaft für ihr Kind anerkennt. Bei der Suche helfen ihr Profis.

Mittellose Männer, Obdachlose etwa, gehen darauf ein und lassen sich für den Dienst bezahlen. Unterhaltsansprüche müssen sie nicht fürchten, denn bei ihnen ist ohnehin nichts zu holen. Das bringt ihnen mehrere tausend Euro bar auf die Hand. Das Kind bekommt die deutsche Staatsbürgerschaft, die Ausländerin in der Folge einen gesicherten Aufenthaltsstatus. So schaffen zwei Benachteiligte eine Win-win-Situation. In einem Land, dessen Ausländerrecht vielen Menschen keine Chancen bietet, liegt hier ein attraktives Schlupfloch. Es wird genutzt – und die Mogelei bleibt folgenlos.

Änderung im BGB

An derartigen Missbrauch dachte der Gesetzgeber nicht, als er die Vaterschaftsanerkennung juristisch regelte. Er hatte das Wohl der Mütter und Kinder im Sinn, die Unterhaltszahlungen und die gemeinsame Übernahme von Verantwortung – und den Gedanken, dass jedes Kind einen Vater haben soll. Deshalb machte der Gesetzgeber die Vaterschaftsanerkennung besonders einfach. Dass jemand ein fremdes Kind als eigenes anerkennen könnte, ohne Kontakt zu wollen, wurde nicht in Betracht gezogen – schon mit Blick auf die Unterhaltsansprüche, die ein Vater erfüllen muss.

Nach längerem politischem Streit wurde 2008 das Bürgerliche Gesetzbuch geändert: Behörden wurde es ermöglicht, derartige Vaterschaften anzufechten. Die Verwaltung machte von dieser Möglichkeit auch Gebrauch. Doch 2010 hegte ein Hamburger Amtsgericht Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anfechtungsregelung und legte sie dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Und jetzt, Ende Januar 2014, gab das Gericht seine Entscheidung bekannt: Die gesetzliche Regelung ist verfassungswidrig. Denn das Kind, das zunächst Deutscher wurde, verliert nach der Anfechtung die Staatsbürgerschaft wieder – und das darf nicht sein.

Berliner Politiker äußern sich entsetzt über den Richterspruch. „Damit hat man erreicht, was man eigentlich verhindern wollte“, sagt der CDU-Innenpolitiker Peter Trapp. Auch der Neuköllner Stadtrat Falko Liecke (CDU) zeigt sich unzufrieden: „Wir müssen jetzt sehenden Auges den Betrug hinnehmen. Das ärgert mich massiv.“ Das Urteil werde sich herumsprechen – mit spürbaren Folgen.

„Wir werden unsere Anträge wohl zurücknehmen und neue Fälle nicht mehr verfolgen“, sagt auch Axel Walzendorf, der Verwaltungsjurist aus Marzahn-Hellersdorf. In seinem Bezirk gab es bisher die meisten Fälle, derzeit sind noch 43 offen. Die Zahl der Scheinvaterschaften könnte jetzt wieder steigen – weil klar ist, dass den Beteiligten nichts passiert.

Missbrauch bekämpfen schwer gemacht

„Lug und Trug sind jetzt Tür und Tor geöffnet“, sagt auch eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde. „Wir haben keine Möglichkeit mehr, gegen Missbrauch vorzugehen.“ Verdachtsfälle würden jetzt nicht mehr verfolgt. Es sei nun am Gesetzgeber, eine neue, verfassungsgemäße Regelung zu finden, die es erlaubt, Missbrauch zu bekämpfen.

Nur die Grünen sehen die Karlsruher Entscheidung positiv. „Das Gesetz war mit heißer Nadel gestrickt und hat die Auswirkungen auf die Kinder überhaupt nicht berücksichtigt“, sagt Marianne Burkert-Eulitz, familienpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus. Wie wolle man denn ein Kind, das jahrelang in Deutschland aufwuchs, die Kita besuchte, Freunde fand, plötzlich in die Fremde abschieben? „Gut, dass das Bundesverfassungsgericht das verhindert hat“, sagt Burkert-Eulitz.

Im März 2011 berichtete die Innenverwaltung von bis dahin aufgelaufenen 360 Verdachtsfällen in ganz Berlin. Die Ausländerbehörde hat von Januar 2011 bis Januar 2014 in 71 Fällen ihren Missbrauchsverdacht an die Bezirke gemeldet. Insgesamt ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Fälle also eher gesunken. Viele Bezirke haben die Verfahren erst mal bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ruhen lassen, zum Beispiel Neukölln. Die Akten, die bisher ruhten, werden jetzt ganz geschlossen – auch Neukölln verfolgt keine Fälle mehr. Von den 71 Vaterschaften wurde ohnehin nur eine erfolgreich angefochten.

Zur Startseite