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Er soll Berlins nächster Stadtentwicklungssenator werden: Andreas Geisel (rechts).

© dpa

Auf Abschiedstour mit Andreas Geisel: Lichtenberg ade, hallo Berlin

Noch ist Andreas Geisel Bürgermeister in Lichtenberg, bald wird er Stadtentwicklungssenator. Beim Abschied vom Bezirk muss es schnell gehen, denn das künftige Amt bringt schon Pflichten mit sich. Für einige Termine ist aber trotz allem Zeit. Und dabei ist einiges über den Neuen im Senat zu erfahren.

Was macht eigentlich einer, der zu Höherem berufen und nur noch wenige Tage im Amt ist – Akten in den Schredder und nichts wie weg? Lichtenbergs Noch-Bürgermeister Andreas Geisel hat die meisten Termine im Bezirk aus dem Kalender gestrichen. Anderswo muss der designierte Bausenator nun hin, mit anderen sprechen, mit den Fraktionen im Abgeordnetenhaus und mit den Staatssekretären von Berlins größter Senatsverwaltung. Der Blick des Bald-schon-Bausenators ist nach vorne gerichtet. Für die Vergangenheit bleibt keine Zeit, fast keine.

Einige wenige Termine im Bezirk aber hat Geisel nicht gestrichen. Wo aber trifft man den scheidenden Bezirksbürgermeister in der letzten Woche in seinem Amt? Dort, wo die historische Stadt sich verliert im maßstabslosen Format der Lichtenberger Platte: die Landsberger Allee hoch, bis an den Rand des Bezirks, am Fennpfuhl. Auf dem früheren Feuchtgebiet hatte die DDR in den 70er Jahren eine Großsiedlung gebaut, die heute eins der am dichtesten bewohnten Quartiere Berlins ist. Und ausgerechnet hier soll Geisel zufolge zu besichtigen sein, „dass Berlin auch Baukultur kann – und nicht nur Container stapeln“.

Die Einweihung der Nils-Holgersson-Schule lässt sich Geisel nicht entgehen

Am Eingang der neu gebauten Nils-Holgersson-Schule steht ein hellblonder Junge, der sein zu enges graues Sakko über den schwarzen Pulli gezogen hat und tapfer lächelt, während er dem Bürgermeister ein Sektglas voll Orangensaft reicht. Geisel verneigt sich etwas zu tief, nippt, lächelt und betritt beschwingt das Gebäude. Schulleiterin Steffi Hetzer wartet schon, ebenso Architekt Arthur Numrich, der den Schulneubau entworfen hat. Die Stadträtin für Bildung Kerstin Beurich und ihr für Wirtschaft zuständiger Kollege Andreas Prüfer haben sich unter die Erzieher und Eltern gemischt. „Schön, dass Sie gekommen sind“, wirft einer Geisel zu. „So was lass ich mir nicht entgehen“, antwortet der. Überall schwärmen Kinder herum, einige davon in Rollstühlen.

Schon trottet der Tross rüber in die Aula der Sonderschule, lange Gänge mit großen Fenstern entlang. Sie gehen auf Innenhöfe, die das Bauwerk umschließt, im Hintergrund kratzen gewaltige Plattenbauten am grauen Berliner Himmel. „18 Millionen Euro hat die Schule gekostet, und es wäre fast schiefgegangen“, sagt Geisel. Dem Projektsteuerer sei die Luft ausgegangen, der Bezirk habe einspringen müssen. Eine „besondere Genugtuung“ sei die Fertigstellung deshalb, denn das Beispiel zeige, dass die Öffentlichen nicht nur ewig BER können, sondern sehr wohl auch zu Ende bauen – und hier sogar besser als Private.

Geisel und sein Stellvertreter von der Linkspartei: Szenen einer Ehe

Aber sein Stellvertreter und Wirtschaftsstadtrat Andreas Prüfer von der Linkspartei korrigiert Geisel: Die Oberbauleitung für die Sonderschule habe immer beim Bezirk gelegen. Prüfer und Geisel, dieses Verhältnis ließe sich als Szenen einer Ehe beschreiben. Irgendwie geht es, zusammen, irgendwie aber auch nicht. Die Entmachtung der Linken in Lichtenberg hatte SPD-Mann Geisel als Maxime seines politischen Wirkens dargestellt, was ihm nach viel zu langen zwölf Jahren endlich gelungen sei. Dass aber Geisel lange im Bezirk mit der Linken verbandelt war, daran erinnert Prüfer nicht ohne Genugtuung.

Und eine „Legende“ nennt Prüfer lapidar Geisels Version des Verhältnisses zur Linken. Der SPD-Mann bewältige so seine Absetzung als Baustadtrat im Jahr 2001. Damals hatte die Linke bei der Wahl die absolute Mehrheit im Bezirk errungen und Geisel auf den Posten des Stadtrats für Umwelt und Gesundheit abgeschoben. „Das hat er uns vorgeworfen“, sagt Prüfer. Steckt also gekränkte Eitelkeit hinter Geisels Erzählung? Jedenfalls „wollte der immer was Großes werden“, antwortet Prüfer auf die Frage nach Geisels neuem Amt. Dass Geisel Bausenator kann, steht für den Linken fest: „Er kann Politik vermitteln“, und das sei nicht das Schlechteste für den neuen Job.

Die Rummelsburger Bucht - Entwicklungsgebiet, das sich rechnet

„Ich bin anders als du, du bist anders als ich – wir sind anders als ihr“, schmettern die Nils-Holgersson-Kinder. Geisel bewegt die Lippen dazu. Anfang der 90er Jahre war die „zwölfte Sonderschule“ für Lernbehinderte in einer alten Kita untergebracht, die Betreuer mussten die teils Gehbehinderten die Stockwerke hochtragen. Bis der Rotary-Club einen Aufzug spendierte. Das Geld dafür wollte die Verwaltung zunächst gar nicht annehmen – unüblich, geht nicht.

„Wenn Geisel nicht gewesen wäre, wäre die Zusammenarbeit nicht zustande gekommen“, sagt Volkmar Henning von dem Unternehmer-Club. Schulleiterin Steffi Hetzer erinnert an Brandanschläge auf die Schule damals. Geisel trieb die Pläne für den Neubau voran. Dort führt der Bezirk nun seine zwei Sonderschulen zusammen. „Mit der Eröffnung schließt sich ein Kreis“, sagt der Noch-Bürgermeister und es klingt Zufriedenheit heraus. Der Selbstvergewisserung mag das dienen, vor dem Neuen einiges von dem Alten, Fertiggebrachten noch mal zu sehen. Es ist aber auch Geisels kleine Roadshow, deren zweite Station zum südlichen Zipfel des Bezirks führt, zur Rummelsburger Bucht: „Das einzige städtebauliche Entwicklungsgebiet Berlins, das sich rechnet“, sagt Geisel wie ein Verkäufer – fügt dann aber augenzwinkernd hinzu: „Nicht, dass ich gewusst hätte, was ich damals tat.“ Anfang der 90er war er frisch im Amt als Baustadtrat, Berlin hatte sich gerade um Olympia 2000 beworben. Am Südufer der Bucht entstand das Dorf für die Athleten. Auf dem blutigen Boden der „Haftanstalt Rummelsburg“, was damals niemand wissen wollte.

20 Jahre später, am Freitagabend, hängen Lichterketten an den großen Fenstern der Neubauten. Am Uferweg schnauft ein Läufer, den Kinderwagen vor sich hertreibend. Das Quartier ist zu Ende gebaut und auch die Geschichte des Ortes aufgearbeitet. Historiker, eine Künstlerin, Zeitzeugen und der „Vater der Gedenkstätten“ Rainer Klemke treffen sich mit Geisel zur letzten Sitzung des „Runden Tischs Gedenken Rummelsburg“. Die Namen von 180 Häftlingen, die hier bestattet waren, haben sie in den Archiven gefunden und Gebeine von Toten umgebettet. Sie haben zwei Stelen aufgestellt, die an das Unrecht aus der langen Geschichte des Gefängnisses erinnern, über die Nazi-Jahre hinaus bis vor 1933, und führten eine „interreligiöse Veranstaltung“ durch. Es gab zu Beginn der Arbeit „Brüllphasen“ und am Ende eine abtrünnige, im Streit aus dem Projekt geschiedene Arbeitsgruppe.

Das alles bilanziert Geisel und auch, dass „der Bezirk überfordert“ war mit dem Projekt. Und wie er als Bittsteller zum Senat ging, der mit Berlins Gedenkstättenreferenten Klemke aushalf. Der lobt den Bezirk, in dem es „Freude macht zu arbeiten“, anders als in Schöneberg, „wo immer gesagt wird, was nicht geht“.

Am 12. Januar wird die Gedenkstätte offiziell eingeweiht. Geisel sagt: „Ich bedaure, dass ich nicht mehr als Bezirksbürgermeister dabei sein kann.“ Aber er korrigiert sich dann noch schnell: „Nein, das wäre unehrlich – aber ich werde da sein.“

Und was erwartet den zweiten Neuen im Senat? Lesen Sie hier mehr über die Aufgaben des künftigen Finanzsenators Matthias Kollatz-Ahnen.

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