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Unverantwortlich! Wer krank zur Arbeit kommt, gefährdet sich, die Kollegen - und manchmal auch die Nation.

© picture alliance / dpa

Arbeit und Infekte: Rant: Krank ist krank!

Wer sich erkältet ins Büro schleppt, schadet sich selbst, seinen Kollegen und nicht zuletzt den Vorgesetzten. Obwohl das eigentlich alle wissen, kommen viele doch angeschlagen zur Arbeit – oft aus Angst um ihre Stelle.

Von Hendrik Lehmann

In der Kantine, 14 Uhr an einem Mittwoch. „Na, wie geht’s?“, sagt der eine zum anderen. „Geht so, Kopf brummt seit Tagen“, sagt der andere und schnäuzt sich. Ein Dritter kommt hinzu, Händeschütteln, Schulterklopfen, weiter in die Essensschlange, Geplänkel und Geplauder.

Was auf den ersten Blick wie eine normale Mittagsszene der Herbstzeit klingt, ist auf den zweiten Blick himmelhochjauchzend dumm – und auf den dritten sogar Körperverletzung. Während wir längst über künstliche Intelligenz und Arbeit 4.0 reden, scheinen die simpelsten Erkenntnisse der Menschheitsgeschichte schlichtweg ignoriert zu werden. Wie sonst kann es sein, dass sich jedes Jahr weiterhin Millionen Arbeitnehmer erkältet ins Büro schleppen?

Trotz Krankheit zur Arbeit zu gehen, hat einen Namen: Präsentismus. Erst Anfang des Jahres veröffentlichte der Deutsche Gewerkschaftsbund eine neue Studie dazu, mehr als 4500 Arbeitnehmer wurden befragt. Demnach gaben 68 Prozent an, 2015 mindestens einmal krank zur Arbeit gegangen zu sein. Nach einzelnen Berufsgruppen aufgeschlüsselt hält das Ergebnis noch schockierendere Details bereit: Am häufigsten (60 Prozent der Arbeitnehmer) schleppten sich im vergangenen Jahr Angehörige des Gesundheitssektors krank zur Arbeit – also ausgerechnet diejenigen, die oft mit Menschen arbeiten, für die eine Grippe lebensbedrohlich sein kann. Kurz darauf folgen Lehrer und Verwaltung. Geht’s noch?

Jetzt mag man vermuten, dass es sich für Arbeitgeber trotzdem lohnt, wenn Arbeitnehmer krank zur Arbeit zu kommen. Im Gegenteil! So hat eine Studie der Unternehmensberatung Booz & Company im Auftrag der Burda-Stiftung bereits 2009 ergeben, dass der volkswirtschaftliche Schaden durch Arbeitnehmer, die krank zur Arbeit kommen, weitaus höher ist als der Schaden durch normale Krankheitstage. Die Gründe dafür sind einfach: zu ihnen zählen mangelnde Produktivität, häufigere Fehler und Unfälle, vor allem aber auch ein sehr hohes Risiko, kurz darauf noch länger auszufallen. Langfristig erhöht krankes Arbeiten zudem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Die Hände sind das Problem

Am schlimmsten aber: Man steckt natürlich seine Kolleginnen und Kollegen an. Dabei wäre gerade das recht einfach zu vermeiden. Franz Daschner war jahrzehntelang Professor für Hygiene und Umweltmedizin in Freiburg. Er sagt: „Der Mensch ist von Grund auf ein Schlamper. Die Leute lernen es einfach nicht.“ Wer Fieber hat, gehöre ins Bett und sonst nirgendwohin. Auch bei Durchfall sollte man zu Hause bleiben. Wer unter Halsweh, Schnupfen oder Heiserkeit leide, könne hingegen ohne Fieber durchaus zur Arbeit gehen. Allerdings nur, wenn er sich 20- bis 30-mal täglich für mindestens 30 Sekunden mit Seife die Hände wasche und unter keinen Umständen anderen die Hand gebe oder sie sonst anfasse. Der Glaube, Viren würden vor allem über die Luft übertragen, sei falsch. Skeptisch verzerrte Gesichter bei niesenden Kollegen sind also Quatsch. Die Hände sind das Problem. Sie grapschen auf Telefone, Tastaturen, Armlehnen und Türklinken, davor tausende Male täglich ins Gesicht. Gerade nach dem Niesen oder Naseputzen müssen jedes Mal die Hände gereinigt werden, am Waschbecken oder mit Desinfektionsmittel.

Statt der Hände die benutzten Geräte zu reinigen, ergebe dagegen wenig Sinn, sagt Franz Daschner: „Eine Computertastatur wäre ziemlich sicher kaputt, bevor sie wirklich in allen Ritzen desinfiziert wäre.“ Gerade in Großraumbüros bedeutet das, keine Arbeitsplätze mit anderen zu teilen, wenn man krank ist. Wenn das nicht geht: zu Hause bleiben.

Solche uralten, eigentlich sattsam bekannten Hygieneregeln müssen endlich akzeptiert werden. Nicht minder wichtig ist es, den sozialen Aspekt des Problems anzugehen. Laut DGB-Studie ist der wichtigste Grund für Präsentismus nämlich die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz. Aus Angst, seinen Job zu verlieren, macht man also schlechte Arbeit, schadet sich selbst, den Kollegen und dem Betrieb. Absurd. Jeder Chef, der das befürwortet, hat seinen Job verfehlt. Also bitte, liebe Arbeitgeber und -nehmer, hört auf damit! Nicht nur um der eigenen Gesundheit willen.

Dieser Text erschien zunächst gedruckt als Rant in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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