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Berlin: Anneliese Bangert (Geb. 1934)

Mit Tochter, wenig Geld und viel Kraft machte sie das Beste aus der Situation

Lüster, die am Plafond leuchten und ihr kristallenes Licht auf erhitzte Gesichter werfen. Gläsergeklirr und Parfümduft. Eine Kapelle, die den Foxtrott immer flotter vorantreibt. Paare, die sich hin und her, schreitend und drehend bewegen, vorbei an gepolsterten Nischen, an schwärmerischen Landschaftsbildern. Dieter, der Anneliese hält. Oder Anneliese, die Dieter hält. Denn heute ist „Ball Paradox“ im „Café Keese“, die Damen bitten die Herren zum Tanz, und kommen sich eine Dame und ein Herr näher, nicht nur für diesen Abend, sondern auch für den nächsten und den übernächsten und den Rest des Lebens, verkündet der Conférencier: „Schon wieder ist eine Keese-Ehe geschlossen worden.“

Für Anneliese, die ihren Namen nicht mochte und sich deshalb Anni rufen ließ, war es nicht die erste Ehe. Zu früh und um nicht weiter bei ihrer Stiefmutter zu hocken, hatte sie sich einem Handwerker zugewandt. Vom Regen in die Traufe. Solange der Vater noch am Leben gewesen war, ein warmer, freundlicher Polizeibeamter, hatte ihr die fremde Frau nichts ausgemacht, an die eigene Mutter, die früh gestorben war, konnte sie sich ja kaum erinnern. Doch nachdem auch der Vater eine Krankheit nicht überstanden hatte, wollte sie weg. Leider kümmerte sich der Gatte während Annis Schwangerschaft intensiv um eine andere. Also die Scheidung. Mit Tochter Martina, wenig Geld und viel Kraft machte sie das Beste aus der Situation, blieb erst eine Weile beim Kind und schaffte dann etwas, was man als Karriere bezeichnen kann. Sie absolvierte eine Handelsschule, war kaufmännische Angestellte in einem Malergroßhandel und wechselte in den öffentlichen Dienst, zum Bausenator, wo sie die Investitionspläne für öffentliche Bauvorhaben erstellte.

Mit Dieter wohnte sie neben einem Hotel, das Ende der Neunziger abgerissen wurde. Der Lärm, der Staub – und dann huschte eines Abends ein Schatten vorbei an ihren Füßen. Sie standen ganz schnell auf den Stühlen. Ratten, die sich aus der Hotelruine gerettet hatten, liefen durchs Wohnzimmer. Auch der Wasserabfluss funktionierte nicht mehr, wie er sollte, es bildeten sich Schimmelflecken. Sie mussten hier weg. Es fand sich eine Wohnung direkt am Fasanenplatz im sechsten Stock mit Blick über halb Berlin.

Das Leben war schön, behaglich. Sie mieteten ein Hausboot und fuhren über die Mecklenburgische Seenplatte. Sie kauften sich ein kleines Boot, packten jedes Wochenende eine Picknicktasche und glitten über die brandenburgischen Flüsse. Sie flogen nach Bali, Hongkong und Südafrika. Sie liehen sich in Florida ein weißes Cabriolet und entdeckten die Everglades, Mückenschwärme inklusive, über die Idee mit dem offenen Verdeck schüttelten sie lachend den Kopf.

In Berlin organisierte Anni einen Kulturkreis, der Museen und Galerien besuchte und vor allem Konzerte des Deutschen Symphonie-Orchesters. Mahler, sie liebte Gustav Mahler, las sich ein und hielt dann einen Vortrag vor ihrem Kulturkreis. Sie trieb Sport, Aerobic, im Studio wurde sie hin und wieder gefragt, ob sie noch berufstätig sei, sie antwortete: „Nein“, verriet jedoch ihr Alter nicht, 80 Jahre. Eines Tages begann sie zu husten. „Das wird die Klimaanlage im Fitnessstudio sein“, beruhigte sie Dieter, der sie dennoch zum Arzt scheuchte, eine Bronchitis, meinte der, nichts Schlimmes. Doch Anni hustete weiter. Bis ein anderer Arzt die Metastasen sah.

„Ich möchte gern unter einem Baum begraben werden“, sagte sie. Es ist eine schöne junge Fichte.

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