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Alltägliches Delikt. Taschendiebstähle wie auf diesem Symbolbild sind in Berlin keine Seltenheit.

© p-a/dpa/Frank Rumpenhorst

Alltägliche Kriminalität in Berlin: Schluss mit der Klaukultur!

Wer bestohlen wird, bekommt als Reaktion oft: Selber schuld, wat soll’s, dit is Berlin. Misstrauen und Gleichgültigkeit machen aber die Stadt kaputt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Nantke Garrelts

Es ist Montagabend, ich bin bester Laune. Nach dem Schwimmtraining im Kombibad Seestraße freue ich mich auf die wohlverdiente Dusche. Aber halt: Der Haken im Duschraum ist verwaist, dabei müsste hier doch eigentlich mein Handtuch hängen. Mein Duschgel und mein Shampoo stehen ebenfalls nicht mehr auf dem Regalbrett. Meine Mitschwimmerinnen weisen mich kopfschüttelnd darauf hin, dass man seine Sachen nicht einfach im Duschraum stehen lässt. Böses ahnend frage ich den Bademeister, ob er oder seine Kollegen die Duschen zwischenzeitlich geleert haben oder ob ein anderer Badegast meine Sachen abgegeben hat. Ein mitleidiges Lächeln zieht seine Mundwinkel nach oben.

Es ist mir wieder einmal passiert: Das blauäugige Kind vom Lande, gerade aus dem friedlichen Dänemark in die große Stadt gezogen, hat den guten Willen seiner Mitmenschen überschätzt. Als echte Berlinerin sollte man doch wissen: Alles, was nicht doppelt und dreifach angebunden, festgetackert und mit Schlössern an Betonpfeiler gekettet ist, wird hier geklaut. Ich frage bei den Bäderbetrieben nach, was ich im Fall des Shampoo-Diebstahls tun könne – und stoße auf völliges Unverständnis. Solche Fälle seien nicht bekannt, lautet die Antwort. Allerdings würde man Badegästen empfehlen, ihre Duschsachen mit ans Becken zu nehmen oder wegzuschließen.

Es gehört zum Berliner Pragmatismus, sich gar nicht mehr aufzuregen

Natürlich meldet sich niemand, dem Handtuch und Duschgel gestohlen wurden – zu peinlich ist es wohl den Bestohlenen, zu groß der Aufwand bei zu geringer Erfolgsaussicht. Das gilt in Berlin allerdings längst auch für schwerwiegendere Delikte wie Taschendiebstähle und geklaute Fahrräder. Als mir in den vergangenen vier Monaten zwei Mal das Fahrrad gestohlen wurde, bin ich ebenfalls nicht zur Polizei gegangen. Auch aus Angst vor einem Beamten, der genauso süffisant lächelt wie der Bademeister.

Es gehört zum Berliner Pragmatismus, sich gar nicht mehr aufzuregen, sondern sich stattdessen eine ordentliche Portion Vorsicht und „Wat soll’s“-Attitüde zuzulegen. Aber Misstrauen und Gleichgültigkeit vergiften auf Dauer das Zusammenleben. Ein apathisches Achselzucken ist nicht die richtige Reaktion auf einen Diebstahl – und wenn es nur um Duschgel geht. Eine Kultur des permanenten Klauens und Beklautwerdens macht jede Stadt kaputt: Am Ende schert sich niemand mehr darum, wie es dem Nachbarn geht, wem das Fahrrad gehört, das da gerade aufgebrochen wird, und ob die Mutter mit Kinderwagen ihre Einkäufe in den dritten Stock geschleppt bekommt. Ein Passant, der vor Kurzem in der Steglitzer Schloßstraße einen Fahrraddieb ansprach, der am helllichten Tag ein Schloss aufbohrte, gilt in Berlin schon fast als Superheld. Dabei sollte diese Art von Zivilcourage, des gegenseitigen Auf-sich-Aufpassens, doch selbstverständlich sein.

Soziale Kälte entsteht im Alltag

Ist sie aber nicht. Das Resultat: Das Vertrauen in Mitmenschen und Sicherheitsbehörden bewegt sich im selben Bereich wie die Temperatur im Berliner November, nämlich konstant gen null.

Dabei ist Berlin global gesehen gar nicht die schlimmste Stadt, was den Mangel an Ehrlichkeit anbelangt. Bei einem Test, in dem man Portemonnaies in 16 verschiedenen Städten auslegte und die Quote der abgegebenen Geldbörsen zählte, lag Berlin mit 50 Prozent Rückgabequote im Mittelfeld. Platz eins belegte Helsinki, dort wurden elf von zwölf Brieftaschen zurückgegeben. Vielleicht liegt das daran, dass es sich bei Finnland um ein Land mit fünf Millionen Einwohnern handelt, in dem eine kleine Gesellschaft unter harschen Bedingungen überleben muss. Also genauso wie in Berlin eigentlich.

Soziale Kälte entsteht im Alltag – und dort kann sie auch bekämpft werden. Wenn man nicht wegschaut, wenn man sich für die Menschen um einen herum interessiert. In Aarhus in Dänemark habe ich einmal aus Versehen 70 Euro in einem Geldautomaten stecken lassen. In Berlin, so mein trauriger Verdacht, hätte der nächste Bankkunde das Geld wohl einfach eingesteckt. In Aarhus aber rannte ein Jugendlicher hinter mir her. Als er mir die Geldscheine in die Hand drückte, durchfloss mich das warme Gefühl, dass ich mich auf meine Mitmenschen verlassen kann. Und dass ich für sie das Gleiche tun würde.

Dieser Text erschien als Rant im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.

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