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Bühne frei für Johann Tetzel. Während Jüterbog dem Dominikanermönch eine spannende Ausstellung widmet, inszeniert eine Theatertruppe im hessischen Bad Hersfeld Tetzels Ablasshandel. Hier stellt Schauspieler Claude Oliver Rudolph den Mönch dar.

© imago/Eibner

500. Reformationsjubiläum: Gnade für den bösen Buben Johann Tetzel

Der Mönch Johann Tetzel ist seit Jahrhunderten als gieriger Gegenspieler Martin Luthers verhasst. Dabei wird seine Rolle überschätzt, wie die Ausstellung "Tetzel-Ablass-Fegefeuer" in Jüterbog zeigt.

Er ist der Bad Boy der Reformation. Ein feister Mönch im Ordenshabit der Dominikaner, Schlauheit und Schamlosigkeit im Gesicht, die Stirnglatze von einer einzigen Locke bekringelt: So wird Johann Tetzel, der umtriebige Ablassprediger und Verkäufer, seit Jahrhunderten abgebildet.

Tetzels Auftritt in Jüterbog brachte Luther endgültig auf die Palme

Doch ausgerechnet zum Reformationsjubiläum macht sich Jüterbog im Fläming für den prominenten Gegenspieler Martin Luthers stark. Eigentlich müssten ja gerade die Jüterboger die Geschichte vom geldgierigen Ablasskrämer weiter pflegen. Denn im Sommer 1517 brachte Tetzel in ihrem Städtchen seine Freibriefe fürs Paradies mit besonders viel Einsatz und Profit unters Volk – und gab damit den letzten Anstoß zur Reformation. Luther fühlte sich im nahen Wittenberg provoziert, es brachte ihn derart auf die Palme, dass er seine 95 Thesen veröffentlichte.

Die mächtigen Zwillingstürme von St. Nikolai in Jüterbog. In der Kirche wetterten einst frühe lutherische Prediger wie Thomas Müntzer oder Franz Günther gegen den katholischen Klerus.
Die mächtigen Zwillingstürme von St. Nikolai in Jüterbog. In der Kirche wetterten einst frühe lutherische Prediger wie Thomas Müntzer oder Franz Günther gegen den katholischen Klerus.

© Thilo Rückeis

„Doch das Bild vom Superbösewicht ist eher eine Legende, um die Figur Luthers im Gegensatz heroisch zu überhöhen“, sagt der Leiter des Jüterboger Kulturquartiers Mönchenkloster, Jens Katerwe. Gemeinsam mit Theologen, Historikern und dem Pastor der evangelischen St. Nikolaikirche im historischen Zentrum der Stadt, Bernhard Gutsche, hat er eine der spannendsten Ausstellungen in Brandenburg zum 500. Reformationsjubiläum zusammengestellt. Titel: „Tetzel – Ablass – Fegefeuer“.

Manche Städte wechselten rasch zur protestantischen Fahne

Es ist der bundesweit bislang einmalige Versuch, „die reale historische Gestalt Tetzels“ herauszuarbeiten. Zugleich wird die mittelalterliche Welt der vorreformatorischen Zeit mit ihrer Buntheit und Lebenslust, aber auch dem extremen Aberglauben und Mystizismus dargestellt. Und es werden Fragen beantwortet: Wie kam es in diesem Gemenge zur Glaubensrevolution? Wie ging’s weiter? Denn am Beispiel Jüterbogs lässt sich auch spannend erzählen, wie rasch manche märkischen Dörfer und Städte im Ringen um den rechten Glauben zur protestantischen Fahne wechselten.

Thomas Müntzer wetterte in Jüterbog gegen die kirchliche Prunksucht

So bekannten sich die Jüterboger Bürger schon 1518/19 zur Reformation. Der Rat der Stadt stellte lutherische Prediger an, sie hatten in der Hauptstadt des Fläming ihre erste Bewährungsprobe. Thomas Müntzer wetterte in Jüterbog von der Kanzel wider die kirchliche Prunksucht und für die Abschaffung der Leibeigenschaft, bevor er später den Bauernaufstand in Thüringen religiös anführte. Und der junge Theologe Franz Günther verkündete 1519 in St. Nikolai, der Papst sei keinesfalls Stellvertreter Gottes auf Erden.

Spione der Franziskaner-Mönche schrieben alle "Irrlehren" eifrig mit

Das brachte die Mönche im Kloster des katholischen Franziskanerordens zu Jüterbog in Harnisch. Es liegt ja nur ein paar Minuten zu Fuß von St. Nikolai entfernt. Sie entsandten Spione zu den „verwerflichen“ Gottesdiensten, die alle „Irrlehren“ eifrig mitschreiben sollten. Sie protestierten und predigten dagegen – der „Jüterboger Kanzelstreit“ begann.

In beiden, einst rivalisierenden Bastionen dieser Auseinandersetzung wird heute die Tetzel-Ausstellung gezeigt. Im früheren Sitz der Franziskaner, dem heutigen Kulturquartier Mönchenkloster, lernt man die verführerische Argumentation des Ablasshandels kennen. Wer nicht nach seinem Tod im Fegefeuer landen wollte, brauchte nur ein paar Dukaten für begangene Sünden zu zahlen. Ein Meineid kostete neun Dukaten, Mord war etwas günstiger zu haben. Sollte man denjenigen noch gar nicht umgebracht haben, so konnten die acht Dukaten auch als Vorauszahlung geleistet werden.

Kaufleute mussten für den Ablass mehr zahlen als Bauern

Und die Gebühren waren gestaffelt, Kaufleute zahlten mehr als Handwerker oder Bauern in diesem Kaufhaus für saubere Seelen. Die Hälfte des Geldes erhielt der Papst für den Neubau des Petersdoms, die andere Hälfte kassierte der hoch verschuldete Erzbischof Albrecht II. Das alles wird im Kulturquartier nun wieder lebendig. Original Ablassbriefe sind zu sehen, gruselige Illustrationen des Fegefeuers.

Dunkle Geschichte. Jüterbog bewahrt einen seiner Ablassbriefe auf.
Dunkle Geschichte. Jüterbog bewahrt einen seiner Ablassbriefe auf.

© picture alliance / dpa, Bernd Settnik

Und in St. Nikolai? Unter den mächtigen, mit einem Brückchen verbundenen Zwillingstürmen dieser größten gotischen Kirche des Flämings geht es Schritt um Schritt tief hinein in die mittelalterliche Frömmigkeit am Vorabend der Reformation, aber auch zu typisch lutherischen Zeugnissen. Das ist in St. Nikolai gut möglich. Denn im Gegensatz zum Schicksal etlicher anderen Kirchen der Mark Brandenburg haben reformatorische Eiferer dort im 16. Jahrhundert nicht gleich das üppige katholische Inventar hinausgeschleppt. Künstlerische Schätze beider Glaubensrichtungen sind hier ebenbürtig nebeneinander erhalten, vor allem zahlreiche Altäre und Skulpturen. Und in der Sakristei steht der drei Meter lange, aus einem Eichenstamm gefertigte „Tetzelkasten“. Allerdings: „Das ist eine Legende“, sagt Pastor Gutsche. Tatsächlich sei der Kasten „eine Art Safe“ der damaligen Gemeinde gewesen. Als Tetzelkasten werde die Truhe präsentiert, um die Raffgier des Klerus zu versinnbildlichen.

Ablasskrämer unterwegs. So wurde der Ansturm auf den Freibrief zum Paradies meist dargestellt. Hier ein Holzstich von etwa 1860.
Ablasskrämer unterwegs. So wurde der Ansturm auf den Freibrief zum Paradies meist dargestellt. Hier ein Holzstich von etwa 1860.

© imago stock&people

In Jüterbog wurde diese „Kult um die sagenhafte Figur Tetzels“ erstmals auf einer Tagung von Historikern und Theologen im April 2016 thematisiert. Deren Ergebnisse flossen in die jetzt eröffnete Ausstellung ein. Erst um 1540, als es darum ging, die Autorität Luthers zu festigen, habe man einen plakativen Gegenspieler gebraucht und die „Negativgestalt Tetzels in gewisser Hinsicht neu erfunden“, schreibt der Berliner Theologie Hartmut Kühne im Begleitband zur Schau. Tatsächlich habe der schon 1519 verstorbene Dominikanermönch in den frühen Kämpfen und Flugschriften der Reformation gar keine Rolle mehr gespielt, er sei erst mal eine ganze Weile in Vergessenheit geraten. Heute steht Tetzel in neuem Licht dar. War er nicht eher eine Marionette höherer Strippenzieher, die vom klerikalen Finanzgeschäft viel mehr profitierten als er selbst?

Beim Spaziergang durch Jüterbog spürt man den Hauch des Mittelalters

Wer heute durch Jüterbog spaziert, kommt jedenfalls an Tetzel nicht vorbei. Nah beieinander, wie in einem Bilderbuch, spürt man noch den Hauch des Mittelalters. Und am Dammtor, dem imposantesten der drei Jüterboger Stadttore, kann man dem Bild des feisten Dominikanermönches zumindest kulinarisch eine gute Seite abgewinnen. Dort lädt das Lokal „Tetzelstuben“ zum romantischen Dinner ein, direkt an der Stadtbefestigung.

Die Ausstellung im Mönchenkloster und in der Nikolaikirche ist bis zum 26. November täglich 10 - 18 Uhr (Do. + So. bis 19 Uhr) geöffnet.

Begleitband „Johann Tetzel und der Ablass“, Lukas-Verlag, 432Seiten, 204 Abbildungen, 29,80 €, Mehr Infos: www.jueterbog.eu.

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