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Heinrich Anton Dähling fertigte die Zeichnung des Luther-Talars an – eines von über 150 Kostümen für das Stück.

© Abbildung aus: „Das Berliner Theaterkostüm der Ära Iffland“ (Hg. K. Gerlach). Akademie-Verlag 2009

500 Jahre Reformation: Luther Christ Superstar

1806 wurde das Leben des Reformators in Berlin auf die Bühne gebracht – das entfesselte einen handfesten Skandal beim Militär.

"Was willst du, Weib?“ Eine wenig zuvorkommende Art, die Bekanntschaft einer Frau zu machen, geradezu schroff und abweisend statt gewinnend. Kaum vorstellbar, dass daraus ein Zweiklang der Herzen, ein Bund fürs Leben gar entstehen könnte – es sei denn, man heißt Martin Luther. Gerade noch hat Katharina von Bora das Volk zu Wittenberg gegen den Reformator aufzuwiegeln versucht, empört über dessen frevelhaftes Vorhaben, die päpstliche Bannbulle öffentlich zu verbrennen – da fährt sie, von seinem Anblick überwältigt, entsetzt auf, schlägt die Hände vors Gesicht, kann nur noch „Mein Urbild!“ stammeln und eilt von dannen. Luther aber tritt zum Scheiterhaufen und lässt sich die Schriftrollen reichen: „Wohlan! In Gottes Namen dann!  / Die Flamme brennt, sie darf uns nicht erkalten! / Der Lügengeist werd’ abgethan! / Gewappnet mag er, und geschmückt sich nah’n, / Des Herren Wort, das muss er lassen stahn, / Die Wahrheit und das Licht muss Platz behalten!“ Die Bannbulle fliegt ins Feuer. Vorhang, Ende erster Akt.

Schon diese wenigen Verse aus dem Drama „Martin Luther oder Die Weihe der Kraft“ von Zacharias Werner deuten an, dass es seinen Untertitel zu Recht trägt. Der Dichter hat die Worte des Reformators und seiner Mitspieler mit einer Überdosis Pathos versehen, um ihn als deutschen Kraftmenschen zu präsentieren. Luther geht es, bei all der ebenfalls ausführlich geschilderten Liebe zu Katharina, vor allem um „Kraft! Freiheit! Friede!“, ist er doch ein Nationalheld, der, so einer seiner Fans, „Euch lehret Deutsche seyn!“.

Auch in Fontanes "Schach von Wuthenow" ist das Luther-Stück erwähnt

Das wurde schon vom zeitgenössischen Publikum teilweise kritisch gesehen, und doch wurde Zacharias Werners Luther-Drama die Sensation der Berliner Theatersaison 1806: ein überreich ausgestattetes Kostümfest der nationalen wie religiösen Erbauung – zugleich aber Anlass zu einem handfesten Theaterskandal, der noch ein Dreivierteljahrhundert später, in Theodor Fontanes Erzählung „Schach von Wuthenow“, breiten Niederschlag fand.

Von dem Luther-Stück hatte sich August Wilhelm Iffland, Dramatiker, Schauspieler und von 1796 bis zu seinem Tod 1814 Direktor des Nationaltheaters auf dem Gendarmenmarkt, besonders viel versprochen: volle Zuschauerränge, eine weitere Aufwertung seines Theaters als nationale Institution, für sich selbst eine große Rolle als Reformator und in Anerkennung seiner Leistungen einen Orden. Es ging nicht alles in Erfüllung.

Über 150 Darsteller und Komparsen brauchten Kostüme

Zacharias Werner, eher Freimaurer als Protestant und nach Schillers überraschendem Tod in Ifflands Augen der neue Stern am Autorenhimmel, war im Herbst 1805 nach Berlin gekommen, wo das Stück bis Ende März 1806 entstand. Es hielt sich nicht immer an das historisch Verbürgte, Werner setzte auf künstlerische Freiheit. Das fürstliche Honorar betrug 500 Taler, Schiller hatten „Die Räuber“ nur 331 Taler eingebracht. Und auch sonst scheute Iffland bei der Inszenierung keine Kosten. Auf fünf Akte verteilte sich die Handlung, von der Verbrennung der Bannbulle über den Reichstag zu Worms, dem in gleich zwei Akten gefeierten Höhepunkt des Dramas, bis zu Luthers Hochzeit mit Katharina von Bora. Kostüme für über 150 Darsteller und Komparsen mussten geschneidert werden, darunter Prachtgewänder für Kaiser Karl V., Kurfürsten und einen Kardinal, während Luther abwechselnd in schwarzem Talar, inspiriert von einem Bild Lucas Cranachs d. J., und einem ritterlichen Jagdkleid als Junker Jörg auftrat. Sogar acht Pferde spielten mit, und gesungen wurde auch, „Ein feste Burg ist unser Gott“ und Ähnliches.

Bei vollem Haus und in Anwesenheit des Hofes erlebte das Luther-Drama am 11. Juni 1806 im Nationaltheater, dem Vorgängerbau des Schinkel’schen Schauspielhauses, seine Premiere, Auftakt zu einer Serie von 15 Aufführungen. „Nie machte hier ein Stück durch alle Klassen der Zuschauer ein so vollständiges Glück“, schrieb unmittelbar danach die Schriftstellerin Friederike Helene Unger an den Philologen August Wilhelm Schlegel. Von dem durch Offiziere des Regiments Gensdarmes losgetretenen Theaterskandal, der in der Absetzung des Stückes mündete, war noch nichts zu ahnen.

Im Nationaltheater auf dem Gendarmenmarkt (Aquarell von F. A. Calau, ca. 1815) wurde Zacharias Werners Luther-Stück uraufgeführt.
Im Nationaltheater auf dem Gendarmenmarkt (Aquarell von F. A. Calau, ca. 1815) wurde Zacharias Werners Luther-Stück uraufgeführt.

© Wikipedia

Obwohl, erste Anzeichen hatte es gegeben: Schon einen Monat vor der Premiere hatte sich ein Streit darüber entzündet, ob wohl der Stifter der preußischen Staatsreligion ein geeigneter Theaterstoff sei. Iffland hatte bei ihm wohlgesonnenen Zeitungen vorsorglich lobende Artikel initiiert, Werbebroschüren drucken lassen und bei der Polizei die Vervierfachung der Theaterwache durchgesetzt, was lautstarke Proteste dennoch nicht ganz verhindern konnte. Auch in der Presse gab es nicht nur positive Rezensionen. Iffland ging dagegen vor, wodurch er sogar erreichte, dass der Kritiker der Spenerschen Zeitung einen strengen Verweis des Königs einstecken musste.

Damit war er zu weit gegangen, die Stimmung kippte und das Stück geriet mehr und mehr in den Sog des Konflikts zwischen den der Aufklärung zugeneigten Teilen der Gesellschaft und der Gegenbewegung der Romantiker, auch nahm man Anstoß an der überzogenen Heroisierung Luthers. Der Streit teilte die Gesellschaft: „Alles, was mystisch-romantisch war, war für, alles, was freisinnig war, gegen das Stück“ – so umschrieb es Fontane in seiner Erzählung „Schach von Wuthenow“. Auch sein Titelheld sieht sich das Stück an und ist wenig begeistert: „Jede Zeile widerstreitet dem Geist und Jahrhundert der Reformation; alles ist Jesuitismus oder Mystizismus und treibt ein unerlaubtes und beinah kindisches Spiel mit Wahrheit und Geschichte.“ An dem Kasinostreich, den sich seine Kameraden ausdenken, beteiligt sich der Rittmeister allerdings nicht.

Prostitution statt Protestantismus

Vermutlich kannte Fontane den Bericht des auch in seiner Erzählung an der Maskerade beteiligten Karl von Nostiz. Das Regiment Gensdarmes verstand sich als Eliteeinheit, jederzeit berechtigt, auch in der Zivilgesellschaft den Ton anzugeben. Bei geselligen, gewiss auch alhoholbeschwingten Treffen kam man zu dem Beschluss, dass es dringend an der Zeit sei, an „die mancherlei öffentlichen Aufzüge und Mummereien“ anzuknüpfen, „darin sich die Gendarmenoffiziere in den Straßen Berlins gezeigt hatten“.

Die Grundidee ihrer recht derben Parodie entzündete sich an der im Stück gezeigten Auflösung des Wittenberger Nonnenklosters durch den sächsischen Kanzler: „Gehet hin in die Welt und wirket.“ In der Fantasie der Offiziere mündet der Weg der frommen Frauen direkt in Berlin, dort finden sie „in Madame Etschern (einer bekannten Kupplerin) die Vorsteherin, unter der sie zu wirken anfangen“. Kurz: Prostitution statt Protestantismus.

Zacharias Werner, der Autor des Luther-Stücks von 1806
Zacharias Werner, der Autor des Luther-Stücks von 1806

© Wikipedia

Inszeniert wurde der Kasinospaß an einem Sommerabend 1806, ausgerechnet als kostümierte Schlittentour, das Gefährt mit Rädern versehen. Darauf saßen Luther mit seinem Famulus, der – überdeutlicher Hinweis auf das neue Gewerbe der Frauen – die riesige Flöte seines Herren in der Hand hält, daneben Madame Etschern, die nach Berlin gereisten Ex-Nonnen und selbstverständlich Katharina von Bora, dargestellt durch Karl von Nostiz. Kostümierte Reiter komplettierten den Mummenschanz.

Schlittenfahrt Unter den Linden - mitten im Sommer

Am festgesetzten Abend brach der Aufzug, eine Art Vorläufer der Loveparade, aus einer Seitenstraße hervor und bog in den Boulevard Unter den Linden ein, wurde dort mit großem Hallo begrüßt. Immer mehr Sensationslustige kamen, während Nostiz und seine Gesellen eine Stunde lang durch die Straßen zogen, bald verfolgt von Husaren und Polizeidienern, die aber wenig ausrichten konnten.

Die Herren Offiziere hatten einen Riesenspaß und glaubten, die Angelegenheit sei für sie mit dem Ablegen der Kostüme erledigt. Doch auf königlichen Befehl hin wurde die Angelegenheit streng untersucht. Den ältesten Teilnehmer versetzte man nach Schlesien, drei weitere Offiziere wurden arretiert, die anderen begnadigt. Das Stück wurde abgesetzt, kam erst vier Jahre später wieder auf die Bühne.

Und Zacharias Werner? Konvertierte 1811 zum Katholizismus und wurde drei Jahre später zum Priester geweiht. Zuvor hatte er noch rasch in einem Gedicht seine Luther-Heroisierung widerrufen: „Die Weihe der Unkraft“.

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