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Als Brandenburg protestantisch wurde. Am 1. November 1537 empfing Kurfürst Joachim II. in der Spandauer Nikolaikirche das Abendmahl „in beiderlei Gestalt“. Das von dem Historienmaler Carl Röhling 1913 geschaffene Gemälde hängt in dem Spandauer Kirchengebäude.

© Evangelische Kirchengemeinde St. Nikolai, Berlin-Spandau

500 Jahre Reformation: Hostie und Wein

Von Reformation zu Reformation: Zwei historische Werke schildern Berlins Kirchengeschichte.

Vor der Marienkirche in Mitte steht ein etwas verwitterter Martin Luther, mit entschiedenem Blick, die Bibel in der Hand. Er ist übrig geblieben von einer monumentalen Denkmalsanlage, die sich früher hier befand. Besser als vor der Marienkirche würde Luther aber vor dem Berliner Schloss stehen. Denn das Herrscherhaus der Hohenzollern war gleich mehrfach in die Reformation verwoben.

Es war ein Spross der Hohenzollern, Erzbischof und Kardinal Albrecht von Brandenburg, der den Ablasshandel besonders vehement vorantrieb und zu Luthers Hauptgegner wurde. Albrecht hatte viele kirchliche Ämter auf sich vereint, wofür weniger geistige Qualitäten ausschlaggebend waren als finanzielle Mittel. Mit dem Geld aus dem Ablass wollte er Schulden begleichen und setzte den ehrgeizigen Ablassprediger Johann Tetzel ein. Ein anderer wäre vielleicht gar nicht bis in die hintersten Winkel des Reichs vorgedrungen, Luther hätte das Ablasswesen nicht direkt erlebt und seine Thesen 1517 weniger schlagkräftig formuliert.

Unter Joachim II. wurde Brandenburg protestantisch

Es kam anders. In den zwanziger und dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts fanden seine revolutionären Gedanken auch in Berlin-Cölln Anhänger – später als in anderen Regionen und Städten der Mark, wie der Berliner Kirchenhistoriker Andreas Stegmann in der Spezialausgabe der Zeitschrift „Berliner Geschichte“ zur Reformation in Berlin schreibt. Erst 1539 tat Kurfürst Joachim II. den entscheidenden Schritt: Am 1. November, am Allerheiligentag, ließ er sich in der Spandauer Nikolaikirche das Abendmahl „in beiderlei Gestalt“ reichen, also nicht wie die Katholiken nur in Form einer Hostie, sondern lutherisch als Hostie und Wein. Am Tag darauf folgte der Berliner Magistrat seinem Beispiel. Damit stand fest, dass Berlin und die Mark evangelisch sind.

Zwei Generationen später wechselte Kurfürst Johann Sigismund erneut den Glauben – was ebenso folgenreich war wie die erste Berliner Reformation: Er trat 1613 zum „reformierten“ Bekenntnis über, das der Genfer Theologe Johannes Calvin geprägt hatte und das sich zum Beispiel im theologischen Verständnis des Abendmahls von Luthers Lehre unterschied. Heute sind die Unterschiede zwischen reformiertem und lutherischem Glauben nur noch für Eingeweihte von Bedeutung, damals rissen sie tiefe Gräben auf. Die Mehrheit der Berliner verweigerte sich dem reformierten Bekenntnis des Kurfürsten, sodass Herrscherhaus, Adel und Stadtgesellschaft pragmatische Lösungen finden mussten, um im Alltag beide Varianten nebeneinander leben zu können. Das Einüben einer solchen pragmatischen Haltung mag später zur viel gerühmten Toleranz in Preußen beigetragen haben. Doch Kurfürst Johann Sigismund „tolerierte das Luthertum notgedrungen und nicht aufgrund einer toleranten Haltung“, schreibt der Leipziger Kirchenhistoriker Klaus Fitschen in seiner „Berliner Kirchengeschichte“. Die Spannungen zwischen beiden Konfessionen blieben lange bestehen und entluden sich immer mal wieder auch gewaltsam. Erst 1817 fanden Lutheraner und Reformierte auf Druck des Herrscherhauses zur Union zusammen.

Über die Jahrhunderte fächerte sich der Protestantismus immer weiter auf

Klaus Fitschen beschreibt anschaulich, wie sich der Protestantismus in den folgenden Jahrhunderten weiter auffächerte. Allerdings wären mehr Informationen über die theologischen Unterschiede der einzelnen Strömungen hilfreich. Immer wieder formierten sich konservative Frömmigkeitsbewegungen und traten wie die Pietisten für mehr Innerlichkeit und biblischen Fundamentalismus ein. Und immer wieder bildeten sich liberal-säkulare Gegenkräfte aus, die schließlich im 19. Jahrhundert in den „Kulturprotestantismus“ mündeten. Ähnliche Bewegungen und Gegenbewegungen, verstärkt ab dem 18. Jahrhundert durch die Aufklärung, vollzogen sich auch in der katholischen Minderheit und im Judentum.

Vielen Lesern dürfte neu sein, dass die Protestanten auch schon vor 100 Jahren in Scharen aus der Kirche austraten – 1919 waren es über 41 000 und in den Jahren darauf „fast immer über 30 000“. Die Angst vor den leeren Bänken und die Sorge vor gesellschaftlicher Marginalisierung machten die Kirchen empfänglich für autoritäre Einflüsterungen und führten in den 1930er Jahren dazu, dass sich viele evangelische Christen bereitwillig den Nationalsozialisten andienten. Der Gang durch die Geschichte zeigt, dass die Berliner am besten mit der religiösen und weltanschaulichen Pluralität lebten, wenn sie auf Kompromisse und pragmatische Lösungen setzten. Dass der Islam dazugekommen ist und es mehr Menschen gibt, die mit Religion nichts anfangen können, sollte hier niemanden aus der Ruhe bringen. Auch die Kirchen nicht. Ihnen hat die Säkularisierung gutgetan. Sie haben viel Ballast abgeworfen, müssen keine Waffen mehr segnen und sich nicht für weltliche Zwecke instrumentalisieren lassen. Noch nie waren sie so frei wie heute, sich auf das Wesentliche des Glaubens zu konzentrieren.

Klaus Fitschen: Berliner Kirchengeschichte. Elsengold Verlag. 160 Seiten, 100 Abbild., 29,95 Euro; Berliner Geschichte. Zeitschrift für Geschichte und Kultur, Nr. 8: Die Reformation in Berlin. 4,95 Euro

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