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Freiheit, die ich höre. Dieses Radio aus DDR-Produktion hat es sogar ins „Wende Museum“ ins kalifornische Culver City geschafft.

© imago/ZUMA Press

30 Jahre Radio Glasnost: Nachrichten aus dem Untergrund

Vor 30 Jahren ging „Radio Glasnost“ als Stimme der DDR-Opposition erstmals regulär auf Sendung – zum Ärger der Stasi.

Den stärksten Störsender mit einer Leistung von 1000 Watt hatte man auf dem Fernsehturm am Alexanderplatz postiert. Die regulären Techniker der betroffenen Schicht waren von ihrem Vorgesetzten „von der Maßnahme in Kenntnis gesetzt und zum Stillschweigen verpflichtet worden“, wie das Ministerium für Staatssicherheit, Hauptabteilung XIX, in seiner „Information über die Einleitung von Störmaßnahmen gegen die Hetzsendung ,Radio Glasnost’“ schrieb.

Zusätzlich waren vor allem im Bezirk Mitte, aber auch in Prenzlauer Berg, Johannisthal, Potsdam, Babelsberg und Basdorf 17 kleine Störsender installiert worden, um der seit dem 21. August 1987 regelmäßig über weite Teile der DDR hereinschwappenden Flut unerwünschter, da oppositioneller Informationen endlich Herr zu werden. Name dieser zweiten derartigen Aktion: „David 2“.

David gegen Goliath?

Wie mag der Name entstanden sein? Sah sich die Stasi als David, der dem Goliath „Glasnost“ die Stirn bieten, ihn gar zu Fall bringen wollte? Obwohl doch eher die hinter dem attackierten Radioprogramm stehende Redaktion ein David war, sogar ein erfolgreicher, der an den Ereignissen des 9. November 1989 gewiss seinen Anteil hatte.

„Radio Glasnost – außer Kontrolle“

„Radio Glasnost“, dessen erste reguläre Sendung an diesem Donnerstag vor 30 Jahren, zwischen 21 und 22 Uhr, ausgestrahlt wurde, war kein Piratensender wie der nur kurz existierende „Schwarze Kanal“, mit dem West-Berliner Autonome 1986 vom Dachboden eines mauernahen Hauses in Kreuzberg Ost-Berliner Oppositionellen eine Stimme gaben.

„Radio Glasnost – außer Kontrolle“ hieß eine Sendereihe des linksalternativen Privatsenders Radio 100, der ab 1. März 1987 abends zwischen 19 und 23 Uhr auf der Frequenz 100,6 sendete, später dann mit um zwei Stunden erweitertem Programm zu 103,4 wechselte. Die Redaktionsräume lagen in der Potsdamer Straße in Schöneberg, gesendet wurde vom Kreuzberger Postscheckamt am Landwehrkanal.

Radio Glasnost war die Stimme der Opposition

Bereits am 22. Juli hatte es eine kurze Pilotsendung gegeben. „Das Manuskript kommt von jenseits der Mauer“, hatte Moderatorin Ilona Marenbach den Hörern mitgeteilt und damit zugleich das Prinzip der ganzen Sendung umschrieben, die vom 31. August an jeden letzten Montag im Monat lief, insgesamt 27 Mal, bis sie mit der Maueröffnung ihre Funktion verlor und eingestellt wurde.

„Radio Glasnost“ – das war die Stimme der Opposition, das waren Beiträge „aus und über die DDR“, Berichte oder Ankündigungen über Veranstaltungen, gemischt mit Musik aus dem Untergrund, auf Papier oder Kassette aus der DDR geschmuggelt und in der kleinen Glasnost-Redaktion um den Radio-100-Redakteur Dieter Rulff und den ausgebürgerten DDR-Oppositionellen Roland Jahn, heute Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, sendefähig gemacht.

Im Blick der Stasi. Roland Jahn, später bei „Radio Glasnost“, heimlich fotografiert im April 1982.
Im Blick der Stasi. Roland Jahn, später bei „Radio Glasnost“, heimlich fotografiert im April 1982.

© Imago

In der ersten regulären Sendung wurde etwa laut Stasi-Bericht über den „Kirchentag von unten“ in der Friedrichshainer Pfingstkirche berichtet und der ausgebürgerte Schriftsteller Jürgen Fuchs „über seine ,Erfahrungen im Westen’ und ,zur politischen Situation in der DDR’“ interviewt.

Die zweite gestörte Sendung

Themen in der zweiten gestörten Sendung vom 25. April 1988 waren die Tagung der Synode Berlin-Brandenburg oder die Frage der Wehrdienstverweigerung in der NVA. Auch wurde schon mal eine Probe aus einem See nahe Ost-Berlins, der als von Umweltgiften verseucht galt, nach West-Berlin geschmuggelt und analysiert. Die Probe erwies sich als unbedenklich, ein Stasi-Spitzel in der Redaktion hatte sie ausgetauscht.

Stasi-Chef Mielke ordnete Bekämpfung des Radios an

Stasi-Chef Erich Mielke persönlich hatte Ende September 1987 die Leiter aller Diensteinheiten seines Ministeriums über die neue Gefahr aus dem Äther informiert und die „operative Aufklärung, Bearbeitung und Bekämpfung des Objektes ,Radio 100’“ angeordnet.

Auch auf dessen Informanten in der DDR sollten sich entsprechende Aktivitäten richten, zudem sollte die Wirkung der Sendungen, speziell auf Jugendliche, eingeschätzt werden. Als „Einstrahltiefe“ ging Mielke von 120 Kilometern aus, das reichte im Osten bis nach Polen hinein, im Westen bis nach Magdeburg, im Norden bis Neubrandenburg und im Süden bis knapp vor Leipzig.

Wie ernst man die neue Informationsflut nahm, deutet sich schon in einem Schwindel beim Typoskript des Mitschnitts der Sendung vom 25. April 1988 an. Moderatorin Ilona Marenbach hatte der DDR Schulden in Höhe von „Milliarden“ attestiert, in der Stasi-Niederschrift wurden daraus „Millionen“.

Die erfolgreichen Störungen von Teilen der Sendung hatte die Redaktion mitbekommen, die Moderatorin hatte sie direkt angesprochen: „Wenn wir jetzt beim Fernsehen wären, könnten wie eine Schrifttafel einschieben, auf der würde stehen: Achtung, Sendestörung im Bereich Berlin-Ost.“ Auch gab sie die Empfehlung, den Empfänger auf Mono zu stellen, um die Störung abzuschwächen.

Aktion "David" wurde nicht weiterverfolgt

Trotzdem war die Sendung in vielen Bereichen Ost-Berlins in wichtigen Passagen nur schwer oder gar nicht zu verstehen, während sie im Westteil der Stadt – die Stasi-Techniker hatten darauf geachtet – weitgehend unbehelligt blieb. Gleichwohl wurde Aktion „David“ nicht weiterverfolgt. Erich Mielke und seine Schargen hatten erkannt, dass sie „Radio Glasnost“ durch ihre technischen Gegenmaßnahmen nur noch mehr Aufmerksamkeit und neue Hörer verschafften.

Radio Glasnost hatte seine Mission erfüllt

Dessen letzte Sendung fand am 27. November 1989 statt, allerdings nicht länger mittels klammheimlich eingeschmuggelter Manuskripte oder Tonbänder. Nun saßen die Vertreter der verschiedenen Oppositionsgruppen selbst vor dem Mikrophon im Studio. Radio Glasnost hatte seine Mission erfüllt.

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