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Frauke Petry will unbedingt Fraktionschefin werden.

© picture alliance / Gregor Fische

Zukünftige Abgeordnete: Wie radikal wird die AfD-Fraktion im Bundestag?

Trotz bröckelnder Umfragewerte rechnet die AfD fest mit dem Einzug ins Parlament. Auch etliche Anhänger des nationalistischen Höcke-Flügels könnten bald im Bundestag sitzen. Ein Überblick.

Jens Maier steht mit hochgeschlossener schwarzer Jacke am Mikrofon, sein Redemanuskript liegt auf einem Notenständer. „Die AfD“, sagt der Politiker vor einer Gruppe Demonstranten im sächsischen Freital, „muss un-be-dingt erfolgreich sein. Denn uns steht Übles bevor.“

Maier, ein rundlicher Mann mit Brille, berichtet von einem Impulspapier mehrerer deutscher Migrationsverbände. Darin regen diese an, als neues Staatsziel im Grundgesetz festzuschreiben, dass Deutschland ein vielfältiges Einwanderungsland ist. Maier lässt es so klingen, als gehe es bereits um Pläne der Bundesregierung. Sein Publikum reagiert mit „Pfui“-Rufen. Als er den Namen der Integrationsbeauftragten Aydan Özoguz erwähnt und betont falsch ausspricht, werden „Buh“-Rufe laut.

60 bis 70 Abgeordnete

Jens Maier – daran lässt er an diesem Abend keinen Zweifel aufkommen – steht in der AfD rechts außen. Maier rühmt sich, „ein kleiner Höcke“ zu sein. Wie sein Vorbild macht er sich NPD-Vokabeln zu eigen. Und dieser Mann, von Beruf Richter am Landgericht Dresden, sitzt von September an mit großer Wahrscheinlichkeit für die AfD im Bundestag.

Obwohl nicht abzusehen ist, wie viele Stimmen die Partei bei der Bundestagswahl im September holen wird: Dass sie die Fünf-Prozent-Hürde nimmt, scheint so gut wie sicher. Gemessen an den derzeitigen Umfrageergebnissen könnte die AfD mit 60 bis 70 Abgeordneten in den Bundestag einziehen. In fast allen Bundesländern hat die Partei mittlerweile ihre Listen aufgestellt. Kandidaten auf den vorderen Plätzen haben gute Chancen auf den Sprung ins Parlament.

Vertraute Höckes und Gleichgesinnte

Doch wie radikal wird die AfD-Bundestagsfraktion, wie viele Jens Maiers werden im Plenum Platz nehmen? Wer das herausfinden will, muss sich die Landeslisten genauer anschauen und herausfinden, welche Geschichten, welche Meinungen hinter den Namen stecken. Das wird spätestens dann wichtig, wenn sich der Machtkampf, der derzeit in der Partei tobt, in der Bundestagsfraktion fortsetzt.

Dem sächsischen Extremismusforscher Steffen Kailitz bereitet der Blick in die Landeslisten Sorgen. Zwar gebe es auch viele unbekannte Größen – doch bereits jetzt sei zu erkennen, dass „die zukünftige Fraktion einen starken Flügel haben wird, der von Positionen und Personen um Björn Höcke getragen sein wird“. Der Thüringer AfD-Chef hat sich zwar selbst nicht für die Bundestagswahl zur Verfügung gestellt. Dafür ist – das beobachtet auch Kailitz – eine Reihe Vertrauter und Gleichgesinnter unter den angehenden Bundestagsabgeordneten.

"Offene Tür" für Rechtsextreme

Zu Höckes Gefolgsmännern gehört der Leiter seines Wahlkreisbüros, Jürgen Pohl. Wer dessen Bewerbungsrede für den zweiten Listenplatz in Thüringen gehört hat, weiß: Pohl steht seinem Chef in Ton und Inhalt kaum nach. „Der politische Gegner hat sich die Abschaffung des deutschen Staatsvolkes und die Vernichtung des Stolzes der deutschen Nation auf die Fahnen geschrieben“, dröhnte er da – um wenig später denen „da oben“ unverhohlen zu drohen.

Pohl soll laut „Focus“-Recherchen Rechtsextremen nahestehen – und sich in einer E-Mail an Höcke darüber beschwert haben, dass AfD-Mitglieder in Erfurt eine Demonstration gegen die NPD unterstützt hatten. Neben Pohl könnten mit Marcus Bühl und Stephan Brandner zwei weitere Höcke-Vertraute aus Thüringen in den Bundestag einziehen.

Doch am rechten Rand stehen in der neuen AfD-Fraktion nicht nur Höckes Anhänger. Der Flügel der „Nationalisten“, wie der Populismusforscher Marcel Lewandowsky ihn nennt, ist insgesamt um einiges größer. Dazu zählt beispielsweise auch Enrico Komning aus Mecklenburg- Vorpommern. Der Anwalt sympathisiert laut Lewandowsky mit Pegida und der Identitären Bewegung. Den deutschen Vize-Chef von Letzterer vertrat er in einem Rechtsstreit. „Durch ihre Vernetzung mit Kandidaten wie Komning haben Rechtsextreme eine offene Tür in den Bundestag“, sagt Lewandowsky.

Wird Frauke Petry die Fraktion führen?

Einfluss wird in der neuen Bundestagsfraktion auch die Junge Alternative (JA) haben. Die Jugendorganisation ist radikaler als die Mutterpartei – einige Mitglieder stehen der Neuen Rechten nahe. Der Chef Markus Frohnmaier, der auch dem von Höcke gegründeten nationalistischen „Flügel“ innerhalb der AfD angehört, schaffte es in Baden-Württemberg auf Platz 4. Er rechnet damit, dass bis zu acht seiner JA-Mitstreiter in den Bundestag einziehen könnten.

Frohnmaier selbst klingt in vielen seiner politischen Forderungen nach Donald Trump. „Deutschland zuerst“ ist in seinen Augen ein guter Slogan. Für Migranten fordert er ein „Three Strike Law“ – bei drei Rechtsverstößen müsse die Abschiebung erfolgen, „bis hin zur Ausbürgerung“. Und er will einen Straftatbestand der „Deutschenfeindlichkeit“. Dass man die Deutschen ungestraft als „Köterrasse“ bezeichnen kann, dürfe nicht sein, sagt Frohnmaier.

Islamfeindlichkeit steht im Mittelpunkt

Neben den Nationalisten werden sich in der Fraktion die anderen beiden großen Strömungen der AfD wiederfinden: die Konservativen und die Wirtschaftsliberalen. Zu Letzteren wird etwa Alice Weidel aus Baden-Württemberg zählen. Sie sind jedoch in der Minderzahl. „Das spiegelt die Entwicklung der AfD in den letzten drei Jahren wider – der Einfluss des wirtschaftsliberalen Flügels hat deutlich abgenommen“, sagt Lewandowsky. Als Thema sei der Euro in den Hintergrund getreten, jetzt stehe die Islamfeindlichkeit im Mittelpunkt.

Auch Extremismusforscher Kailitz hat diese Bewegung nach rechts beobachtet: „In ostdeutschen Landesverbänden dominieren schon länger rechtsextremistische Positionen – und nun verschieben sich die Kräfteverhältnisse im Westen ebenfalls in diese Richtung“, sagt er. Das werde sich in der Bundestagsfraktion niederschlagen.

Nationalistische Töne in allen Flügeln

Nationalistische Töne hört man über alle Flügel der Partei hinweg. Die Berliner Landeschefin Beatrix von Storch etwa will sich im Bundestagswahlkampf ganz auf den „Kampf gegen die Islamisierung“ konzentrieren. Alexander Gauland, Spitzenkandidat in Brandenburg, forderte kürzlich einen weitgehenden Einreisestopp für Muslime. Und Armin Paul Hampel, der in Niedersachsen auf Platz eins der Liste steht, plädierte 2015 dafür, eine Wehrpflicht für alle irakischen und syrischen Männer im Alter zwischen 18 und 45 Jahren einzuführen – und diese zwangsweise in den Kampf gegen den IS zu schicken.

Bei Parteichefin Frauke Petry ist es kaum möglich, sie einer der Strömungen zuzuordnen. Sie ist Opportunistin und vertritt das, was ihr machtpolitisch nützt: Einerseits grenzt sie sich von Nationalisten wie Björn Höcke ab. Dann sucht sie wiederum bewusst die Nähe zu rechtsextremen Parteien wie dem französischen Front National – und stellt sich mit Marine Le Pen auf eine Bühne.

Abstimmung über Fraktionsvorsitz wird zur "Nagelprobe"

Petry wird es schwer haben, Fraktionschefin zu werden. Schon jetzt schart sie Unterstützer um sich. Einige Getreue hat sie noch. Frohnmaier, der eine Zeit lang ihr Pressesprecher war, sagt, sie habe sein „Vertrauen, auch eine Fraktion führen zu können“. Doch die Entscheidung des Bundesvorstands für einen Parteiausschluss Höckes hat Petrys Position weiter geschwächt. Extremismusforscher Kailitz glaubt, die Abstimmung um den Fraktionsvorsitz werde schließlich zur „Nagelprobe“: „Dann werden sich die Kräfteverhältnisse klar zeigen.“

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