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Wladimir Jakunin (links) lud zur Gründungsveranstaltung seines neuen Instituts "Dialog der Zivilisationen" in Berlin - und wurde von Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) freundschaftlich begrüßt.

© Michael Kappeler/dpa

Wladimir Jakunin gründet Institut in Berlin: Potemkinsche Denkfabrik

Der Putin-Vertraute und frühere russische Bahnchef Wladimir Jakunin gründet ein Forschungsinstitut in Berlin – doch bisher ist es nur Fassade.

Die Aufregung im politischen Berlin war groß: Russlands Präsident Wladimir Putin lasse eine „Denkfabrik“ in Deutschland gründen, hieß es. Tatsächlich hatte der frühere russische Bahn-Chef Wladimir Jakunin, der lange als Putin-Vertrauter galt, für vergangenen Freitag zur Gründungsveranstaltung seines Forschungsinstituts „Dialog der Zivilisationen“ in Berlin geladen. „Ziel ist es, innerhalb der kommenden fünf Jahre weltweit zu den Top 20 der internationalen Think Tanks zu gehören“, so der ehrgeizige Plan. Doch das neue Institut erinnert zum jetzigen Zeitpunkt an ein Potemkinsches Dorf – es besteht bisher nur aus einer auf Hochglanz polierten Fassade.

Schon die Frage, wo das neue Institut seinen Sitz hat, ist nicht einfach zu beantworten. Auf der Webseite wird eine repräsentative Adresse im Regierungsviertel genannt. Doch wer vor dem Haus am Boulevard Unter den Linden steht, findet nicht einmal ein Klingelschild, das auf das Institut hinweist. Eine ganz andere Adresse steht auf einem Faltblatt der Neugründung. Aber auch an dem Gebäude in der Friedrichstraße fehlt jeder Hinweis auf das Forschungsinstitut „Dialog der Zivilisationen“. Im Handelsregister ist als Geschäftsanschrift eine Anwaltskanzlei am Kurfürstendamm genannt, als Geschäftsführer des Instituts firmiert ein Rechtsanwalt. Er ist zugleich alleiniger Gesellschafter der GmbH, die nur über ein Kapital in Höhe der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestsumme von 25 000 Euro verfügt. Telefonisch war er am Montag nicht zu erreichen.

Wo das Geld herkommt, bleibt in den offiziellen Papieren unklar. Jakunin sagt in Berlin, das Institut werde sich über Spenden finanzieren, „von meiner Familie und einigen anderen“. Die Finanzierung soll über eine Stiftung Jakunins in der Schweiz laufen. Von 25 Millionen Euro für fünf Jahre ist die Rede. Den Businessplan für das Institut habe „eines der renommiertesten Beratungsunternehmen der Welt“ erstellt, betont Jakunin. Zugleich fügt er hinzu: „Bisher fehlen die nötigen Mittel.“ Man betreibe aber in mehreren Ländern Fundraising. „Wir sind hoffnungsvoll, dass wir die Unterstützung bekommen werden.“

Auch einen Headhunter hat Jakunin engagiert. Wissenschaftler von Think Tanks in Berlin erhielten Angebote, für das Institut zu arbeiten. Doch dem Vernehmen nach hagelte es Absagen, nachdem sich die Angesprochenen erkundigt hatten, mit wem sie es zu tun haben.

Korruptionsvorwürfe gegen Ex-Geheimdienstler Jakunin

Wer ist also Wladimir Jakunin? Ein Ex-Manager, der sich mit 68 Jahren philanthropisch betätigt und den Dialog der Kulturen fördern will? So stellt Jakunin sich selbst gern dar. Der Weg, der ihn bis zur Gründung eines Instituts in Berlin führt, beginnt in den 90er Jahren in einer Datscha bei St. Petersburg. Einer seiner Nachbarn in der Datschenkooperative „Osero“ ist Wladimir Putin. Die Nachbarn von damals haben es weit gebracht in Putins Russland. Jakunin verbindet aber noch etwas anderes mit dem Präsidenten: Auch er soll viele Jahre für den sowjetischen Geheimdienst tätig gewesen sein.

Als Putin Staatschef wird, beginnt für den Ingenieur Jakunin eine steile Karriere: zunächst als Vize-Verkehrsminister, fünf Jahre später wird er Chef der Russischen Eisenbahnen. Unter seiner Führung soll das Unternehmen nach Recherchen von "Reuters"-Journalisten Milliarden Dollar an Firmen gezahlt haben, deren Eigentümer nicht bekannt sind. Der Oppositionelle und Anti-Korruptions-Aktivist Alexej Nawalny veröffentlichte Dokumente, denen zufolge Jakunins Familie über ein Offshore-Imperium verfügt. Jakunins neue Datscha bei Moskau sei 100 Millionen Dollar wert. Weil er zum engen Zirkel um Putin gerechnet wird, steht er seit der russischen Intervention in der Ukraine auf der Sanktionsliste der USA.

Im vergangenen Sommer schien es zu einer Erschütterung im Moskauer Machtgefüge zu kommen: Bahn-Chef Jakunin musste gehen. In russischen Medien hieß es, der Grund dafür könne gewesen sein, dass einer von Jakunins Söhnen die britische Staatsbürgerschaft beantragt hatte – aus Kreml-Sicht eine Art Verrat. Jakunin konzentriert sich seitdem auf das von ihm 2002 mitgegründete „Öffentliche Weltforum Dialog der Zivilisationen“ in Wien, aus dem das Berliner Institut hervorgehen soll. Der Osteuropa-Experte Manfred Sapper sieht einen Zusammenhang zwischen Jakunins unfreiwilligem Abschied als Bahnchef und den Bemühungen um ein Institut: „Es ist sehr naheliegend, dass dies dazu dient, dem Kreml Loyalität zu erweisen.“ Bereits vor zwei Jahren sagte Jakunin, es gebe einen Informationskrieg gegen Russland, dagegen müsse man ankämpfen.

Unterstützung für Moskaus Haltung im Ukraine-Krieg

Neben Jakunin gehören der Österreicher Walter Schwimmer, früher Generalsekretär des Europarats, und der Politologe Peter W. Schulze, Privatdozent an der Universität Göttingen, zu den Gründern des Instituts. Als Teil einer russischen Propagandaoffensive sehen sie die Gründung nicht. Doch zumindest Schulze hat keine Probleme mit Moskaus Sicht auf den Ukraine-Krieg, wonach der Westen an der Eskalation schuld sei. So sagt er sinngemäß auf der Gründungsveranstaltung, wenn der Westen 2010 auf Russlands Initiative für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur eingegangen wäre, hätte es die Toten in der Ukraine nicht gegeben. Wenig später wird Jakunin betonen, wie sehr er und die Russen den Frieden lieben.

Im Publikum sitzen bei der Eröffnung Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums (DRF), der frühere Kanzleramtsminister und heutige Bahn-Vorstand Ronald Pofalla (CDU), der den Petersburger Dialog leitet, der ehemalige BND-Präsident August Hanning, der Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn sowie der Putin-Biograf Alexander Rahr, der den Energiekonzern Gazprom berät. Für den Aufsichtsrat hat Jakunin den früheren Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, und den tschechischen Ex-Präsidenten und EU-Kritiker Vaclav Klaus gewonnen.

In der Einladung waren zunächst Platzeck und Pofalla als Redner vorgesehen, doch dann verschwanden sie aus dem Programm. Beide seien von Anfang an nur als Teilnehmer, aber nicht als Podiumsgäste angefragt worden, sagt Martin Hoffmann, Geschäftsführer des DRF und des Petersburger Dialogs. Platzeck kennt Jakunin aus dem Kuratorium des DRF und nahm an Veranstaltungen des „Dialogs der Zivilisationen“ auf Rhodos teil. Hoffmann fordert, man solle „dem Institut eine Chance geben“. Die Idee sei sehr gut, aber die Ausführung noch unklar. „Nun müssen wir abwarten, was daraus wird.“

"Von Denken kann hier keine Rede sein"

Als „Denkfabrik“ will Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift „Osteuropa“, Jakunins Institut keinesfalls verstanden wissen. „Von Denken kann hier keine Rede sein. Es wäre irreführend, es als wissenschaftliches Institut ernst zu nehmen.“ Derzeit sieht es danach aus, als würde das in Wien ansässige „Weltforum Dialog der Zivilisationen“ einfach seine Arbeit weitgehend nach Berlin verlagern.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 05. Juli 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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