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Aktivisten der völkischen "Identitären Bewegung" stehen August 2016 auf dem Brandenburger Tor.

© picture alliance / dpa

Jung, rechts, völkisch: Die Greenpeace-Masche der Identitären

Sie klettern aufs Brandenburger Tor und wollen mit einem Boot die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer stören: Wie die Identitäre Bewegung für ihre nationalistischen Botschaften wirbt. Am Samstag will sie in Berlin demonstrieren.

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Das Video, eine gute Minute lang, 25.000 Mal aufgerufen. Das Justizministerium ist zu sehen. Schnitt. Junge Männer, einige in Uniformen im Stil der DDR-Volkspolizei. Sie tragen Transparente, „Zensurministerium“ steht auf einem. Das Video, unterlegt mit dramatischer Musik, zeigt auch Frauen, die mit ernstem Gesicht rote Bengalo-Fackeln in die Höhe halten. Polizisten kommen ins Bild, die Aktion wird aufgelöst.

Als die rechte „Identitäre Bewegung“ im Mai versuchte, mit Leitern auf das Vordach des Justizministeriums zu klettern, und Parolen skandierte wie „Festung Europa – Macht die Grenzen dicht“, bekamen das nicht nur ein paar Umstehende mit. Die Aktion machte bundesweit Schlagzeilen, im Netz verbreitet sich das von den Identitären selbst produzierte Video dazu noch heute. Das Kalkül der jungen, völkischen Bewegung ist aufgegangen – wieder einmal.

Größte Demo in Deutschland bislang

Mit ihren Aktionen protestieren die Identitären gegen das politische Establishment, Flüchtlinge und Fremde. Nächster Schritt: eine Demonstration in Berlin an diesem Samstag. Es soll der größte Aufmarsch in Deutschland bislang werden. Mit Anhängern aus ganz Europa. Bis zu 1000 Teilnehmer erwarten die Veranstalter. Angekündigt hat sich auch Martin Sellner, ein Wiener Student mit schönem Dialekt, aktiv auf YouTube und Instagram. Der Popstar der Identitären.

Obwohl die Bewegung klein ist – in Deutschland gibt es nur etwa 300 Mitglieder – und sich als gewaltfrei inszeniert, wird sie hierzulande vom Verfassungsschutz beobachtet. Der sieht „Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“. Was die Bewegung möglicherweise gefährlich macht, sind dabei nicht nur die Inhalte – sondern auch Auftreten und Methoden, mit denen die Identitären Aufmerksamkeit für ihre Botschaften erregen.

Popstar der Identitären. Der Wiener Student Martin Sellner hat auf YouTube fast 20 000 Abonnenten. Auch ihn hat der deutsche Verfassungsschutz im Blick. 
Popstar der Identitären. Der Wiener Student Martin Sellner hat auf YouTube fast 20 000 Abonnenten. Auch ihn hat der deutsche Verfassungsschutz im Blick. 

© DAVIDS/Boillot

Überallartiges Go-in

Auf den ersten Blick mögen die Identitären harmlos wirken. Sie tragen keine Springerstiefel, sprechen sich gegen Antisemitismus aus und sind oft gebildet. Sie klauen bei ihren Protesten aus dem Repertoire von Linken und Öko-Bewegung. Aktionen und Provokationen der Studentenbewegung der 1960er Jahre, der linksradikalen Sponti-Szene der 1980er Jahre oder auch von Greenpeace werden kopiert. Die Aktion am Bundesjustizministerium ist da nur ein Beispiel.

Im August vergangenen Jahres kletterten Aktivisten der Identitären auf das Brandenburger Tor und entrollten ein Transparent: „Sichere Grenzen, sichere Zukunft“. Sie blockierten die CDU-Zentrale in Berlin, besetzten die Grünen-Geschäftsstelle, mauerten eine Moschee in Parchim zu. Das überfallartige Go-in, auch das eine Methode der 68er-Generation, deren Protestformen die rechte Truppe gern imitiert.

"Patriotismus als Integrationsmaßnahme"

Einer, der viel über die Methoden der Identitären erzählen kann, ist Robert Timm. Er war am Justizministerium, bei den Grünen und auf dem Brandenburger Tor dabei. Der Regionalleiter der Identitären in Berlin-Brandenburg hat auch die Demonstration am kommenden Samstag angemeldet. In blau-weiß-kariertem Hemd sitzt er nun in einem Café in Berlin-Kreuzberg, die Ärmel hochgekrempelt, der Vollbart ordentlich gestutzt. Wenn der Architekturstudent von der Aktion am Brandenburger Tor berichtet, wirkt er geradezu euphorisch – auch wenn ihm nach eigener Aussage eine Haftstrafe wegen schwerem Landfriedensbruch droht.

Timm stieß im vergangenen Jahr zu den Identitären. Der 26-Jährige wuchs in Ost-Berlin auf. Als Jugendlicher hegte er Sympathien für die Antifa – bis er nach der 10. Klasse an eine Schule in Kreuzberg wechselte. Dort habe ihn der „latente Antisemitismus und Nationalismus für die jeweiligen Heimatländer“ gestört, den er dort bei den migrantischen Jugendlichen beobachtet habe. Diese hätten sich nicht zu Deutschland bekannt. Beim Wehrdienst habe er dann an Kameraden mit türkischer, vietnamesischer oder osteuropäischer Abstammung gesehen, dass eine „gewisse Portion Patriotismus eine super Integrationsmaßnahme sein kann“.

Robert Timm, Anführer der Berliner Identitären, war bei der Aktion am Justizministerium dabei - hier in grüner Hose zu sehen in der Bildmitte.
Robert Timm, Anführer der Berliner Identitären, war bei der Aktion am Justizministerium dabei - hier in grüner Hose zu sehen in der Bildmitte.

© imago/Christian Mang

"Völkische Ideologie von Rechtsextremisten"

Timm glaubt, „dass in 20 oder 30 Jahren die Deutschen in Deutschland in der Minderheit sein könnten“. Dazu trage auch der Flüchtlingszuzug bei. Die Identitären nennen das „den großen Austausch“. Ist der erst vollzogen, so glaubt Timm, würde in einigen Teilen des Landes die Scharia gelten. Bei den Identitären meint er, seinen Beitrag leisten zu können, damit das nicht passiert. Die propagieren die Idee des „Ethnopluralismus“, der auf homogene Völker setzt und sich gegen eine Vermischung richtet.

Das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz bescheinigte in seinem Jahresbericht 2016 der Identitären Bewegung Deutschland „eine starke Nähe zum biologistischen Denken und der völkischen Ideologie von Rechtsextremisten“.

Starke Vermischung mit den sozialen Medien

Derzeit sammeln die Identitären Geld für ein Schiff, mit dem sie die Rettung von Flüchtlingen durch NGOs im Mittelmeer stören wollen. „Die sind ja nur der verlängerte Arm der Schlepper“, echauffiert sich Timm. Auch diese Aktion erinnert methodisch an Greenpeace, für deren Kampagnen Hochseeschiffe eine große Rolle spielen.

Die Aussage, dass die Protestformen der Identitären von Linken und Grünen geklaut seien, nervt Timm. „Die haben das Stören von Veranstaltungen schließlich auch nicht erfunden.“ Dass Linke und Umweltschützer aber „wichtige Grundlagenforschung“ für die Wirksamkeit solchen Protests und das Marketing betrieben hätten, gibt er zu.

Den Identitären eigen, sagt Timm, sei die starke Vermischung der Aktionen mit den sozialen Medien. Galionsfigur Sellner hat auf YouTube fast 20 000 Abonnenten. Auch auf Instagram präsentieren sich viele Identitäre als patriotische Jugendliche, gern auch mit intellektuellem Touch. Da ist zum Beispiel die Österreicherin Alina Wychera, die unter dem Namen Alina von Rauheneck auftritt. Oder Melanie Schmitz – Nickname „rebellanie“ –, über die der sachsen-anhaltinische Verfassungsschutz eine Akte führt. Von ihr gibt es ein Bild, auf dem sie mit kurzem Kleid und Baseballschläger posiert.

Radikalisierung nicht ausgeschlossen

Timm sagt, es sei für die Identitären wichtig, „Gesicht zu zeigen“. Man wolle sympathisch rüberkommen. Ein gepflegtes Erscheinungsbild sei da von Vorteil. Bei den Aktionen ist auch immer eine Kamera dabei. Die mediale Vermarktung, so scheint es, ist am Ende genauso wichtig wie die Aktion selbst.

Nicht wenige fürchten, dass sich die Gruppe radikalisieren könnte. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt in einer Analyse vom November 2016: Derzeit zeichne sich keine Gewaltorientierung ab – doch „ein späteres Abgleiten in gewaltorientierte rechtsextremistische Spektren“ sei nicht auszuschließen.

Einen Beleg bietet die frühe Geschichte der Identitären. Die französischen Behörden verboten 2002 die Keimzelle der Bewegung, die rassistische Gruppierung „Unité Radicale“, nachdem ein Anhänger versucht hatte, den damaligen Präsidenten Jacques Chirac zu erschießen. Die Rechtsextremen gründeten nach dem Verbot den „Bloc Identitaire“. Deren Jugendorganisation „Génération Identitaire“ ist der Mentor der Identitären in Europa.

Vernetzung innerhalb der neuen Rechten

Auch Sellner warnte seine Mitstreiter kürzlich in einem Beitrag für die neurechte Zeitschrift „Sezession“, dem „Gegner“ den Gefallen einer Radikalisierung zu tun. Doch möglicherweise wurde die Grenze bereits überschritten – sollte der Vorwurf der Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Identitären Jannik Brämer zutreffen. Er soll während der Aktion am Justizministerium mit einem Transporter auf einen Zivilpolizisten zugerast sein. Der Beamte habe sich nur durch einen Sprung zur Seite retten können und sei verletzt worden, sagt die Anklagebehörde.

Der Vorfall ist auch für die AfD problematisch. Brämer war zur Tatzeit Schatzmeister des Berliner Verbands der Parteinachwuchsorganisation „Junge Alternative“. Obwohl die AfD einen Abgrenzungsbeschluss zu den Identitären gefasst hat, gibt es solche personellen Überschneidungen, Sympathien und Kontakte. Auch ansonsten sind die Identitären in der rechten Szene gut vernetzt. Sellner beispielsweise steht in engem Kontakt mit dem rechten Intellektuellen Götz Kubitschek. Mitglieder der vom Verfassungsschutz schon seit Jahren beobachteten Burschenschaft Danubia München sind offenbar ebenfalls mit den Identitären verbandelt.

Für die Demonstration am Samstag werden die Identitären sämtliche Mobilisierungskanäle nutzen. Ein Video, das mit heroischer Musik für die Veranstaltung wirbt, blendet die Begriffe ein, um die es gehen soll: „Heimat, Freiheit, Tradition. Reconquista Europa.“ Die Zurückeroberung des Kontinents – das ist der Schlachtruf der jungen völkischen Rechten.

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