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Chaperons Lieblingsbild von Angela Merkel.

© Laurence Chaperon

Fotografin Chaperon: Ästhetikerin der Macht

Kanzlerin, Minister, Parteichefs: Wer etwas gilt in der Hauptstadt, lässt sich von Laurence Chaperon porträtieren. Das hat Gründe.

Wenn der Name Angela Merkel fällt, verstummt Laurence Chaperon. Irgendwie enttäuscht mustert die elegante Frau einen dann, die Absicht erratend. Es stimmt ja, dass sie Merkel öfter fotografiert und für Porträts getroffen hat als jeder andere. Aber dass man deshalb versuche, von ihr mehr über Merkel zu erfahren, missfällt der Fotografin.

Sie mag nicht missbraucht werden für Auskünfte, die mit ihr nichts zu tun haben. Es ist ja auch ein unhöflicher Zug. Und auf Umgangsformen versteht sich die Französin. Kaum Schmuck, nichts Adrettes. Nur ein dunkler Wollpullover und ein schlichter, schwarzer Wintermantel, der ohne Knöpfe auszukommen scheint. Für das Treffen hat sie ein kleines französisches Lokal in der Nähe des Märkischen Museums vorgeschlagen. Sie ist oft hier, bei Gustav, bei dem sie Französisch sprechen und auch mal ihr Geld vergessen kann. Das Gespräch kreist um ihre Heimat, um die Politiker, die sie getroffen und abgelichtet hat, es geht um klobige Männerkörper in nichts sagenden Anzügen und die Unbeholfenheit der politischen Elite vor der Kamera. Um Merkel geht es natürlich auch.

Kanzlerfotografin - nein, so will sie nicht genannt werden

Da wird es schwierig. Denn vor allem will Chaperon nicht als Kanzlerfotografin im Glanz einer Machtfülle betrachtet werden, die noch weniger mit ihr zu tun hat. "Ich mag nicht, mich wichtig zu machen", sagt Chaperon.

Kanzlerfotograf. Diesen Titel tragen andere. Konrad R. Müller oder neuerdings Andreas Mühe. Auch die "FAZ"-Fotografin Barbara Klemm verdankt eines ihrer berühmtesten Bilder einem Kanzlerschaftsmoment. Als Willy Brandt 1973 Leonid Breschnew in Bonn empfing, verschaffte sie sich Zugang. Beinahe wäre sie hinauskomplimentiert worden. Da rief der Sowjetführer erfreut: "Endlich mal eine Frau." Das änderte einiges. "Ich fand immer, dass ich probieren müsste, überall hineinzukommen", sagt Klemm über ihr fotografisches Ethos, das von einer Sphäre der Macht und einer anderen, die sie beobachtet, ausgeht.

Laurence Chaperon 2009 mit ihrem Buch "Angela Merkel - Das Porträt".
Laurence Chaperon 2009 mit ihrem Buch "Angela Merkel - Das Porträt".

© Hannibal Hanschke/picture-alliance/dpa

Schwarz-weiß sind Klemms Fotos, weil das realistischer ist. "Für ein gelungenes Farbfoto braucht man Zeit und Gestaltungsspielraum", sagt sie.

Laurence Chaperon fotografiert in Farbe. Und sie tut es auf eine Weise, dass Politiker sich geschmeichelt fühlen können. Wobei sich Chaperons Werk in zwei Aspekte teilt. Einerseits in die Reportageaufnahmen einer gelernten Agenturfotografin, die vor Sitzungssälen und bei Pressekonferenzen ausharrt, um den winzigen Moment eines Politikerauftritts abzupassen; andererseits in gut ausgeleuchtete Inszenierungen, für die sie vorher einen Plan entwickelt. Es sind Bilder mit dramatischer Tiefenschärfe und einem Hintergrund wie aus Marzipan, hart und zuckrig. Ihre Bilder finden sich auf Titelseiten von "Spiegel" und "Stern". Meistens sind es welche mit Merkel. Mit einem haben sich sogar Psychologen beschäftigt, um dem Geheimnis seiner positiven Ausstrahlung auf den Grund zu gehen.

Bis 31 war sie Balletttänzerin

Zuletzt hat Chaperon ein Buch über das Erinnern veröffentlicht, bestückt unter anderem mit Porträts von Thomas de Maizière, Hermann Gröhe, Wolfgang Schäuble und Manuela Schwesig. Die erklären darin, was Erinnerung für sie ist. Mit dem Buch verarbeitete sie die Demenzerkrankung ihres Vaters. Die Familie musste in Frankreich sehr dafür kämpfen, dass der alte Herr würdig sterben konnte, verwirrt und verloren, wie er zunehmend wurde. In seinem Kopf vermischten sich die Bilder wie ein Kartenspiel, das in die Luft geworfen worden war. Was an Erinnerungen ins Bewusstsein drang, waren Echos der Sorgen, die der Vater sich gemacht hatte. So empfand Chaperon es, wenn sie ihn besuchte. Fotografiert hat sie ihn in diesem Stadium nicht mehr. Nur ein Bild machte sie vor seinem Tod. Ihre Hand, die in der seinen lag.

Sie war 14 Jahre alt gewesen, als sie von ihm ihre erste Kamera geschenkt bekommen hatte. Ihr kleiner Bruder musste als Modell herhalten, und sie lernte, Filme in der Dunkelkammer zu entwickeln. Dass ihr Talent noch auf einem ganz anderen Gebiet lag, dem Tanz nämlich, wurde ihr mit 17 bewusst. Ihre Ballettlehrerin schickte sie in die Tanzschule von Raymond Franchetti nach Paris. Der ehemalige Tanzdirektor der Pariser Oper betrieb eine Talentschmiede, an der auch Stars wie Nurejew trainierten. Chaperon sträubte sich. Ging dann doch hin. Mit schlechter Laune, erinnert sie sich. Franchetti nahm sie unter seine Fittiche, "ein bisschen wie eine Tochter". Eigentlich zu spät für eine berufliche Karriere. Doch sie bekam ein Engagement in Bonn, der damaligen deutschen Hauptstadt. Sie tanzte dort, bis mit 31 Jahren eine natürliche Grenze erreicht war. Und sah sich nach einer Fotografenausbildung um. Der logische Weg wäre die Theaterfotografie für sie gewesen, aber sie kam in einer kleinen, auf Nachrichten und Politik spezialisierten Agentur unter. Das bedeutete: Interviews und Pressetermine. Tagesgeschäft. Schnell sein. Liefern. Sie wurde sofort allein losgeschickt zu einem Interview mit dem damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe. "Heute finde ich, der Chef hatte Nerven", sagt sie.

Sie sucht die Spannung zwischen Oberfläche und Tiefe

Der hatte ihr übrigens aufgetragen, sich bei Rühe darüber zu beschweren, nicht für eine anstehende Kambodschareise des Ministers berücksichtigt worden zu sein. Das tat sie. Bald klingelte das Telefon. Der Chef hob ab und reichte den Hörer an seine Auszubildende weiter. Sie werde mit dem Minister nach Kambodscha fliegen, ließ er ausrichten.

Als "kleine, süße Französin" (Chaperon über Chaperon) erlebte die Anfängerin, wie hart das Geschäft in der Meute ist, im Gerangel um gute Plätze. Ein gutes Bild sei wie im Ballett "eine Kombination aus Emotion und Ästhetik". Im Französischen gebe es dafür den Ausdruck "la surface et l'espace" – die Spannung zwischen Oberfläche und Tiefe. Doch hat sich Chaperon ihren Sinn für die Verzückung erhalten, die die französische Kultur bis ins Handwerk hinein prägt. "Als Tänzerin habe ich oft genug geweint, weil ich fand, dass ich nicht perfekt war."

Auf Chaperons liebstem Porträt der Kanzlerin sitzt Angela Merkel an der See auf einem Stein. Die Luft ist klar. Das Wetter ist gewöhnlich schlecht. Merkel liebt das. Zerzauste Haare im Wind, super. Chaperon leidet unter der Kälte. Es ist eine der frühen Aufnahmen der damals sich von ihrem Förderer Helmut Kohl emanzipierenden Politikerin.

Die Fotografin behält für sich, wie viel zu tun war, damit die Haltung der Kanzlerin stimmte. "Mein Job ist es", sagt sie, "dafür zu sorgen, dass man sich in der Situation selbst angenehm ist." Wie Annie Leibovitz, die Starfotografin, die John Lennon nackt im Bett Yoko Ono umschlingend ablichtete, hat Chaperon einen ausgeprägten Sinn für Körpersprache.

Ob sie Merkel auch besuchen und fotografieren würde, wenn die keine Macht mehr hätte? Chaperon überlegt, streicht eine Strähne aus dem Gesicht, ohne dass die sich bewegen würde. Dann sagt sie: "Ich bin sowieso ein treuer Mensch."

Die Homepage von Laurence Chaperon finden Sie hier: www.chaperon.de.

Der Text erschien in "Agenda" vom 22. November 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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