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Paul Ziemiak, Chef der Jungen Union.

© Kai-Uwe Heinrich

Die Junge Union und ihr harmloser Chef: Der nette Herr Ziemiak

Die JU sieht sich als Avantgarde der Union. Doch bei ihrem neuen Chef vermissen manche die Lust an der Kontroverse.

Er hat nicht lange gebraucht, um anzukommen. Seit einem Jahr führt Paul Ziemiak die Junge Union, und wenn man sich umhört im angeblich größten politischen Jugendverband Europas, bekommt Ziemiak gute Kritiken. Ziemiak könne die Leute mitreißen, hört man. Der JU-Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen, der Kölner Florian Braun, sagt über „Paul“, der sei „bereit, in Debatten reinzugehen, ohne dabei populistisch zu werden“.

Da kann man, wenn man will, einen wesentlichen Unterschied zu Ziemiaks übergroßem Vorgänger im Amt, Philipp Mißfelder, heraushören. Mißfelder, der im Juli mit nur 35 Jahren gestorben ist, hatte die JU in zwölf Jahren modernisiert. Früher habe man sich in Turnhallen zum „Deutschlandtag“ getroffen, erinnert sich einer. Mißfelder machte die Treffen zum Großereignis, an dem regelmäßig auch die Kanzlerin teilnimmt. Bis hin zu den Newsletter-Formaten habe Mißfelder die JU in eine neue Zeit geführt, heißt es. Damit steht sie heute gut da. 125 000 Mitglieder hat der Verband.

Doch hatte Ziemiaks Vorgänger auch die Neigung, heftig auszuteilen. Eine Bemerkung wie die mit den künstlichen Hüftgelenken, die 85-Jährige nicht mehr auf Kosten der Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen sollten, würde Ziemiak nie machen, dafür ist er zu freundlich und zu vorsichtig.

Beim Ankommen im Amt hat ihm das nicht geschadet. In der CDU sagten Leute, die es beurteilen können, über ihn, er sei eine „angenehme Abwechslung“ im Politikbetrieb. Den Politiker sieht man ihm so wenig an wie das Amt, wenn er in Jeans und roten Chucks durch Hauptstadt-Berlin läuft. Wenn er in „Phoenix“- Runden über „Leitkultur“ diskutiert, wirkt er gelassen und cool genug, um sich von der schnell sprechenden Renate Künast nicht nervös machen zu lassen.

Unionsleute mit intensiver JU-Vergangenheit vermissen bei Ziemiak allerdings die Bereitschaft zur Kontroverse. „Gerade jetzt“, sagt einer und hat dabei den Streit um Merkels Flüchtlingspolitik im Sinn, „würde ich mir Philipp Mißfelder wünschen.“ Lebte Mißfelder noch, wäre er noch Vorsitzender der Jungen Union – er hätte „sicher“ gegen Merkel Position bezogen.

Man darf also gespannt sein auf den Verlauf des Deutschlandtags 2015, der am kommenden Wochenende in Hamburg stattfinden soll. „Es geht um Deine Zukunft“ ist das Motto der Veranstaltung. Merkel soll am Freitagabend reden, nach ihr Ziemiak, nach ihm der Generalsekretär der CSU, Andreas Scheuer: eine spannungsvolle Rednerliste. Der Brandenburger JU-Vorsitzende Julian Brüning sagt über Paul Ziemiak: „Er ist gewählt, um Kritik anzubringen, wo Kritik vonnöten ist.“ Und Brüning meint die Flüchtlingspolitik.

Ziemiak hat den Brief der Merkel-Kritiker nicht unterschrieben, anders als zum Beispiel der Berliner JU-Vormann Christoph Brzezinski. Eine Meinung, die man Merkel-kritisch verstehen kann, hat Ziemiak durchaus, nachzulesen etwa im Magazin der Jungen Union mit dem schönen Titel „Entscheidung“. Da schreibt Ziemiak, zweiter Sohn polnischer Einwanderer, mit drei Jahren in die Bundesrepublik gekommen, über die Flüchtlinge von heute, er könne „nachempfinden, wie hilfsbedürftig man in einer solchen Notsituation ist“.

Er hat kein Abgeordnetenmandat

Doch fordert er auch: „Es ist die dringende Aufgabe der politisch Verantwortlichen in den Ländern und im Bund, die Kontrolle zu behalten.“ Kontrolle behalten? Das ist nicht weit weg von der Furcht vor dem „Ausnahmezustand“, die die Merkel-Kritiker in der Union empfinden.

In Ziemiaks Büro am Leipziger Platz steht ein Kicker, die robuste Ausführung in schwerem Holz mit dicken Stangen für die Fußballer. Ziemiak ist gleich für ein Spielchen zu haben. Der Ball rollt, es sieht nach einer ausgeglichenen Partie aus. Doch der JU-Mann nutzt die erste Chance und macht sein Tor. Paul Ziemiak habe im ersten Amtsjahr „ein Wahnsinnstempo vorgelegt, sagt Tim Zeelen, Berliner CDU-Abgeordneter mit langer JU-Erfahrung. Wann immer die JUler in den Landesverbänden Diskussionsbedarf hätten, sei Ziemiak da.

Politische Führung versteht er nicht als Ansage. Zur Führung gehöre es, Fragen zu stellen und dann zu entscheiden, sagt er. „Wer fragt, der führt.“ Die Junge Union soll, so versteht er deren Aufgabe, „Motor“ der Meinungsbildung in der CDU sein, vielleicht sogar der Turbolader. Beim „Deutschlandtag“ dürfte außer der Flüchtlingspolitik auch die Homoehe diskutiert werden, das erwarten jedenfalls manche JUler – und sie können sich vorstellen, dass die Junge Union für das Adoptionsrecht für Homosexuelle votiert.

Paul Ziemiak, der mit der Bilanz der CDU in der großen Koalition nicht so richtig zufrieden ist, will sich für die Digitale Agenda einsetzen und auch für das Freihandelsabkommen TTIP mit den Vereinigten Staaten. Er erwartet allerdings, dass die Flüchtlingspolitik in der näheren Zukunft die Debatten beherrschen wird. Die zweite große Frage werde sein: „Wer greift wo militärisch ein?“

Tim Zeelen findet dieses Engagement um so bemerkenswerter, weil Ziemiak kein Landtags- oder Bundestagsmandat hat, das ihm Freiheit für die Parteiarbeit verschafft. Ziemiak gehört dem Stadtrat von Iserlohn an, seiner zweiten Heimat im Sauerland. Dort macht er Kommunalpolitik, und das scheint ihn zu erden. Ziemiak hat, wie es sich für einen Hundertprozentpolitiker gehört, zu allen großen Fragen eine Meinung, aber er rammt sie nicht in die Debatte, er diskutiert gern. Die besten Ideen entstünden „vor Ort“ – da, wo Leute Politik machen, sagt er.

Über seine Arbeit in Iserlohn sagt er, Politik beschäftige ihn „von morgens bis abends“, an jedem Tag. „Ich weiß, wie Parteiarbeit von der Pike auf funktioniert“, sagt er und lacht dabei – wie er überhaupt gern lacht und, trotz seiner Ausbildung zum Juristen, nicht jedes Wort auf seine Rechtsverbindlichkeit prüft. Der Mann ist ganz bei sich in diesem Amt. Er sei „dankbar dafür, dass ich machen kann, was ich mache“, sagt Ziemiak, „ich teile es gern. Ich kann mich nicht allein an etwas freuen.“

Der Text erschien in der "Agenda" vom 13. Oktober 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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